Wie würde öffentlicher Raum am Land und in der Stadt aussehen, wenn wir ihn aus der Perspektive jener gestalten, die ihn an meisten nutzen? Nämlich aus Kindersicht? Architekt und Stadtplaner Reiner Nagel zeigte bei den Tagen der Utopie was bereits Realität ist - und was noch werden kann.

"Wir brauchen jetzt einen konsequenten Perspektivenwechsel für neues Wohnen, Arbeiten und gemeinschaftliches Zusammenleben", hält Nagel gleich zu Beginn seines Vortrags "KinderLandStadt" fest. Kein Querdenken, sondern einen Perspektivenwechsel. In seiner Vision einer Baukultur der Zukunft ordnen wir nicht mehr dem Individualverkehr unsere Dörfer und Städte unter, sondern orientieren uns konsequent an den Bedürfnissen von Kindern. Und deshalb sollte man sie gleich in die Planung mit einbeziehen.

Öffentliche Räume sind wichtig.

Sie sind mehr als nur Plätze, Straßenräume, Grünanlagen oder zugängliche Gebäude wie Bahnhöfe oder Kirchen. "Wenn es keine neutralen Orte der Zusammenkunft mehr gibt, sieht es schlecht aus mit der Verbindung mit der Welt - und dann möchte man wegziehen", erklärt Nagel, warum erreichbare, überdachte, soziale Orte für die Gesellschaft relevant sind. Egal ob in der Stadt oder am Land.
Nur für Autos. Bei seinem Ausflug in die Baukultur-Vergangenheit spricht Nagel von einem Erbe, unter dem viele (deutsche) Städte noch leiden würden: statt menschengerechte wurden autogerechte Städte erschaffen. Auch in den nächsten 30 Jahren könne man wahrscheinlich nur von einer autoarmen Gesellschaft ausgehen, verabschiedet sich Nagel von der Utopie einer autolosen Zukunft. Elektro- und selbstfahrende Autos hin oder her. Nur, dass Autos "unglaublich viel Fläche brauchen", rechnet Nagel vor: Auf 75m² kann man nämlich 4,5 Autos parken, ein Fest für 32 Personen geben oder mit 50 Kindern eine echte Abenteuerparty feiern. Die Lösung? "Blech rausnehmen und die Straßen menschengerechter - und v.a. kindergerechter machen" - wie in Hamburg, wo 2019 die "Altstadt für alle" von Autos freigeräumt wurde. Auch von parkenden.

Zielgruppe: 8 bis 88 Jahre

Versetzt man sich in die Kinderperspektive - und damit auf eine Augenhöhe von 70cm bis 1,30m - werden auch Hochhäuser eher schwierig. "Wir brauchen nicht Spezialimmobilien wie Hochhäuser, sondern gemischte Quartiere und vor allem Mischflächen, in denen alles möglich ist, in denen sich Funktionen überlagern, in denen rückgebaut wird ... ein flexibel nutzbarer Raum, der vielleicht wochenweise anders genutzt wird… für Ereignisse zur Verfügung steht und für alle Menschen nutzbar ist", plädiert der Experte. Oder um es mit den Worten des bekannten Stadtplaners Jan Gehl zu sagen: Wir brauchen eine Stadt für 8- und 88jährige, denn dann haben wir eine "lebenswerte, zukunftsfähige Stadt für Jedermann" geschaffen.

Lage, Lage, Parkanlage

Über eine Stunde zeichnet Nagel ein Bild dieser Stadt, mit Beispielen aus den verschiedensten Städten Deutschlands. Die Anpassung an den Klimawandel spiele der Stadt für Kinder in die Hände, spricht der Baukultur-Experte von grünen Städten mit wohnortnahen Grünflächen für Kinder und ihrem Lieblingsthema: Wasser. Statt weiter zu verdichten, müsse die Direktive "Lage, Lage, Parkanlage" lauten, so Nagel - und die komme nicht ohne Bewässerung in Form von Brunnenanlagen oder Fontänen aus. "Kinder haben einen kleineren Aktionsradius als Erwachsene", plädiert Nagel dafür, Stadt so neu zu denken, dass "Kinder direkt von der Haustür loslegen können". Auch wenn dafür eine Brücke gebaut oder ein Fluss freigelegt werden muss. "Wir werden durch Räume geprägt und später, wenn wir selbst handeln, oder anfangen zu handeln als Kinder und Jugendliche, prägen wir wiederum die Räume", spricht Nagel sich dafür aus, "Kindern wieder einen Umgang mit Umwelt, gebauten Räumen, Bestand oder Denkmal beizubringen". Und deshalb müssen sie auch früh in Beteiligungsprozesse eingebunden werden, oder wie Nagel es ausdrückt: "Kinder an die Macht".