"Auch wenn es stimmt, dass Gott nach Nietzsche tot ist, brauchen wir ihn so sehr". Na, wer hat das gesagt? Michael Köhlmeier, seines Zeichens Schrifsteller, erklärt warum ohne Kirche ein Rückzug in "verschwurbelte esoterische Kreise" droht.

„Nun sag', wie hast du's mit der Religion?", heißt in der Weltliteratur. Einer, der auch große Literatur schreibt, hat in einem ausführlichen Interview in der deutschen Zeitschrift "Herder Korrespondenz" (Ausgabe 3/22) nun über sein Verhältnis zum Christentum, zur Bibel und zur Kirche gesprochen. "Vielleicht sind wir einfach noch nicht reif dazu: Aber es geht sich logisch nicht aus, dass man selbst die eigene Instanz für alles ist", erklärte Köhlmeier. Es wäre "ein Widerspruch in sich, wenn wir alle unsere ethischen Kriterien und alle Phantasie, allen Glauben und allen Sinn selbst machen wollten oder als von uns selbst gemacht ansehen wollten".

Eine Liebe ohne Hingabe ist nicht möglich

Die Aufklärung konsequent zu Ende gedacht hieße, dass Trost im Leben nur aus uns selbst kommen würde, gab der Autor, der in seinen Werken immer wieder mythologische und religiöse Stoffe aufgreift, zu bedenken. "Mit dieser Selbstbezüglichkeit können wir aber nur schwer umgehen." Köhlmeier argumentierte auch anthropologisch für die Notwendigkeit von Religion: Eine Liebe ohne Hingabe sei nicht möglich, ein Mensch, der nicht vertrauen kann, "armselig". Auf diese Lebensrealitäten könne die Aufklärung keine befriedigenden Antworten geben - "so wie man auch nicht das Rätsel von Mozarts 40. Sinfonie einfach löst, indem ein Taktometer die Schwingungen aufzeigt".

Alle Menschen sind gleich, jeder trägt einen göttlichen Funken in sich

Allerdings habe die Aufklärung die beste Essenz der Religion in sich aufgenommen, verwies Köhlmeier auf die Bergpredigt und "den großen humanistischen Impetus in den Evangelien". Angesichts der Kriminalgeschichte des Christentums werde vergessen, dass durch den christlichen "Gott, der für alle da ist" die gesamte Menschheit gleichsam unter göttlichen Schutz gestellt werde. Das Entscheidende dabei habe die Aufklärung mit der Erklärung der Menschenrechte aufgenommen, betonte Köhlmeier: "Alle Menschen sind gleich, jeder trägt einen göttlichen Funken in sich."

Jesus - tief menschlich

Der Jesus des Neuen Testaments, dem Köhlmeier 2011 mit "Der Menschensohn" aus der Sicht des ungläubigen Thomas ein eigenes Buch widmete, habe ihn "irritiert, aber auch gerührt", so der Schriftsteller weiter. Den Fortbestand der Kirche könne man "auch politisch erklären". Doch "warum sich eine Figur wie Jesus so lange in unserem Bewusstsein gehalten hat" und "immer noch Leute inspiriert", sei erstaunlich. "Ich meine: Da ist so viel tief Menschliches auf den Punkt gebracht in einer Person." Zugleich wisse er nicht, "ob man ihm gerne begegnet wäre", schränkte Köhlmeier ein. Er sei ein Charismatiker, also "jemand, der auf vollkommen unberechenbare Weise anziehend ist und zugleich abstößt".

Kein Kirchenmann

Köhlmeier teilt die Beobachtung, dass Religion heute wieder verstärkt in der Literatur aufgegriffen wird - "wobei religiöse Fragestellungen der richtige Begriff ist". Er sei "kein Kirchenmann", deshalb sehe er die Abwendung von der katholischen Kirche, ausgelöst durch aktuelle Skandale, gelassen bzw. begrüße die Aufdeckung lange verdrängter Missstände. "Aber nachdenklich macht mich die Abwendung von der Kirche schon", räumte der Schriftsteller ein. Sie führe zwar nicht dazu, dass sich die Leute unbedingt von der Religion abwenden. "Aber es kann dazu führen, dass sie sich in verschwurbelte esoterische Kreise zurückziehen. Sie verlieren durch das Gequatsche aber dann ihren religiösen Halt."

Welche Rolle Religion in seinem Eltenrhaus gespielt hat, was ihm an der Kirche gefällt und was Kirche mit Demokratie zu tun haben könnte, lesen Sie im ganzen Interview. (red/kathpress)