Sollte es ihn oder sie je gegeben haben: Mit dem bzw. der „klassischen“ Langzeitsarbeitslosen ist es seit der Pandemie vorbei.

Das liegt freilich nicht daran, dass goldene Zeiten mit Beschäftigung für alle angebrochen sind – im Gegenteil. Die Zahl der Menschen, die seit mehr als einem Jahr ohne Arbeit sind, stieg im vergangenen Jahr um 85 Prozent auf 3.428 – so viele wie nie zuvor. Und betroffen sind längst nicht mehr nur ältere, gering qualifizierte Frauen und Männer mit gesundheitlichen Einschränkungen, sondern Menschen allen Alters, aller Professionen, aller Schichten. Den größten Zuwachs habe man 2020 in der Gruppe der 25- bis 44-jährigen verzeichnet, erläuterte Benedicte Hämmerle, Geschäftsführerin des Verbands „arbeit plus Soziale Unternehmen Vorarlberg“, bei der Pressekonferenz anlässlich des Tags der Arbeitslosen, der traditionell am 30. April begangen wird, also am Tag vor dem Tag der Arbeit. „Es kann jede und jeden treffen“, so Hämmerle.

Das ist ein Problem. Vor allem, wenn man bedenkt, dass solche Zahlen immer etwas nachhinken, wie Bernhard Bereuter, Landesgeschäftsführer des Arbeitsmarktservice, erläuterte: Zwar habe inzwischen eine leichte Erholung der Vorarlberger Wirtschaft eingesetzt, aber bis diese den ersten und zweiten Arbeitsmarkt erreiche, könne es erfahrungsgemäß dauern. Umgekehrt sei auch nicht sicher, dass die Talsohle in Sachen Arbeitslosigkeit bereits durchschritten sei, schließlich griffen Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld noch und verzögerten manche Entwicklung.

Zeit ist der kritische Faktor

Alle sind sich einig, dass es ein schnelles, entschiedenes und gemeinsames Vorgehen von Politik, Wirtschaft und Sozialpartnern brauche, um Schlimmeres zu verhindern. „Arbeitsmarktpolitik ist immer auch Gesundheitspolitik“, betont Philipp Kloimstein, Primar und ärztlicher Leiter der Stiftung Maria Ebene. Bei Menschen, die über eine längere Zeit ohne sinn- und identitätsstiftende Anstellung seien, könne man zunehmend Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit beobachten – mitunter Vorstufen einer Depression. In Ländern wie Griechenland oder Portugal, die nach der Finanzkrise von hohen Arbeitslosenquoten betroffen waren, habe man deutlich gesteigerte Suizidraten verzeichnet, so Kloimstein. Und selbst, wenn es nicht zum Äußersten komme: So lange unfreiwilliger Arbeitslosigkeit das Stigma des unwilligen Minderleisters anhafte, habe sie nicht nur das Potential, die Sozialkassen nachlaufend zu belasten, sondern auch die Gesellschaft weiter zu spalten.

Auch darum seien die im Verband „arbeit plus“ zusammengeschlossenen Sozialen Unternehmen so wertvoll: Hier finden Langzeitarbeitslose befristet für zwei, sechs oder zwölf Monate eine sinnvolle Beschäftigung, werden bei der Stellensuche auf dem „ersten“ Arbeitsmarkt unterstützt oder für neue Aufgaben qualifiziert. Allein die Erfahrung, wieder gebraucht zu werden, selbstwirksam zu sein und einen strukturierten Alltag zu erleben, bedeute enorm viel für die Angestellten und ihre Familien. Bislang werden 1000 Menschen pro Jahr in den Betrieben der AQUA Mühle, Integra, Kaplan Bonetti Arbeitsprojekte, carla der Caritas Vorarlberg oder in den Dornbirner Jugendwerkstätten eingesetzt. Dank einer Budgetaufstockung habe man diese Möglichkeit heuer bereits zusätzlich 80 Personen bieten können, so Bereuter. Allerdings wirkten die Kürzungen, die in den Jahren zuvor geschehen waren, noch nach.

Man hofft darum auch auf entsprechende Signale der Bundesregierung aus Wien, wo an einer „Sprungbrett“ genannten Offensive gegen Langzeitarbeitslosigkeit gearbeitet werde. Außerdem habe man mit der Lohnkostenförderung für Unternehmen bereits ein weiteres Instrument geschaffen, das den Wiedereinstieg auf den ersten Arbeitsmarkt erleichtern soll: Unternehmen, die Langzeitsarbeitslose einstellen, erhalten in den ersten drei Monaten eine vollständigen Lohn- und Lohnnebenkostenausgleich durch den AMS, und können sich anschließend für weitere sechs Monate 50 Prozent erstatten lassen. So sollen finanzielle Risiken gesenkt werden und Perspektiven geschaffen werden.

Für Verlässlichkeit sorgen

Wie gut dieses Unterstützung wirkt, muss die Zeit zeigen. „Es kann nur besser werden“, so Harald Panzenböck, Leiter der Kaplan Bonetti Arbeitsprojekte. „Denn wenn Menschen mit Anfang 50 aufgrund einer länger als 12 Monate währenden Arbeitslosigkeit nicht einmal mehr zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, ist das wirklich dramatisch.“ Auch Unternehmen hätten eine soziale Verantwortung, erinnert er.

Dass es damit mitunter nicht weit her ist, hat auch Ulrike Peter erlebt, die nach Bandscheibenvorfällen ihre Anstellung im Supermarkt verlor. „Bei den ersten Absagen ist man noch verständnisvoll. Ist ja für Personaler auch wirklich nicht leicht, aus hundert Bewerber/innen den oder die Richtige herauszusuchen.“ Aber irgendwann beschleiche einen schon das Gefühl, dass es an einem selbst liege, dass man vielleicht wirklich zu nichts mehr zu gebrauchen sei. Dabei habe sie immer gern gearbeitet – oft auch über ihre gesundheitlichen Grenzen hinaus.

„Für uns wäre es wichtig, längerfristige Budgetzusagen zu bekommen, um unser Angebot ausbauen zu können“, appelliert Panzenböck an die Politik. Damit Menschen vielleicht auch einmal länger als 12 Monate in einem der Sozialen Unternehmen beschäftigt werden können. Damit man die Chance bekomme, sich auf veränderte Anforderungen einzustellen wie ökologische Nachhaltigkeit und Digitalisierung.

2021 beteiligt sich das Land Vorarlberg mit 3,5 Millionen Euro am Budget der im Verband arbeit plus zusammengeschlossenen sozialen Unternehmen. Der AMS trägt 9 Millionen Euro. Der Eigenerwirtschaftungsanteil der Betriebe liegt bei rund 50 Prozent.

www.arbeitplussuv.at