Offene Türen am 24.12.: Café des H.I.O.B - Weihnachtsessen (11 bis 13 Uhr), Caritas Bludenz - Weihnachtsfeier für allein stehende Menschen (17 bis 22 Uhr) 0664 8240146, Wohnungslosenhilfe am Jahnplatz in Feldkirch (Weihnachtsfeier 9 bis 14 Uhr, Schlafstelle 24 Stunden geöffnet).
Es ist leider ein Gemeinplatz: Die Armut nimmt zu. Auch im Ländle. Das KirchenBlatt besuchte in der Vorweihnachtszeit die Notschlafstelle und die Teestube der Caritas in Feldkirch.
Im Gespräch mit dem Sozialarbeiter Norbert Vögel und einem Gast der Teestube wird deutlich, wie gut hier für Menschen ohne Wohnung gearbeitet wird. Auch zu Weihnachten.
(Bericht von Wolfgang Ölz)
Wo der Straßentunnel sich in Feldkirch in den Schattenburghügel bohrt, gleich neben der Straße, findet sich ein rot gestrichenes Haus mit der Aufschrift „Kolpinghaus“. An diesem schneereichen Dezembertag ist es matschig und kalt, wenn der Besucher der Teestube über die Schwelle tritt. In einem geräumigen Lokal finden sich Tische und Stühle, eine Theke und eine größere Küche. An den Tischen gemischtes Publikum, vor allem Männer, die Tee oder Kaffee trinken oder die Tageszeitungen studieren. An der Theke steht auch ein großer langhaariger Mann, die Unterarme zutätowiert, eine Zigarette im Mund, konzentriert den Blick in die Zeitung. Ich bin mit dem Sozialarbeiter Norbert Vögel verabredet, und ich werte es als Positivum, dass ich zunächst einen „Gast“ anspreche und meinen Interviewpartner erst im Nachhinein unter den Klienten erkenne.
Bitte nicht „obdachlos“ sagen! Wir setzen uns. Es gibt Tee und Norbert erläutert, ohne lange gefragt worden zu sein, die Spielregeln in diesem Raum: „Hier ist kein Konsumationszwang, geöffnet ist von 9-13 Uhr. Wir haben sehr günstige Preise, Kaffee um 30 Cent, Tee und Mineralwasser sind gratis, ein Mittagessen gibt es um 1,50 Euro.“ Um derart preiswert ein Mittagessen kochen zu können, gibt es ein so genanntes „Kochprojekt“, in dem Klienten um 25 Euro für etwa 25 Leute kochen. Zu Mittag ist dann die Teestube ziemlich voll, hinten, deutet Norbert, gibt es die Möglichkeit zu duschen, Wäsche zu waschen und zu trocknen. Für die Wohnungssuche können die Gäste telefonieren und auch das Internet nutzen. Im folgenden Satz betont der Sozialarbeiter jedes Wort: „Bitte nie obdachlos schreiben, das ist uns ganz wichtig, wir bemühen uns österreichweit, diesen Begriff Obdachlosigkeit wegzubringen, weil damit verbindet man gleich die Klischees `Sandler´ und `Unter der Brücke schlafen´. Der politisch korrekte Begriff ist `wohnungslos´.“
Ein weihnachtliches Gedankenspiel reizt mein Gegenüber zu einem herzhaften Lachen: Würde Josef mit seiner hochschwangeren Maria in der Notschlafstelle Aufnahme finden? „Ja, wenn Maria noch keine Wehen hat, würden sie natürlich Aufnahme finden, weil sie ja arme Leute gewesen sind. Egal, ob das Kind nun von ihm ist oder nicht.“ - Insgesamt kommen hierher wesentlich mehr Männer. Bei Frauen handelt es sich oft um versteckte Wohnungsnot, da sie mehr dazu tendieren, irgendwo unterzuschlüpfen, wo sie dann wirtschaftlich und auch sexuell ausgebeutet werden, wo sie dann mehr hausen als wohnen. Die Notschlafstelle bemüht sich, ganz frauenspezifische Angebote für ‘Maria und ihre Schwester’ anzubieten. Deswegen gibt es hier auch einen
extra Raum nur für Frauen. Außerdem müssen die Frauen nicht herkommen, sondern die Sozialarbeiter gehen hinaus
zur Beratung. Im Fachjargon heißt das „Aufsuchende Sozialarbeit“.
Große Nachdenklichkeit zur Weihnachtszeit. Zu Weihnachten, am 24. Dezember, ist die Teestube von 9-17 Uhr geöffnet: „Da kochen wir auch ein bisschen was Feineres, alles ist weihnachtlich geschmückt und es gibt auch Weihnachtskekse.”
Die Notschlafstelle ist das ganze Jahr über 24 Stunden besetzt, und zwar mit nebenamtlichen Mitarbeitern, die geringfügig beschäftigt sind. Die Stimmungslage der Klienten ist in dieser besinnlichen Zeit sehr angeschlagen. Die Gäste werden in diesem Teil des Jahres “sehr, sehr nachdenklich”, da sie vermehrt noch klarer erkennen müssen, dass sie ihre Familie ein Stück weit verloren haben. Deswegen ist die Adventzeit im Sozialbereich generell besonders schwierig, weil man merkt, dass die Leute viel emotionaler sind als im Rest des Jahres.
Für die Menschen da sein. Hauptgründe für die Wohnungslosigkeit sind vor allem Scheidungen, aber auch physische und psychische Krankheiten, Suchterkrankungen, Arbeitslosigkeit und Überschuldung. Das Problem ist oft, dass die Menschen erst kommen, wenn es schon zu spät ist, wenn die Wohnung schon weg ist. Kämen sie nur drei oder vier Wochen früher, wäre oft die Wohnung zu retten. Auch die Wirtschaftskrise greift negativ, weil die Leute vermehrt ihre Arbeit verlieren. Wichtig ist dem Sozialarbeiter, dass die Menschen kommen, „bevor sie die Wohnung verloren haben, und dass sie wissen, dass wir auch zu ihnen kommen“.
Warum ist Norbert Vögel hier bei der Caritas? „Menschen bei ihrer Suche nach einer menschenwürdigen Wohnung zu unterstützen ist eine Arbeit die Sinn macht, wie es auf jeder Ausschreibung der Caritas steht.”
Erinnerungen an die glückliche Kindheit. Dann beginne ich doch noch, mit einem Gast der Teestube zu plaudern. Es ist der langhaarige, tätowierte Mann, der an der Theke die Tageszeitung studierte. Rudi S. erzählt, dass er vor sechs Jahren durch Scheidung und Arbeitslosigkeit hierher gekommen sei. Er hat durch diese Stelle, die er als „schon sehr gut“ bezeichnet, Hilfe und eine leistbare Wohnung bekommen.
In die Teestube kommt er jeden Tag, er gehört hier zum Inventar, sagt er mit einem Lachen, das in einen trockenen Husten übergeht. An Weihnachten ist er da und kocht, wie jedes Jahr. Da gibt es dieses Jahr Speckböhnchen und Schnitzel. “Die Bude ist dann immer rammelvoll. Es gibt eine feierliche Rede. Einmal ist auch die Sparkasse gekommen und hat jedem ein Kuvert gegeben oder ältere Damen bringen selbstgestrickte Socken und so „läppert sich das alles zusammen“.
Er denkt dann auch an seine eigenen Kinder, zu denen er keinen Kontakt mehr hat. Er denkt auch an die eigene Kindheit, wo er bei den Großeltern aufgewachsen ist, wo ihm nichts abgegangen sei, wo er auf einem Bauernhof glückliche Jahre verbracht hat. Rudi S. sagt von sich, dass er nicht jeden Tag in die Kirche rennt, aber dass er eine Bibel zuhause hat, die er zu seiner Firmung bekommen hat, in der sein Name in goldenen Buchstaben geschrieben steht, in der er heute noch manchmal liest.