Manchmal braucht es keine großartigen Innovationen, sondern lediglich das Zusammenbringen von Bestehendem. Schon dadurch kann sich ein Rahmen auftun für Begegnung. Die Purzelbaumgruppen mit Flüchtlingen sind ein gutes Beispiel dafür.

Patricia Begle

Purzelbaum Eltern-Kind-Gruppen erfreuen sich seit den 90er-Jahren großer Beliebtheit. Das Format richtet sich nach den Bedürfnissen von Eltern und Kindern und wird ständig weiterentwickelt. Der Ausbildungslehrgang dafür ist eine Kooperation der Elternbildung des Katholischen Bildungswerkes und des Bildungshauses Batschuns. 108 Frauen haben ihn bisher schon absolviert, für viele wurde er zum Sprungbrett ins Berufsleben. Für den kommenden Herbst sind 27 Gruppen in 18 Gemeinden geplant, 35 Frauen sind als Gruppenleiterinnen im Einsatz.

Bedarf im Haus Gaisbühel
Im Herbst 2013 kam seitens der Caritas-Flüchtlingsbetreuung die Anfrage nach einer Begleitung für Familien im Haus Gaisbühel. Nach intensiven Gesprächen und einem Workshop mit den Eltern fiel der Entschluss, eine Purzelbaum Eltern-Kind-Gruppe mit Flüchtlingen zu initiieren. Die Caritas unterstützte organisatorisch, das Land Vorarlberg finanziell, über das Projekt „Kinder in die Mitte“.

Neue Gruppen entstehen
Glücklicherweise absolvierten damals gerade drei Frauen aus Tschetschenien bzw. Dagestan den Ausbildungslehrgang zur Purzelbaum Gruppenleiterin. Als Cornelia Huber, die Hauptverantwortliche für die Purzelbaumgruppen seitens des Bildungswerkes, im Frühjahr 2014 mit dem Projekt startete, holte sie sich dafür Roza Mjagtschieva an die Seite. Die Tschetschenin spricht neben ihrer Muttersprache auch russisch und konnte so bei Bedarf übersetzen und zudem in ihre Arbeit als Gruppenleiterin gut hineinwachsen. Seit Herbst 2015 leitet sie zwei Purzelbaumgruppen mit Flüchtlingen: jene in Gaisbühel mit Jeannette Bobos, eine zweite in Feldkirch mit Bachu Alieva, einer Purzelbaum Gruppenleiterin aus Dagestan.

Die Besonderheiten
„In der Arbeit mit den Flüchtlingsgruppen ist manches anders“, erzählt Jeannette Bobos. „Wir reden manchmal über Themen, die für andere keine sind. Abfalltrennung zum Beispiel, Pünktlichkeit oder Ausflugsziele.“ Größte Hürde ist natürlich die Sprache. Sie muss einfach gehalten werden, auch in Bezug auf Lieder und Reime. „Ein bisschen sind wir auch eine Art Deutschkurs“, erklärt die engagierte Gruppenleiterin. Die Ermutigung zum Reden in der deutschen Sprache ist wohl das, was die Frauen am meisten brauchen. Viele von ihnen sind sehr zurückhaltend und schüchtern. Sie haben Angst zu reden.

Die Situation der Frauen
Überhaupt ist Angst jenes Grundgefühl, das viele Flüchtlinge bestimmt. Die traumatischen Ereignisse in ihrem Heimatland, die Erlebnisse auf der Flucht, das Verlieren von Hab und Gut und vertrauten Menschen, das Ankommen in einem fremden Land, in dem sie die Sprache nicht verstehen -  damit sind die meisten völlig überfordert. Hier bleibt lediglich noch Energie für die eigenen Kinder, alles andere liegt brach. „Die Frauen sind oft gestresst“, erzählt Bachu Alieva, „sie haben überhaupt keine Zeit für sich selbst. Und in ihrem Kopf geht es immer nur um ‚Bescheid, Bescheid‘.“ Die Angst vor der Abschiebung ist groß und nimmt ihnen das Zutrauen. „Die Frauen denken, dass alles schwierig ist“, beschreibt Roza Mjagtschieva, die selbst einmal in dieser Situation gesteckt hat. „Dabei ist vieles ganz leicht.“

Der Gewinn
Die Purzelbaumgruppen holen die Frauen aus ihrer Enge heraus. Zumindest für zwei Stunden in der Woche. Die Freundschaften, die hier entstehen, sind Gold wert. Die Gruppenleiterinnen sind zudem zu wichtigen Ansprechpersonen geworden – auch außerhalb der Treffen. „Es kommt sogar vor, dass Flüchtlingsfamilien bei uns zuhause zu Besuch sind“, erzählt Jeannette. „Durch den direkten Kontakt hat sich das Bild, das ich von Flüchtlingen hatte, völlig verändert. Mir wurde klar: das sind Familien wie wir. Alle Klischees sind nun weg.“

Berufliche Aussichten
Was außerdem typisch für die Situation der Flüchtlinge ist, ist das Brachliegen ihrer beruflichen Kompetenzen. Das trifft auch auf die beiden Purzelbaum Gruppenleiterinnen zu. Roza Mjagtschieva ist Volksschullehrerin, Bachu Alieva Kinderpsychologin. Als sie vor elf bzw. acht Jahren mit ihren Kindern als Flüchtlinge hierher kamen, war ihre berufliche Karriere kein Thema. Heute schon. Nur das Finden einer angemessenen Arbeit ist äußert schwierig. „Wenn ich nach elf Jahren Schule und fünf Jahren Studium putzen gehen muss, dann tut mir das weh“, erklärt Bachu Alieva. Was den beiden vor allem fehlt sind entsprechende Deutschkenntnisse. Ihr Basiswissen reicht nicht aus für qualifizierte Jobs, für vertiefende Deutschkurse aber bleibt bei der Mindestsicherung nichts übrig.

Bestärkung
Auch in dieser Situation war die einjährige Ausbildung zur Purzelbaum Gruppenleiterin ein Glücksfall. Der Lehrgang wird in Kooperation mit dem Bildungshaus Batschuns durchgeführt, umfasst 10 Module sowie einen Praxisteil mit schriftlicher Dokumentation. Für Menschen, die sich in der deutschen Sprache nicht sicher fühlen, stellt er eine echte Herausforderung dar. Für die Frauen  brauchte es deshalb einen kräftigen Anstoß von außen, diesen Schritt überhaupt zu wagen. Und auch im Verlaufe des Kurses wirkten einfache Sätze wie „Du schaffst das, du kannst gut deutsch sprechen“ Wunder. „Wir waren unmutig“, erzählt Roza Mjagtschieva rückblickend. Wieder war die fehlende Sprache ein emotionales Hindernis. Bestandenes aber beflügelte. Souverän leiten Roza Mjagtschieva und Bachu Alieva heute selbstständig ihre Gruppe, im Herbst kommt in Dornbirn eine dritte Gruppe hinzu. Cornelia Huber ist sehr glücklich mit dem Projekt. „Es hat sich hier so vieles zusammengefügt“, erklärt sie dankbar. „Frauen werden bestärkt und befähigt, sowohl die Teilnehmerinnen als auch die Gruppenleiterinnen.“

Ermutigung
Wer einen Purzelbaum schlagen will, braucht nicht nur die richtige Technik dazu, sondern auch eine Portion Mut. Ängstlichkeit und Zögern verhindern das Gelingen. Wer aber über beides verfügt, erlebt eine Bewegung, die Spaß macht und Energie freisetzt. Genau diese Wirkung liegt auch in den Purzelbaum Eltern-Kind-Gruppen.

Mehr Informationen finden Sie unter
www.elternbildung-vorarlberg.at

Dieser Artikel erschien im Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 30 vom 23. Juli 2015.