Rainer Maria Schießler ist katholischer Pfarrer aus Leidenschaft. Er setzt sich über gesellschaftliche Grenzen hinweg, segnet Menschen aller Glaubensrichtungen und Lebenseinstellungen, engagiert sich für die Ausgegrenzten in der Gesellschaft und hat zweistellige Beitrittszahlen in seiner Münchner Gemeinde St. Maximilian. In der Herz-Jesu-Kirche in Bregenz nahm er vergangenen Montag die ZuhörerInnen mit auf eine persönliche Lesereise.

Kurz vor 18 Uhr. Pfarrer Schießler sitzt mit Jeans, weißem Hemd und blauem Sakko am Signiertisch und schreibt Fanpostkarten und Widmungen in seine Bücher. Drei sind bis dato erschienen: „Himmel, Herrgott, Sakrament – auftreten statt austreten“, „Jessas, Maria und Josef“ und die „Schießler-Bibel“. Die Bücher, alle Spiegel-Bestseller, liegen gestapelt auf dem Tisch. Als ich an die Reihe komme, stelle ich mich als Rosa von der Katholischen Kirche Vorarlberg vor und frage, ob es ihm recht ist, wenn ich nun einige Fotos mache. Schießler hebt die Augen und sagt: „Das wäre doch schön, wenn Sie die Bischöfin Rosa wären!“ Ich denke zuerst, ich habe mich wohl verhört. Aber er meint weiter: „Wenn Sie sich jetzt als Bischöfin vorgestellt hätten, wären wir doch ein ganzes Stück weiter.“

Theologischer Freigeist

Das war wohl ganz Pfarrer Schießler, wie er leibt und lebt. Und mein ganz persönlicher Einblick in einen aufgeweckten und hinterfragenden Geist, den Rainer Maria Schießler tief im Inneren bewegt und ihn zu jenem, weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, bekannten Pfarrer gemacht hat. Schießler gibt während der zweistündigen Lesung, die von der Arche Buchhandlung organisiert wurde, einen kurzweiligen Einblick in sein Leben und seine Anliegen. Eigentlich hat die Lesung eher den Charakter eines Vortrages, aber das ist wahrlich der einzige Wehrmutstropfen. Erst nach 90 Minuten findet der engagierte Redner Zeit, Auszüge aus seinem Buch vorzustellen.    

„Geht dorthin, wo es wehtut“

„Eine Kirche ist erst dann Kirche, wenn sie sich selbst als Lazarett sieht.“ Mit diesen bildhaften Worten weist Rainer Maria Schießler auf die Woche der Weltmission hin und auf ein Anliegen, das dem engagierten Münchner tief am Herzen liegt: „Wir müssen für die Geschundenen, für die Ausgeschlossenen und für die Armen da sein.“ Und er fährt fort: „Wir haben nur eine Chance in einer Gemeinschaft, in der die Rechte der Menschen nicht missachtet werden.“ Pfarrer Schießler weiß mit Worten umzugehen und unterstreicht diese mit ausladenden Gesten, reicher Mimik und sonorer Stimme. Das kommt an, nicht nur in Bregenz. Vor dem Ausbruch der Pandemie besuchten mehr als 500 Menschen jeden Sonntag seine Gottesdienste in St. Maximilian. Am Sonntag vor der Lesung waren es so um die 350 berichtet der 61-jährige nicht ohne Stolz.

Jessas, Maria und Josef

Rainer Maria Schießler ist in einer tiefgläubigen Familie aufgewachsen, bescheiden wie er erzählt: „Wir haben zu viert in einer Drei-Zimmerwohnung auf 56 qm gelebt.“ Er beschreibt das Zusammenleben mit seinen Eltern und seinem Bruder: „Meine Mutter war sehr streng und bestand auf absolute Gewaltlosigkeit, nicht mal ein kleiner Fluch wurde geduldet, aber damit war in der Enge der Wohnung ein gutes Zusammenleben möglich.“ Zum alltäglichen Leben gehörte das Gebet ebenso wie das Bekreuzigen vor dem Verlassen der Wohnung und die Ausrufe seiner Mutter, wenn er eine gute oder eine schlechte Note nach Hause brachte: „Jessas, Maria und Josef!“ So lautet auch der Titel seines zweiten Buches, in dem er kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn er Missstände in der katholischen Kirche anprangert und fehlenden Mut, notwendige Reformen anzuschieben. Seine Eltern mussten Mut im Leben beweisen. Aus deren Leben, das vom Krieg und seinen Auswirkungen geprägt war, hat Schießler etwas Wichtiges mitgenommen. Einen Satz, der zu so etwas wie einem Leitfaden in seinem Leben wurde: „Du hast nur Zukunft im Leben, wenn du die Vergangenheit, sei sie auch noch so schmerzhaft, nicht verdrängst, sondern mitnimmst.“

Der Bestimmung verpflichtet

Auch er hat schmerzhafte Umbrüche erlebt, ohne die er nicht derjenige wäre, der er heute ist. Ein Jahr vor dem Abitur lernt er in München einen Mönch aus dem Kapuzinerorden kennen und weiß von dem Moment an, dass er Priester werden möchte. Er erlebt ein erfülltes Jahr als Novize, doch mit 19 Jahren wusste er, das kann es nicht gewesen sein: „Das harmonische und geordnete Ordensleben, alles wird für einen organisiert, dafür war ich wirklich zu jung“, erzählt er und ergänzt: „Ich wusste, ich muss mich nach außen hin gestalten können.“ Es folgte ein Theologiestudium in München und Salzburg. Während Pfarrer Schießler lebhaft seinen Lebensweg vor uns ausbreitet, kommt immer wieder der Satz: „Es geht nicht darum, dass es dir gefällt, sondern dass du dem folgst, was deine Bestimmung ist.“ Eine Bestimmung des Kirchenrebellen ist sicherlich das Hinterfragen von Bestehendem. Das kommt auch in seinem ersten Buch zum Ausdruck. Getreu dem Motto "Auftreten statt austreten" animiert er gläubige Katholiken zu einem stärkeren Engagement innerhalb ihrer Pfarrgemeinschaft. Schießler versteht es zu provozieren, ohne zu beleidigen. Und er hat eine Mission.

Die Suchenden sehen

„Was muss heute eine Mission tun?“ fragt er in die Runde. Und diese Frage ist keine rhetorische, wie wir gleich erfahren: „Mission heißt heute keine Menschen auszuschließen, vor allem nicht die 50% der Menschen, die Frauen. Mission heißt die Suchenden sehen und mit ihnen gemeinsam Lösungen zu finden. Mission heißt Menschen begleiten.“ Pfarrer Schießler beherrscht das gesprochene Wort, aber die Tat ist ihm wichtiger. Er, dessen Gemeinde im Münchner Schwulenviertel Glockenbach liegt, weiß wovon er redet. Trotz des „Papieres aus Rom“ wie er es nennt, werde er weiter Homosexuelle segnen und er sagt provokant: „Gesegnet wird, was kommt!“ Was zu spontanen Lachern unter den ZuhörerInnen führt. Hier ist sie wieder - die Fülle, die alles beinhaltet, wie Schießler betont: „Das Gute, das Schlechte, das Unten, das Oben und in allem ist der Herrgott. Der Herrgott ist mein Leben.“

Weitere Infos zu den Büchern von Rainer Maria Schießler unter www.buchhandlung-arche.net