Angesichts der Großoffensive zur Befreiung der Stadt Mossul von der Terrormiliz IS befürchtet der chaldäisch-katholische Weihbischof Shlemon Warduni Racheakte. Denn es gebe keinen "humanen, wahrhaft religiösen Geist". Steht Mossul davor, zu einem "zweiten Aleppo" zu werden?

Für die Befreiung der Stadt Mossul und der umliegenden Ninive-Ebene von der Schreckensherrschaft der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), zugleich jedoch gegen jegliche Racheakte hat sich der Bagdader chaldäisch-katholische Weihbischof Shlemon Warduni ausgesprochen. "Wir wollen Frieden und Sicherheit, damit das Volk redlich und ruhig leben kann. Aber wir wollen keine Rache", brachte der Bischof im Interview mit "Radio Vatikan" die Haltung der irakischen Christen zur am Montag gestarteten Großoffensive zur Vertreibung des IS aus Mossul zum Ausdruck.

Die Christen der nordirakischen Millionenstadt und der umliegenden Region waren im Sommer 2014 bei der "kulturellen Säuberung" (laut UNESCO) als erstes im Visier des IS gestanden. Fahnen der Terrormiliz ersetzten die Kreuze auf den Kirchtürmen, das Grabmal des Propheten Jonas wurde gesprengt und ein "N" für "Nasrani" ("Nazarener", d.h. Christen) prangte an den Hauswänden der Gläubigen, die dann entweder Schutzgeld zahlen oder gehen mussten.

Seit 2.000 Jahren seien die Christen und ihre Vorfahren in der Ninive-Ebene zu Hause, erklärte Warduni. Ihre Hoffnung sei es immer gewesen, dass Mossul und Umgebung sicher und ohne Waffengewalt befreit werde. Mossul dürfe sich nicht zu einem "zweiten Aleppo" entwickeln.

Die "zuschauende Welt"

Zwar seien es die Terroristen gewesen, die die Dörfer, Kirchen, Moscheen und Kunstwerke zerstört hätten. Aber die Schuld für die Geschehnisse der vergangenen zwei Jahre liege nicht nur bei ihnen, so der Bischof: Viele hätten dem IS "Waffen und Munition verkauft" und ihm auf dem Schwarzmarkt das illegal geförderte Erdöl abgenommen - und die Welt habe "nur zugeschaut". Warduni: "Es hätte genügt, den Terroristen keine Waffen zu verkaufen, es hätte genügt, ihnen die Finanzquellen abzuschneiden." Da sich aber "niemand gerührt" habe, sei der "vorübergehende Sieg des Bösen" möglich gewesen.

In der jetzigen Phase des Kampfes um Mossul und die Ninive-Ebene sei es wichtig, "dass nicht eine ethnische Gruppe über die andere triumphiert, dass es keine Racheakte gibt", betonte der Bischof. Leider seien diese Racheakte jedoch zu befürchten, da es keinen "humanen, wahrhaft religiösen Geist" gebe, so Warduni, der vor einer dadurch folgenden "großen Katastrophe" für den Irak warnte, die gewaltiger als die von Aleppo wäre.

An eine Rückkehr der Christen nach Mossul und die Dörfer der Ninive-Ebene sei solange nicht zu denken, solange es Hass und Rache gebe, betonte der Bischof. Sei es einmal so weit, könne dieser Schritt jedoch den Prozess der nationalen Versöhnung unterstützen, doch sei dies derzeit noch reine Spekulation.

Sorge um Zivilisten

Vor einer hohen Zahl ziviler Opfer im Falle einer längeren Zeitdauer der Militäroperationen zur Zerschlagung des IS warnte indes der chaldäisch-katholische Erzbischof von Kirkuk, Yousif Thomas Mirkis: Zwar gebe es bei der derzeitigen Großoffensive der irakischen Armee, der kurdischen Peschmerga und diverser Milizen ein eklatantes Übergewicht über die Einheiten der IS-Terroristen. Zu befürchten sei jedoch, dass die Terroristen bis zuletzt Widerstand leisten und möglicherweise Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilde missbrauchen werden.

Zehntausende vertriebene Christen aus Mossul und der Ninive-Ebene hätten vor zwei Jahren in der Erdölmetropole Kirkuk und in Suleimaniya Zuflucht gefunden, berichtete Erzbischof Mirkis. Mit Unterstützung vor allem aus Frankreich und Deutschland sei es möglich gewesen, allein in Kirkuk 800 Familien eine würdige Wohnmöglichkeit zu verschaffen und 550 Jugendlichen ein Weiterstudium an der Universität zu ermöglichen. Diese Sorge um die Jugend sei besonders wichtig, so der Erzbischof: "Denn beim Wiederaufbau des Irak müssen auch die Christen mithelfen."

Humanitäre Katastrophe steht bevor

Dass eine baldige Rückkehr der Christen aus Mossul auch nach einer militärischen Niederlage des IS unwahrscheinlich ist, war auch die Einschätzung von Berthold Pelster, einem Mitarbeiter des katholischen Hilfswerks "Kirche in Not". "Sie haben jegliches Vertrauen verloren", sagte Pelster gegenüber der Zeitung "Heilbronner Stimme" (Dienstag). Viele Menschen seien von ihren Nachbarn an den IS verraten worden und hätten nun Angst. Doch auch im relativ stabilen Kurdengebiet im Nordirak, wohin die meisten Christen geflohen sind, könne sich die Versorgungslage verschlechtern.

Die internationalen Hilfswerke gehen inzwischen von einer baldigen Flüchtlingskatastrophe in Mossul aus. Das Deutsche Rote Kreuz rechnete in einer Stellungnahme vom Mittwoch mit 600.000 Betroffenen - was jeder zweite Bewohner der Stadt wäre, World Vision gab die Zahl von bis zu einer Million Menschen an. Für die Versorgung der Bevölkerung müssten nun Fluchtkorridore geschaffen werden.