Die Vorarlberger Plattform für Menschenrechte veranstaltet am 15. Dezember am Spielboden bereits zum 6. Mal einen „Tag der Menschenrechte“. Einmal, um die Menschenrechte als große Errungenschaft zu feiern, und gleichzeitig um zu sensibilisieren, dass deren Umsetzung und Einhaltung längst nicht selbstverständlich sind.

Die Fragen stellte Claudia Niedermair
Das vollständige Interview erschien in: Kultur Dezember 2019/Jänner 2020

Heuer widmet sich der Tag der Menschenrechte der Wirkmacht von Sprache. Lange Zeit galten Menschenrechte als unumstößlich und unantastbar. Mit dem Aufschwung reaktionärer politischer Bewegungen und Parteien – international und national – werden diese Selbstverständlichkeiten aber immer häufiger in Frage gestellt, Grenzen des Sagbaren verschoben und Ressentiments gegen demokratische Grundpfeiler geschürt.
Franziska Schutzbach, eine Basler Soziologin und Geschlechterforscherin, zeigt in ihrem Buch über rechtspopulistische Kommunikationsstrategien, wie rechte und rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft annehmbar werden.

In Österreich hatten wir im Herbst Nationalrats-, in Vorarlberg Landtagswahlen, mit großen Verlusten der FPÖ, Matteo Salvini hat sich selbst aus der Regierung katapultiert. Ist der Zenit für rechtspopulistische Parteien, die auf Spaltung, Hetze und Gehässigkeiten setzen, überschritten? Haben sie sich selbst „entzaubert“?
Franziska Schutzbach: Mit solchen Prognosen bin ich vorsichtig. Selbst wenn Rechtspopulisten an einigen Orten wieder an Macht einbüßen, so haben sie dennoch tiefe Spuren hinterlassen, sei es mit konkreten politischen Beschlüssen, sei es, indem sie rechten und rechtsextremen Positionen wieder große Legitimität verliehen haben. Verschiedene Studien zeigen, dass z. B. gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet ist. Diese Einstellungen sind da, unabhängig davon ob gerade Rechtspopulisten an der Macht sind. Wenn sie an die Macht kommen, ist das aber natürlich ein Angebot, solchen Einstellungen erst recht freien Lauf zu lassen, die Hunde quasi von der Leine zu lassen.

Das Angebot verstärkt Einstellungen, die ohnehin verbreitet sind?
Schutzbach: Rassismus, Hierarchisierung, Ausschluss und Diskriminierung sind in der bürgerlichen Gesellschaft selbst angelegt. Daran können rechte und rechtsextreme Ideologen gut anknüpfen. Wir können uns also keineswegs einfach auf die bürgerliche Mitte als Träger der Demokratie verlassen, gerade in Österreich wurde ja deutlich, wie schnell sich Teile dieser angeblichen Mitte mit Rechtsextremen ins Bett legen. Wenn wir weiterhin so tun, als wären die Probleme irgendwo am rechtsextremen Rand, dann werden rechte Angebote auch in Zukunft immer wieder erfolgreich sein.

In Ihrem Buch „Die Rhetorik der Rechten“ beschreiben Sie 20 Diskursstrategien, welche würden Sie als besonders wirkmächtig einschätzen?
Schutzbach: Sie sind vor allem wirkmächtig in ihrem Zusammenspiel. Besonders wirkmächtig ist sicher die Rhetorik der Emotionen, dass also nicht auf Argumente gesetzt wird, sondern auf Basis von verzerrten Fakten Ängste geschürt und Feindbilder konstruiert werden. Damit wird erstens das verlockende Angebot gemacht, Ängste auf andere zu projizieren und diese für sämtliche Schwierigkeiten im eigenen Leben verantwortlich zu machen. Die klassische Sündenbockdynamik. Zweitens kann man sich dadurch – was ebenfalls verlockend ist – selbst erhöhen, sich über andere stellen. Ebenfalls sehr wirkmächtig war in den vergangenen Jahren die Behauptung, Menschen dürften heute nicht mehr frei ihre Meinung äußern. Thilo Sarrazin hat die Rhetorik einer angeblichen Meinungsunterdrückung im deutschsprachigen Raum salonfähig gemacht. Er inszenierte sich als Opfer von Tabus und legitimierte damit, unter dem Motto der Meinungsfreiheit, rassistische, frauenfeindliche o. ä. Positionen vertreten zu dürfen.

Es gibt aber Studien, die belegen, dass Menschen wirklich das Gefühl haben, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können.
Schutzbach: Ja, dieses Gefühl gibt es offenbar, es wurde wohl erfolgreich geschürt. Denn faktisch ist es so, dass wir zu keiner historischen Zeit so viel Möglichkeiten hatten, unsere Meinungen kund zu tun. Die Behauptung, es gebe Tabus, ist auch einigermaßen absurd angesichts der Tatsache, dass Leute wie Sarrazin zur besten Sendezeit und in großen Medien wie der „Bild-Zeitung“ permanent zu Wort kommen.

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Ihr Vortrag am Menschenrechtstag hat den Titel, wie Menschenrechten schleichend ihre Grundlagen entzogen werden. Welche Gefahren sehen Sie?
Schutzbach: Beim Anti-PC-Bashing etwa werden nicht irgendwelche radikalen feministischen Ideen angegriffen, sondern infrage gestellt wird die Basis demokratischer und im Grundgesetz verankerter Vereinbarungen. Es geht um eine schleichende Infragestellung von Egalität und Menschenrechten. Das ist zentral in der rechten Agenda: Man will kein gerechtes System für alle, sondern nur für manche, für seinesgleichen, für die „eignen Leut“. Oder wie der Rechtsintellektuelle Kunze proklamiert, man solle das den „verfassungsrechtlichen Normen gehorchende System der Gleichheit“ zerstören, da es allen Menschen ermögliche, ihre Belange geltend zu machen. Deshalb solle man laufend den Terror von Minderheiten beklagen und Menschenrechte als „ideologisch“ brandmarken.

Zum Weiterlesen & -denken

Auf die Frage nach Gegenstrategien verweist Franziska Schutzbach auf die Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Haltung zeigen! Gesprächsstrategien gegen rechts.“ Sie ist hier erhältlich »

Vorarlberger Tag der Menschenrechte
17 Uhr Vortrag: Franziska Schutzbach „Wie den Menschenrechten schleichend die Grundlagen entzogen werden“