Es gibt keine Verpflichtung zu leben. Man muss nicht. Wird dabei der Tod aber automatisch zum Recht, zum Ausdruck der höchsten Selbstbestimmtheit, der größten Freiheit? Stößt diese individuelle Freiheit nicht andere an ihre Grenzen und vor allem, wer sorgt dafür, dass Selbstbestimmtheit auch selbstbestimmt bleibt? Ferdinand von Schirachs Theaterstück "GOTT" sticht mitten in dieses thematische Pulverfass zwischen Recht, Gesetz, Ethik und Moral. Die TV-Adaption ist am 4. März auf ORF 2 zu sehen.

Am Schluss bedankt sich Richard Gärtner, ein 78-jähriger Witwer, der sterben will, bei den Mitgliedern des fiktiven Ethikrates. "Sie haben mir zugehört", sagt er und dass es wichtig sei, dass man über Menschen wie ihn redet, öffentlich redet. Er hat recht damit. Es ist wichtig, über das Sterben zu diskutieren. Man steckt doch in Europa schon lange mitten drin in der Diskussion um selbstbestimmtes Sterben, um aktive und passive Sterbehilfe, um assistierten Suizid. Und nicht erst, seit der Verfassungsgerichtshof die Strafbarkeit bei der Mitwirkung am Selbstmord - mit Wirksamkeit 1. Jänner 2022 - aufgehoben hat.

Nein, die Diskussion gehört geführt, immer wieder. Sie ist wichtig. Schließlich geht es hier ja um nicht mehr und nicht weniger als das Leben und den Tod. 

"GOTT" - ein Beitrag zur Diskussion

Ferdinand von Schirachs Theaterstück "GOTT" ist dabei sicher ein Beitrag zur Diskussion. In seiner TV-Adaption ist es am 4. März auf ORF 2 zu sehen, nachdem der ursprünglich geplante Sendetermin - kurz nach dem Terroranschlag in Wien - verschoben wurde. Es ist ein Beitrag und sicher kein unumstrittener.

Deshalb, zunächst einmal, worum geht es eigentlich. Richard Gärtner ist Witwer. Seine Frau Elisabeth starb vor drei Jahren. Sie litt an einer schweren Krankheit. Krebs. Ihr Sterben war - so beschreiben es Gärtner und sein Anwalt - grausam. Ob seine Frau "ruhig" gestorben sei, kann auch Richard Gärtner nicht beantworten. Er war nicht (nur kurz, eine halbe Stunde, nicht viel mehr) nicht da. Sie habe ihn nur gebeten, "das Richtige zu tun".

Richard Gärtner ist "nicht krank. Er ist einfach nur traurig", so formuliert es seine Hausärztin, von der er jenes Mittel erhalten will, mit dem nun er sein Leben beenden möchte. Sie weigert sich. Und so finden sich Richard Gärtner und sein Anwalt gemeinsam mit  VertreterInnen von Recht, Medizin und Theologie vor dem Deutschen Ethikrat wieder, wo exemplarisch über das Sterben Richard Gärtners "verhandelt" wird.

Kirche gegen Welt - Ein ungleiches "Duell"

Das Stück selbst ist dabei natürlich geschickt angelegt und dreht sich mit jeder und jedem Sachverständigen, der hier aufgerufen wird, seine Position darzulegen, immer und immer wieder. Dabei ist es keineswegs so, dass Schirachs Charaktere durchwegs SympathieträgerInnen wären. Im Gegenteil und das müssen sie ja auch nicht sein. Am ehesten übernehmen diese Funktionen noch die beiden, relativ kleinen Rollen, die die Ärztin und die Verfassungsrechtlerin zu spielen haben. Die Ärztin kann es mit sich nicht vereinbaren, Richard Gärtner ein tödliches Mittel zu verschaffen. Die Juristin legt dar, was die Verfassung festhält.

Die "Verteidigerin" - Frau Keller - wirkt altbacken. Der medizinische Sachverständige, Prof. Sperling, überheblich. Die Vorsitzende des Ethikrates ist bemüht. Und selbst Richard Gärtner selbst stößt eher ab, als er emotional den Mediziner in die Enge treibt. Das alles aber sind sowieso nur Nebenschauplätze. Denn eigentlich dreht sich alles um den großen Showdown: Recht gegen Moral, Zukunft gegen Vergangenheit, Gesellschaft gegen Kirche - also sprich Anwalt gegen Bischof. Und dieses "Duell der Titanen" ist nicht ausbalanciert gestaltet. Was schade ist. So kippt es leider und die theologische Perspektive auf dieses Thema, die ja durchaus interessant sein könnte, wird mit Hinweisen auf Kreuzzüge und Hexenverbrennungen unterhöhlt.

Reden wir über den Tod, das Sterben und die Freiheit

Ferdinand von Schirachs "GOTT" kann eines ganz ausgezeichnet: zur Diskussion anregen. Es ist eine Diskussion, die zu wichtig ist, als dass sie zum Spielfeld werden sollte, auf dem Kirche und Gesellschaft gegeneinander antreten bzw. der eine den anderen vorführt.

Entscheidender und viel wichtiger sind doch Fragen wie  "Wer bürgt dafür, dass die Entscheidung zu sterben frei und selbstbestimmt getroffen wurde?", "Wer kann wann für einen anderen Menschen über dessen Sterben entscheiden?", "Gilt es nicht auch, die Entscheidung der Ärztin zu respektieren, die ihrem Patienten kein tödliches Mittel in die Hand geben möchte?" und rücken durch diese - vielleicht auch nur scheinbare Freiheit - das Sterben, der Tod, das Leid nicht noch viel mehr an den Rand der Gesellschaft, die es nicht mehr gewohnt ist, auch da hinzusehen und dazusein? Diese Fragen und viele andere mehr haben es verdient, dass über sie geredet wird - auf Augenhöhe.

Kann man über Ethik abstimmen?

Bei der Ausstrahlung des TV-Dramas in der ARD waren die ZuschauerInnen am Ende übrigens dazu aufgefordert, darüber abzustimmen, ob Richard Gärtner das tödliche Medikament erhalten sollte oder nicht. Der ORF entschied sich gegen diese Abstimmung. Eine Entscheidung, die dem Stück gut tut. Es ist reizvoller, das Thema in der Schwebe zu halten. So bleibt das Gespräch offen. Abgesehen davon eine letzte Frage: Soll Ethik wirklich reine Abstimmungssache sein?

Zum Weiterlesen finden Sie hier einige Positionen zu Ferdinand von Schirachs "GOTT".