Bei seinem dreitägigen Solidaritätsbesuch im Irak traf Kardinal Christoph Schönborn den chaldäisch-katholischen Erzbischof Bashar Warda. Dieser schilderte die Lage in und um Erbil, der Hauptstadt der irakischen Kurdenregion.

Vor dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten und dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 lebten im Irak noch bis zu 1,4 Millionen Christen, jetzt sind es im gesamten Land nicht einmal mehr 300.000. Diese Zahlen hat der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, in einem "Kathpress"-Interview vor Ort genannt. Im Nordirak lebten aktuell noch rund 150.000 Christen, weit über die Hälfte davon Binnenflüchtlinge. Das letzte große christliche Flüchtlingsdrama fand im Sommer 2014 statt, als die Terrormiliz IS die nordirakische Stadt Mosul und die gesamte Ninive-Ebene überrannte. Erzbischof Warda sprach im Zusammenhang mit dem Vorgehen des IS von "Völkermord". 120.000 Christen und Jesiden waren 2014 innerhalb weniger Stunden und Tage in die sicheren Kurdengebiete geflüchtet.

Unterstützung seitens der Kirche

Die Kirche bemühe sich nach Kräften, den geflohenen Menschen zu helfen, sagte Erzbischof Warda. Allein in der Region der kurdische Hauptstadt Erbil hätten rund 70.000 Christen Zuflucht gesucht. 20.000 von ihnen haben laut Warda das Land inzwischen aber bereits verlassen. Derzeit betreibt die chaldäische Kirche in Erbil vier Flüchtlingscamps für rund 10.000 Menschen. Eine gleich große Zahl sei in von der Kirche angemieteten Wohnungen untergekommen, so der Erzbischof. Die Kirche leiste auch Nahrungsmittelhilfe, man habe zudem zwei medizinische Zentren und 14 Schulen gebaut. "Wir wollen den Flüchtlingen eine Zukunftsperspektive im Irak geben, damit sie das Land nicht verlassen müssen", betonte Warda. Vor kurzem habe man deshalb auch eine katholische Universität in Erbil eröffnet.

Fremde Sprache

Ein großes Problem für die christlichen Flüchtlinge in Erbil ist die Sprache. Ohne Kurdisch-Kenntnisse sei es für die arabisch-sprachigen Christen kaum möglich, einen Job zu finden, schilderte der Erzbischof. Viele Flüchtlinge hätten deshalb auch schon die Hoffnung auf eine Zukunft in Kurdistan aufgegeben und würden im Westen ihr Glück versuchen. "Jeden Monat verlieren wir 30 bis 40 Familien", sagte Warda.

In der autonomen Region Kurdistan sei das Leben für die Christen jedenfalls besser als in den anderen Teilen des Irak, unterstrich der chaldäisch-katholische Erzbischof. Das betreffe sowohl die Sicherheitslage, als auch die soziale Situation und die gesamtgesellschaftliche Einstellung gegenüber den religiösen Minderheiten.

Warda zeigte sich zuversichtlich, dass es den irakischen und kurdischen Truppen sowie deren internationalen Verbündeten 2016 gelingen werde, die Ninive-Ebene und Mosul von den IS-Milizen zu befreien. Damit sei freilich noch längst nicht alles gewonnen, fügte er hinzu. Denn die Befreiung ändere noch lange nicht die negative Einstellung der muslimischen Bevölkerungsmehrheit gegenüber den religiösen Minderheiten in der Region. Es bräuchte daher massive Sicherheitsmaßnahmen, damit eine Rückkehr der christlichen Bevölkerung in ihre Heimatstädte und Dörfer überhaupt angedacht werden könne.

Friede von "innen"

Der chaldäische Erzbischof räumte ein, dass die christlichen Flüchtlinge das Vertrauen in ihre muslimischen Nachbarn längst verloren hätten, die gemeinsam mit dem IS gegen die Christen vorgegangen waren. Das mache auch in Zukunft ein Zusammenleben schwierig. Den Forderungen von mancher Seite, dass eine internationale Streitkraft die Sicherheit der Christen in der Ninive-Ebene sichern soll, beurteilte Warda skeptisch. Besser wäre es, "wenn der Frieden von innen heraus aus der irakischen Bevölkerung wächst" - freilich ein mehr als fragliches Unterfangen.

Die jüngste Formierung eigener christlicher Milizen im Nordirak sieht der Erzbischof skeptisch. Die Kirche habe die jungen Christen stets ermutigt, entweder der irakischen Armee oder den kurdischen Peshmerga-Kräften beizutreten. Eigene Milizen, seien sie nun christlich, schiitisch oder sunnitisch, würden die ohnehin schon schwierige politische Situation nur noch weiter verkomplizieren, so die Einschätzung Wardas.

kathpress / red.