Was wohl herauskäme, befragte man Herrn und Frau Christ mal zu religiösen Gewohnheiten im Alltag? Die Ergebnisse, die Forscher nach einer Studie zur Religiosität von Muslimen in Österreich gerade vorstellten, rütteln jedenfalls kräftig am Vorurteil – ebenso das jüngste Statement von Österreichs Imamen.
Darum – eine letzte Runde Vorurteilsbingo, bitte: Muslime? Sind das nicht die mit dem Terror? Die, die sich fünfmal am Tag gen Boden werfen, das Schweinskotelett verschmähen, Frauen unter Kopftücher/Burkas/Hidschabs zwingen und ihre Kinder zwangsverheiraten?
Ähm… nein. Und jedem, der etwas anderes behauptet, liefert die Wissenschaft gerade den Gegenbeweis.
Jenseits der Moscheen
Fünf (!) Jahre lang forschten der Soziologe Ednan Aslan, der Politikwissenschaftler und Projektkoordinator Jonas Kolb und Erol Yildiz, Soziologe und Migrationsforscher an der Universität Innsbruck, zur religiösen Alltagspraxis von Muslimen in Österreich. 648 Menschen wurden per standardisierten Fragebogen befragt, weitere 71 gaben in mehrstündigen Interviews Auskunft. Die Stichprobe: bunt gemischt und hinsichtlich Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Ethnien und Glaubensrichtung repräsentativ – das war den Wissenschaftlern noch wichtiger als sonst. Sie steuerten zur Rekrutierung darum nicht zuerst die Moscheen und islamischen Kulturvereine an, sondern Parks, Fitnessstudios, Supermärkte – Orte des Alltags.
Als alle Befragungen geführt und die Ergebnisse ausgewertet waren, standen man mit fünf verschiedenen „Religiositätstypen“ da. Die beiden häufigsten: Die „pragmatischen“ (29,6 %) und die „kulturellen“ (26,6 %) Muslime. „Pragmatisch“ nennen Aslan, Kolb und Yildiz zum Beispiel jene, die die vorgeschriebenen fünf Gebete am Tag zwar „absolvieren“, aber eben so, wie es gerade passt – je nach Arbeitsplatz, Freizeitaktivität oder anderem Umstand. „Kulturellen“ Muslimen, der zweitgrößten Gruppe, ist Religion vor allem zu besonderen Anlässen wichtig, etwa wie jetzt im Fastenmonat Ramadan. Drumherum spielt der Glaube keine Rolle – man kann sie also vergleichen mit jenen Saisonchristen, die man vor allem zu Weihnachten und Ostern in der Kirche trifft.
Glaube: saisonal und sortenreich
Auch eine Entsprechung zu „Taufscheinchristen“ machten die Studienautoren aus: 15 Prozent der Muslime glaubten zwar an Gott und das Paradies, jedoch ohne Entsprechungen dafür in ihrem Alltag zu finden – „ungebunden restreligiös“ heißt das auf Wissenschaftlich. Noch liberaler sind ähnlich viele, nämlich jene 14,8 Prozent Muslime, die eine „offene Religiosität“ leben – Gebet nach Bedarf, Zusammenleben ohne Trauschein, freiheitliches Weltbild.
Bleiben: 14,1 Prozent. Die, auf die so viele Vorurteile gegen Muslime zielen, stellen gemäß der Studie die allerkleinste Gruppe. Diese „Bewahrenden“ seien traditionsverbunden, wertkonservativ und sehr religiös.
„Die“ Muslime gibt es nicht
Und die Moral aus der Geschicht‘? „Die“ Muslime gibt es nicht. Wer glaubt, dass es sich um eine homogene Gruppe handele, die man von weitem an Schleier und Takke erkennt, der irre, so die Autoren. Es seien hierzulande kaum 23 Prozent der muslimischen Frauen, die ein Kopftuch trügen. Gut 80 Prozent der Muslime sind darüber hinaus nicht einmal in Moscheeverbänden organisiert.
Mit den Studienergebnisse, die als 500-seitige Monografie vorliegen, möchte man die Debatten endlich versachlichen helfen. Aslan, Kolb und Yildiz plädieren dafür, neu über eine islamische Theologie im europäischen Kontext nachzudenken – ausgehend von der Lebensrealität der Muslime in Europa.
Nein zum Terror
Deren Imame sind sich trotz aller Verschiedenheit gerade ähnlich einig – vor allem, wenn es um Positionierungen gegen islamistischen Terror geht. Auch hierzulande haben alle rund 300 Glaubensführer jüngst beschlossen, am 14. Juni eine Erklärung zu unterzeichnen, in der sie sich klar von jedweder Form von Extremismus und Gewalt distanzieren. Die Deklaration, die an alle Parlamentarier, Medien sowie andere Religionsgemeinschaften übermittelt wird, solle zudem nicht die letzte Aktion dieser Art bleiben, so die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich. Für den Sommer ist eine Menschenkette vom Islamischen Zentrum in Wien über die Donaubrücke bis zur nächsten katholischen Pfarre geplant.
Zum Weiterlesen und Weiterdenken
Ednan Aslan, Jonas Kolb, Erol Yildiz (2017): „Muslimische Diversität. Ein Kompass zur religiösen Alltagspraxis in Österreich“. Wiesbaden: Springer VS.
Der Gesellschaftspolitische Stammtisch am 12. Juni im Kolpinghaus Dornbirn widmet sich der Frage, wie es jetzt weitergeht – nach dem türkischen Ja zu Erdogans Verfassunsgreferendum.
Quelle: religion.orf.at / APA / kathpress / red