Beim ersten "Gipfel der Religionen" in St. Christoph wurde nach den Ressourcen von Religion und Kultur für die Bewältgung von Krisen gefragt. Antworten gab es aus Theologie und Religionsphilosophie, auch Künstler brachten sich ein. Es ging um gemeinsame Werte, um Versöhnung und um Europas Seele.

Ohne globale gerechtere Güterverteilung und ohne gelebter Werte wird die gegenwärtige Flüchtlingskrise nur der Beginn eines Prozesses sein, bei der Europa nicht gewinnt. Diese Einschätzung gab der Sekretär des Päpstlichen Rates "Cor Unum", Prälat Giampietro Dal Toso, am Wochenende beim ersten "Gipfel der Religionen" in St. Christoph am Arlberg in Tirol ab. Bei der Veranstaltung vom 6. bis 8. November äußerten sich weiters u.a. die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, der Innsbrucker Diözesanbischof Manfred Scheuer, der deutsche Theologe Thomas Möllenbeck, der bosnische Islamgelehrte Muhamed Fazlovic und der Berliner Rabbiner Walter Rothschild über die Ressourcen von Religion und Kultur für Krisenbewältigungen.

Dal Toso hob die Gefahr hervor, dass Flüchtlinge in Europa mit Zynismus und Mainstream-Indifferenz konfrontiert sind und nicht Glauben: "Wir können erfülltes Leben anbieten. Das ist unsere Rolle heute auf der Bühne der Welt. Aber das geht nicht ohne eine Wiederentdeckung des Gottes des Lebens und der Liebe", so der aus Leifers in Südtirol stammende Kurienmitarbeiter.

Damit der Kontinent ein "Platz für menschenwürdiges Leben" bleibe, brauche es eine "allgemeine, von allen Bewohnern unseres Kontinents geteilte Basis an Werten und Idealen". Denn, bisher hätten sich die europäische Politik und Gesellschaft mehr um ein wirtschaftliches Vorankommen als um die "Seele Europas" bemüht.

Migration wertet Dal Toso als "Herausforderung, die uns Gutes tun kann", wenn dabei die Gerechtigkeit nicht aus dem Blick gerate. Von einem humanitären und christlichen Standpunkt aus bestehe die Pflicht, "Formen der Hilfe für Leute zu finden, die selbst im Angesicht von Lebensgefahr zu uns kommen und einfach nichts haben". Die kulturelle Dimension der Flucht wecke hingegen oft Ängste, "da wir uns nicht nur wirtschaftlich herausgefordert sehen, sondern weil sich hier verschiedene kulturelle Modelle begegnen, die jeweils eine andere Sicht von Menschen und Gesellschaft mit sich bringen".

Dal Toso warnte über jede "plumpe Vereinfachung hinaus" vor einer "Dämonisierung der Grenzen". Territorial gesehen, brauche jeder Staat eine Grenze, um seine Funktion ausüben zu können. "Selbst im europäischen Bereich werden besonders sensible Fragen den nationalen Regierungen überlassen, im Bewusstsein, dass lokale Kultur und Tradition ebenso entscheidend prägen und zu berücksichtigen, wie europäische Interessen grenzüberschreitend sind." Dass eine Grenze passierbar ist, bedeute nicht, dass es überhaupt keine Grenzen brauche.

Kultureller Austausch verhindert totalitäre Regime

Den Kontakt mit anderen kulturellen, philosophischen, sozialen und religiösen Perspektiven beschrieb Muhamed Fazlovic, ein Vertreter der bosnischen Muslime, als Vorkehrung gegen totalitäre Regime. Identität, die über eine Mauer um die eigene Kultur erreicht werde, werde oft und leicht - das habe die Geschichte gezeigt - zum "Zweck der Neutralisierung und der Zerstörung der anderen mobilisiert".

Fazlovic plädierte für die Schaffung eines alle Religionen und Kulturen umspannenden "Weltethos". Beim Finden universeller ethischer Prinzipien spielten die Religionen eine große Rolle. "Ein gemeinsamer Ethos, bei dem die Menschen mehr Gefühle und Respekt füreinander haben, ist die Voraussetzung für den Weltfrieden." Denn die größten Probleme, mit denen die Menschheit aktuell konfrontiert sei, seien Krisen der ethischen Werte: Erodierung der Werte der Familie, Ausbeutung der Armen, ökologische Probleme, soziale Problemen.

Ein weiterer Schwerpunkt war das Thema Versöhnung. Der vitale und notwendige Beitrag zur Konfliktüberwindung durch Menschen, die fest im Glauben stehen, war etwa Thema eines Abends mit dem deutschen Regisseur und Autor Patrick Roth. Der Heidelberger Poetikdozent warnte davor, zu rasch die vemeintlich klare Grenze zwischen Gut und Böse zu fixieren.

Der grundlegende Wert einer Haltung, die sich an Gewissen und Recht orientiert und jenseits von einer sehr leicht kippenden "Symbolpolitik" sich selbst treu bleibt, wurde auch von Filmstar Tobias Moretti hervorgehoben. Er stellte sein Engagement gemeinsam mit der Schauspielerin Gabriele Schuchter durch eine Lesung von Texten aus der "Antigone" von Sophokles unter Beweis.

Die inhaltlich vom Wiener Historiker Martin Kugler verantwortete Tagung im Arlberg-Hospiz soll mit dem gleichen Dialog-Charakter und einem weiterführenden Thema im Oktober 2016 fortgesetzt werden und zu einem Fixpunkt geistiger Auseinandersetzung im Westen Österreichs werden. Am 21. November wird in dem Ressort auch die höchstgelegene Kunsthalle Europas eröffnet.

kathpress