Kommenden Dienstag beginnt in Lindau die 10. Versammlung der „Religions for Peace“ – mit 900 ReligionsvertreterInnen aus mehr als 100 Ländern. Die Versammlung steht unter dem Motto „Caring for Our Common Future – Advancing Shared Well-Being“ („Für unsere gemeinsame Zukunft sorgen – das Gemeinwohl für alle fördern“) und findet erstmals in Deutschland statt. Ulrich Schneider ist als Geschäftsführer der Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft für die Durchführung zuständig und sprach vorab mit uns.

Ulrich Schneider mit einem Modell des hölzernen "Ring for Peace", der anlässlich der Konferenz im Lindauer Luitpold-Park aufgestellt wird.

In westlichen Ländern sinken die Mitgliederzahlen in den großen Glaubensgemeinschaften stetig und man fragt sich, welchen Einfluss ReligionsvertreterInnen heute überhaupt noch aufs gesellschaftliche Leben haben.

Ulrich Schneider: In Mitteleuropa ist es sicher so, wie Sie es beschreiben. International betrachtet aber nicht: Deutlich über 80 Prozent der Weltbevölkerung bezeichnen sich in irgendeiner Form als religiös. Und diese Zahl allein macht schon sehr deutlich, dass Religionen relevant sind und dass ihr Einfluss nicht ernst genug genommen werden kann. Und Religionen können, müssen nach meiner Überzeugung sogar, eine wichtige Rolle spielen im Friedensprozess.

Um den hat sich die Organisation „Religions for Peace“ seit ihrer offiziellen Gründung 1970 immer wieder verdient gemacht, vor allem in Krisenregionen wie Bosnien-Herzegowina oder Sierra Leone, Sri Lanka und Syrien. Trotzdem ist sie kaum jemandem ein Begriff. Woran liegt das?

Schneider: International ist Religions for Peace schon bekannt als eine der großen interreligiösen NGOs, die bei den Vereinten Nationen akkreditiert ist. Aus den Nachrichten erfahren wir trotzdem nicht von allen Anlässen, bei denen Religions for Peace aktiv ist. Das liegt in der Natur der Dinge, weil manchmal nicht groß und öffentlich agiert werden kann, sondern weil es in Konflikten und gewalttätigen Auseinandersetzungen zunächst darum geht, dass Menschen überhaupt wieder miteinander reden – und das findet oft hinter verschlossenen Türen statt. Aber es ist natürlich auch die Idee und das Ziel des Treffens in Lindau – mitten in Europa – den Themen und dem Engagement von Religions for Peace weltweit zu einer anderen Aufmerksamkeit zu verhelfen.

Das Programm ist wahnsinnig dicht: Gemeinwohl, Friedensarbeit, Nachhaltigkeit, die Anliegen von Frauen und Minderheiten – ist das nicht ein bisschen viel für ein viertägiges Treffen?

Schneider: Nun, dem geht natürlich ein entsprechender Vorbereitungsprozess voraus. Es gab 90 nationale Vorversammlungen in den verschiedenen Ländern und sechs regionale Vorversammlungen auf allen Kontinenten, die auf die Woche in Lindau hingearbeitet haben. Und von da kommend starten wir in diese sehr dichte – da haben Sie recht – Tagung. Im Gegensatz zu anderen Konferenzen sind unsere Abschlusserklärung und der Aktionsplan übrigens nicht bereits vorab im Detail geschrieben, sondern beides wird vor Ort erarbeitet – mit allem, was die Delegierten nach Lindau mitbringen. Der Plan wird dann sehr konkret für einzelne Länder und Regionen zeigen, was man in den nächsten Jahren umsetzen will.

Wie hat man sich das vorzustellen – wie viel muss noch diskutiert werden?

Schneider: Es gibt sicher in den großen Linien Einigkeit – zum Beispiel darüber, wie man miteinander umgehen will, dass man in Gesellschaften harmonisch zusammenleben will, dass positiver Friede mehr ist als nur die Abwesenheit von Krieg und Gewalt und dass wir an Gerechtigkeitsfragen, an Umweltschutzfragen arbeiten wollen, weil das essentielle Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben sind. Natürlich gibt es aber auch Konflikte – nehmen Sie die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea, den Sudan, Myanmar und Bangladesch. Das sind Punkte, an denen auch heftig diskutiert werden wird und wo darum gerungen wird, eine gemeinsame Verständigung zu finden.

Und was passiert, wenn man sich nicht einig werden kann?

Schneider: Dass man dann nicht aufgibt, zeichnet Religions for Peace seit 49 Jahren aus. Es kann immer sein, dass wir hier in Lindau nicht an allen Stellen auf einen Nenner kommen, aber dann geht man auseinander und sagt nicht: „Wir treffen uns nie wieder!“, sondern dann muss man eben nochmal intern beraten und sich dann wiedertreffen. Und diese Hartnäckigkeit ist letztlich auch sehr wichtig.

Im Vorfeld der eigentlichen Konferenz wird es eigene Panels mit jungen Delegierten geben und von Frauen. Ist das neu?

Schneider: In dieser Größenordnung finden die zum ersten Mal statt, ja. Religions for Peace hat auch in der Vergangenheit schon Wert darauf gelegt, dass Jugendliche und Frauen wahrgenommen und ernst genommen werden, ihren Platz und ihre Stimme haben, aber dass rund 200 Jugendliche und rund 200 Frauen als Delegierte nach Lindau kommen, ist im internationalen und interreligiösen Kontext sicher eine große und wichtige Zahl.

Außerdem gibt es ein Panel mit den so genannten „MENA“-Frauen, also Delegierten aus dem Mittleren Osten und Nordafrika.

Schneider: Richtig. Das sind Frauen aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und Ländern, die in den letzten Jahren als Friedensstifterinnen aktiv geworden sind. Diese Frauen haben sich bereits in der vergangenen Woche in Jordanien getroffen und werden am Mittwoch von ihrer jeweiligen Arbeit, aber auch den gemeinsamen Anstrengungen berichten und darüber diskutieren.

Hat man bisher unterschätzt, welche Einflussmöglichkeiten Frauen auch in eher patriarchal geprägten Gegenden haben?

Schneider: Ja, das hat man weder gewürdigt noch genutzt. Und beidem wollen wir zu einer Aufmerksamkeit verhelfen.

Aufmerksamkeit auf sich zieht sicherlich auch der hölzerne „Ring for Peace“, den der Templiner Holzgestalter Gisbert Baarmann in der Form eines Möbiusbandes aus Hölzern aller Welt gebaut hat und der zur Konferenz im Lindauer Luitpoldpark aufgestellt wird.

Schneider: Genau. Wenn wir dort am Dienstag alle zusammenkommen und einen hoffentlich intensiven, gemeinsamen, spirituellen Moment erleben und einen Friedensgruß in die Welt senden, ist das der Moment, auf den ich mich vielleicht am meisten freue.

Religions for Peace

Seit 1970 setzt sich die Organisation "Religions for Peace" als Verbund von Vertreterinnen aller Glaubensrichtungen der Welt für Frieden ein. Mit Hauptsitz in New York ist sie als größte interreligiöse Organisation bei den Vereinten Nationen akkreditiert. Ein Hauptaugenmerk der Arbeit richtet sich auf die Vermittlung in Kriegs- und Krisengebieten wie z. B. 1996 zwischen den Konfliktparteien in Bosnien-Herzegowina. Die Vollversammlungen finden ungefähr alle fünf Jahre statt; zuletzt traf man sich 2013 in Wien. Am 20. August beginnt die 10. Versammlung in Lindau. Die Panels sind zwar nur für akkreditierte Delegierte zugänglich, werden aber im Livestream übertragen. Drumherum gibt es außerdem zahlreiche Möglichkeiten zur Interaktion mit der Bevölkerung: Täglich von 10 bis 17 Uhr ist vor der Inselhalle die Agora als "Marktplatz der Möglichkeiten" geöffnet. Am Mittwoch, den 21. August wird ab 19 Uhr die "Tafel zwischen den Kirchen" von der evangelischen St.-Stephanskirche bis zum katholischen Münster Unserer Lieben Frau gedeckt – und alle sind eingeladen. Auch die täglichen ökumenischen Morgenandachten im Münster (8.00 – 8.30) und die Lightning Talks am Donnerstag mit Friedensaktivisten aus aller Welt (15 – 16.30 Uhr) sind öffentlich.

de.ringforpeace.org
rfp.org

Die Fragen stellte Charlotte Schrimpff