Diözesane Einrichtungen für Opfer im kirchlichen Bereich verzeichneten seit Jahresbeginn insgesamt 566 Kontakte - Wiener Ombudsstellenleiter Wancata: Beweis für Vertrauen in seriöse Betreuung

Wien-Graz, 30.03.2010 (KAP) Die kirchlichen Ombudsstellen für Opfer sexuellen Missbrauchs werden stark genützt. Die Gespräche, die die dort engagierten Fachleute mit Opfern, Mitwissern und Tätern führen, sind seit Jahresbeginn in allen neun Diözesen enorm angestiegen: Seit 1. Jänner 2010 wurden insgesamt 566 Kontakte per Telefon oder E-Mail verzeichnet, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten kirchlichen Statistik hervorgeht.

Der Leiter der Ombudsstelle der Erzdiözese Wien, der Psychiater Prof. Johannes Wancata, sieht hinter diesen Zahlen auch einen Vertrauensbeweis: Die Betroffenen hätten offenbar das "Gefühl, adäquat betreut zu werden", so Wancata am Mittwoch im Gespräch mit "Kathpress".

Wurden im gesamten Jahr 2009 in der personell am besten ausgestattete Wiener Ombudsstelle 17 Kontakte (davon acht erhärtete Verdachtsfälle) registriert, so vermeldete Wancata heuer bis dato mehr als zehn Mal so viele, nämlich 174. Die allermeisten davon, so Wancata am Dienstag gegenüber "Kathpress", entfallen auf die Zeit vor 1993 und sind somit höchstwahrscheinlich rechtlich verjährt. Aussagen darüber, hinter wie vielen der in den vergangenen drei Monaten angefallenen Kontakte konkrete Verdachtsfälle stecken, sind derzeit seriöserweise noch nicht möglich, so Wancata: "Die Abklärung braucht Gespräche, und die brauchen Zeit." Etliche würden sich mit Botschaften melden wie: "Wurde missbraucht, bitte um Rückruf". Jedem einzelnen Fall werde sorgfältig nachgegangen.

Ähnlich ist die Situation in anderen Diözesen: In Innsbruck meldeten sich bei der Ombudsstelle seit Jahresbeginn 115 Personen, in Linz 78, in Graz-Seckau 63, in der Erzdiözese Salzburg 55. Es folgen Eisenstadt mit 29 Kontakten, St. Pölten mit 22, Gurk-Klagenfurt mit 16 und Feldkirch mit 14. Künftig wird die katholische Kirche monatlich Zahlen über die in den Ombudsstellen verzeichneten Kontakte bekannt geben.

Missbrauchsvorwürfe größtenteils verjährt

Basierend auf detaillierteren Daten aus sieben Diözesen hat Johannes Wancata die Kontakte der Ombudsstellen grob zugeordnet: Jeweils rund ein Viertel der gemeldeten Fälle beziehen sich auf sexuelle Übergriffe und auf Gewalttätigkeiten, in knapp der Hälfte der Kontakte ist eine auch ungenaue Differenzierung jedoch noch nicht möglich.

Auch die zeitliche Zuordnung ist laut Wancata noch recht vage: Laut dem Datenmaterial von sechs Diözesen entfallen 53 Prozent der Fälle auf die Zeit vor 1993, nur ein Prozent auf die Zeit danach. Bei fast der Hälfte der Kontakte bleibt die Datierung noch offen.

Großer Ansturm auf kirchliche Ombudsstellen

Wie groß der Ansturm der vergangenen Wochen auf die einzelnen Ombudsstellen ist, verdeutlichte die Verantwortliche in der Diözese Graz-Seckau, Birgit Posch-Keller, im Gespräch mit "Kathpress": 70 Überstunden hätten sich bei der als erste Ansprechperson fungierenden Psychotherapeutin im vergangenen Monat angesammelt, wobei Posch-Keller in der Regel an zwei weitere Therapeuten verweist, mit denen die Kirche seit Jahren zusammenarbeitet und deren Begleitung erwiesener Opfer sie finanziert. Aber auch Betroffenen, die lieber einen Therapeuten ihres Vertrauens bei der Begleitung ihres Aufarbeitungsprozesses zuziehen, werde entgegengekommen, so Posch-Keller.

Auch sie unterstrich, dass sie nicht mit aktuellen Missbrauchsfällen konfrontiert ist, sondern meist mit lange zurückliegenden aus den 1950er und 1960er Jahren, seltener mit solchen aus den 1970ern und 1980ern. Posch vermittelt neben therapeutischer Hilfe auch rechtliche Beratung. Und im eigens gebildeten diözesanen Stab für Missbrauchsvorwürfe, der sich nach den zahlreichen bekannt gewordenen Fällen in Graz gebildet habe, sitzen neben Posch-Keller u.a. auch Bischofsvikar Heinrich Schnuderl, Diözesansprecher Georg Plank sowie ein Jurist. Personell aufgestockt wurde laut Posch-Keller zuletzt das diözesane "Dialog-Center", eine Anlaufstelle für Kommentare, Wünsche, Beschwerden aller Art - und zuletzt auch viel "Kirchenfrust".

Linktipp
_ Beratungsstelle der Diözese Feldkirch zum Schutz vor Gewalt und sexuellen Übergriffen