Wählen am 7. Juni ist die einzige Möglichkeit, das EU-Geschehen direkt mitzubestimmen. Univ.-Prof. Dr. Anton Pelinka war von 1975-2006 Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Der renomimierte Politologe ist seit 2006 Professor of Political Science and Nationalism Studies an der Central European University in Budapest. Im KirchenBlatt-Interview ruft er dringlich zur Teilnahme an der EU-Wahl auf.

Das Gespräch führte Daniel Furxer

Warum sollte man am 7. Juni wählen gehen?

Zum einen: Österreich ist Teil der Europäischen Union (EU) und als Bürger/in der EU ist die Beteiligung an der Wahl die einzige direkte öglichkeit, am EU-Geschehen mitzubestimmen. Zm zweiten kann auf die Stärkeverhältnisse er europäischen Fraktionen im
europäischen Parlament Einfluss genommen erden, wenn man Parteien wählt, drei davon in Fraktionen verankert (Anm. der Redaktion: Europäische Sozialdemokraten, Konservative und Grüne) , die dann mitentscheiden können. Es ist zu beobachten, dass die österreichischen Abgeordneten im europäischen Parlament in den jeweiligen Fraktionen eigentlich elativ prominent und erfolgreich waren.

Stimmt die Optik, dass Österreich im europäischenParlament fast nichts ausrichten kann mit so wenig Stimmen, wir haben ja nur 17 von 736 Sitzen?

Die Optik stimmt und stimmt nicht. Genauso wie ein Vorarlberger Dorf mit 50 Einwohnern nicht die Illusion haben darf, zu bestimmen was in Vorarlberg passiert. Aber die 17 Abgeordneten haben natürlich die Möglichkeit, durch Absprachen oder durch politische Kompromisse etwas zu erreichen. Ja es stimmt auch, Österreich ist ein relativ kleines Land in Europa und man kann auch nicht durch Rechenkunststücke etwas daran ändern. Wenn wir uns die EU als demokratisch wünschen, muss klar sein, dass ein Land, das weniger als zwei Prozent der europäischen Einwohnerschaft stellt, nicht über andere bestimmen kann.

Wären europaweite Listen für Sie denkbar, um die Wahl zum europäischen Parlament spannender zu gestalten?

Ja, denn die Menschen haben ja nicht nur eine nationale Identität. Das sollte man vielleicht stärker in die Diskussion einbringen. Wenn jemand in Österreich bei Nationalratswahlen z. B. die sozialdemokratische Partei wählt, dann könnte man doch annehmen, dass sich diese Person auch mit der europäischen sozialdemokratischen Partei identifiziert. Dann müsste diese Person sich fragen, was bringt meine Stimme der  europäischen Sozialdemokratie, nicht was bringt sie Österreich. Dieses nationale „Kastldenken” ist ein Hindernis und entspricht nicht dem Grundgedanken der europäischen Union. Europäische Listen könnten da ein Umdenken bewirken.

Würde die Türkei der EU beitreten, gäbe es dann eine Bedrohung des „christlichen Abendlandes“?

Die EU ist an sich säkular, aber natürlich wird die EU mit einer christlichen Geschichte in Verbindung gebracht. Nun müssen wir aber sehen, dass der Islam ja schon in Europa ist. In Österreich ist sie die zweitgrößte Religionsgemeinschaft, in Frankreich ebenfalls. Es ist auffallend, dass in einem Land wie Österreich, in dem wir wissen, dass die Mehrzahl der Bevölkerung
eine eher lockere Beziehung zu christlichen Kirchen hat, plötzlich das Christentum als Argument verwendet wird, um die Türkei draußen zu halten, ein Christentum, das im Alltag der Mehrzahl der Menschen Österreichs eine Festtags-, Begräbnisund Hochzeitsrolle spielt. Es ist sehr deutlich, dass hier nicht die Religion gemeint ist, sondern es geht um Ängste vor der Migration, es geht um Ängste um die eigene Zukunft am europäischen Arbeitsmarkt. Es geht natürlich auch um Nationalismus und zumindest unterschwellig um Rassismus.