Wie heißt es doch so schön? Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Für sechs Schnifner hat diese Redewendung seit Juli wohl eine größere Bedeutung, trugen sie doch gemeinsam ein Gipfelkreuz auf die 2704 Meter hohe Rote Wand. Vergangenen Sonntag war die Gipfelmesse nebst Einweihung.

Ja, sie hätten es sich leicht(er) machen können. Indem sie das Gipfelkreuz im Tal zusammenbauen und dann mittels Hubschrauber auf die Rote Wand fliegen lassen zum Beispiel. Ein Gedanke, der für die sechs Mitglieder des Vereins „Gipfelkreuz Rote Wand 2020“ aber nie in Frage kam. „Aus Wertschätzung dem Berg gegenüber und den Menschen, die es damals hochbrachten“, erklärt Obmann Mathias Nigg.

Niemals mit Hilfsmitteln

„Damals“ heißt 1966, als 14 Bergbegeisterte und Mitglieder der Katholischen Arbeiterjugend dort das erste Gipfelkreuz errichteten. 400 Kilo trugen die Schnifner einst von der Alpe Klesenza in Sonntag-Buchboden rund sieben Stunden auf den Gipfel. Drei Anläufe seien aufgrund von Schnee und Unwetter nötig gewesen, erzählen zwei, die damals quasi „tragend“ dabei waren: Leo Amann (76) und Othmar Duelli (89). Und als der Blitz in der Nähe eingeschlagen habe, „rannten wir den Berg wieder runter“, erinnert sich Amann an bange Momente. Passiert ist gottseidank nichts, denn „wenn man ein Kreuz trägt, muss man ein bisschen Glück haben“, lacht Amann. Damals wie heute wurde das Kreuz in einer Zimmerei in Schnifis gefertigt, in Einzelteilen ohne Hilfsmittel nach „oben“ transportiert und wieder errichtet.

Grausamer Ursprung

Aber was macht ein „Schnifner Gipfelkreuz“ auf der Roten Wand im Lechquellengebirge? Zum einen habe man einen besonderen Bezug zum Berg, der einem als Schnifner quasi „vor der Nase steht“, erklärt Amann. Zum anderen war die Agrargemeinschaft Schnifis schon damals im Besitz der Alpe Hutla am Fuße der Roten Wand - nahe der Alpe Klesenza, wo der junge Pfarrer Josef Kary aus Löffingen wirkte. Zum Dank für seine Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft und in Gedenken an seinen Bruder Karl, der bei lebendigem Leib vor den Augen aller zersägt wurde, errichtete dieser 1953 eine Marienkapelle auf der Alpe Klesenza. Kary und die Schnifner hatten einen guten Draht zueinander, und als der Pfarrer den Wunsch nach einem Gipfelkreuz auf dem bislang „leeren“ Berg äußerte, wurden sie aktiv. Am 14. August 1966 fand zum ersten Mal eine Gipfelmesse statt und wurde zur Tradition, die alle fünf Jahre nicht nur zahlreiche Bergbegeisterte, sondern auch die Schnifner Gemeindemusik auf die Rote Wand lockt.

Damals wie heute

Auch am 9. August 2020 wanderten rund 100 Menschen auf diesen „Berg zum Verlieben“, wie ihn Othmar Duelli nennt, um mit Pater Peter Rinderer Messe zu feiern. Nur, dass seit 4. Juli ein neues Kreuz den Gipfel schmückt. Bereits vor vier Jahren erkannten ein paar junge Schnifner den zunehmend schlechter werdenden Zustand des 54 Jahre alten Kreuzes und setzten sich ein Ziel: Ein neues Gipfelkreuz, das in einer ebenso „ehrlichen Art und Weise“ errichtet werden sollte, wie das alte. Sie gründeten einen Verein, bezogen die Ersterrichter in ihren Plan mit ein und überlegten sich eine entsprechende Konstruktion „Sämtliche Bestandteile auf den Gipfel zu tragen, hat sich im Nachgang als hoher Mehrwert herausgestellt - es war eine tolle gemeinschaftliche Leistung aller Beteiligten und macht uns heute sehr stolz“, spielt Vereinsmitglied Björn Berchtel auch auf die 20 Helfer an, die  bei der Errichtung im Juli zur Stelle waren und knapp 1.200 Höhenmeter mittrugen.

Man kann ja auch ein bisschen beten

Die Vorbereitungen für das Projekt waren akribisch - vom Holz schlägern und transportieren mittels Pferd über den Bau des Kreuzes in der Zimmerei bis hin zum zweimaligen Aufbauen als „Trockentraining“ im Tal. Gemeinsam wurde der ausgesetzte Gipfelgrat beim ersten Einsatz im Juni mit Seilen gesichert und die 36 Kilo schweren Stahlteile für das Fundament nach oben getragen. „Die kleinste Arbeit war das Kreuz aufzustellen“, erklärt Vereinsmitglied Norbert Burtscher, dass das Kreuz direkt auf dem Felsen zusammengebaut, mit einem leichtem Zug aufgestellt und dann fixiert wurde. Bei Windstille kein Problem - „und man kann ja auch ein bisschen beten“, lacht er.

Ein Gipfel voller Menschen

Gebetet wurde auch bei der Gipfelmesse am vergangenen Sonntag mit Pater Peter Rinderer, bei der rund 100 Menschen auf der Roten Wand und weit mehr auf der Alpe Klesenza mitfeierten. „Dieses neue Gipfelkreuz und andere Kreuze in unserem Alltag erinnern uns an die wichtigsten Gebote aus der Bibel für ein geglücktes Leben: Es ist das Vertrauen auf Gott und die Liebe zu den Menschen um mich herum. Eigentlich ganz einfach, und doch so schwer“, predigte Rinderer an diesem „historischen Tag“.

War noch nie im Leben so fertig

„Das Gefühl, dass man das machen hat können, bleibt ein Leben lang“, sind die Ersterrichter Duelli und Amann stolz auf die sechs Schnifner und erinnern sich an damals: „Ich war im Leben noch nie so fertig“, so Amann. Das Gipfelkreuz im Ruhestand wurde übrigens zersägt und bis auf wenige Reste dem Feuer überlassen - die gut erhaltenen Holzteile werden laut Berchtel „ein Anerkennungsgeschenk für die damaligen Ersterrichter und ihre besondere Leistung im Jahr 1966“. Der 2018 gegründete Verein hat seine Schuldigkeit damit aber noch nicht getan. „Wir wollen auch langfristig die Pflege und Instandhaltung des Gipfelkreuzes gewährleisten“, erklärt Berchtel. Die Jahreshauptversammlung soll deshalb nach Möglichkeit auf der Roten Wand stattfinden und auch die Befestigung des Gipfelkreuzes werde regelmäßig überprüft. Nur das Gipfelbuch wird weiterhin von der Bergrettung Sonntag ausgetauscht und von der Gemeinde Sonntag archiviert werden. Wer sich vom neuen Gipfelkreuz selbst ein Bild machen möchte, sollte übrigens absolut trittsicher und schwindelfrei sein - für alle anderen lohnt sich ein Blick online in die Bildergalerie.

Die gesamte Predigt von Peter Rinderer im Wortlaut finden Sie hier