Zählt man alles zusammen, dann haben die Gemeindereferentin Ursula Holzapfel und der Priester Ulrich Kollwitz über 80 Jahre in Kolumbien gelebt. Sie haben Aufbruch aber auch Zerstörung miterlebt. Nicht nur einmal haben sie in den Lauf eines Maschinengewehrs geblickt und sie sind auch dann noch geblieben und haben geholfen, als Corona die Menschen am Land an den Rand der Existent trieb. Unterstützt wurden sie dabei auch vom Verein Klimabündnis Vorarlberg und warum die beiden jederzeit wieder in Kolumbien helfen würden, davon erzählten sie bei ihrem letzten Vorarlberg-Besuch.

Das Klimabündnis Vorarlberg unterstützt als Verein Projektgebiete in der kolumbianischen Region Chocó. Chocó liegt im Nordwesten Kolumbiens. Als Sie dort vor mehr als 40 Jahren ankamen, was fanden Sie dort vor?
Ulrich Kollwitz: Wir kamen dort in den 1980er Jahren mitten in einem Urwaldgebiet an. Ein ruhiges, friedliches Gebiet war das. Die Leute dort hatten ein hartes, arbeitsames Leben, aber sie konnten damit ihr Auskommen finden. Die Menschen in Chocó sind bis heute zu 80% der Afro-Bevölkerung zuzurechnen. Rund 10% der Bevölkerung machen Indigene aus. Ursula und ich sollten die Gemeinden im Urwald seelsorglich betreuen und ganz im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils haben wir das Religiöse immer auch mit der sozialen Frage verbunden. Wir haben politische Arbeit geleistet und Organisationsprozesse in Gang gebracht. 

Was waren die großen Themen, die Sie in Ihrer Arbeit begleitet haben?
Ursula Holzapfel: Ich war sehr in der Frauenförderung engagiert. Die Frauen kamen zu mir und haben sich sehr für Gesundheitsfragen interessiert. Ach sie wussten schon viel, anderes, vor allem über die Heilmittel aus der Natur. Was ich ihnen noch erschließen konnte, waren vor allem auch Fragen der Hygiene. Das andere lief. Sie wussten, wie man mit einer Verbrennung umgehen muss, was bei einer Hausgeburt zu tun ist – es gab ja nur Hausgeburten. Es lief alles nach dem Prinzip, du zeigst mir, was du kannst und ich zeige dir, was ich kann. Wir haben in diesen Jahren echt etwas erreicht. Als ich dort hinkam, starben 192 Kinder von 1000 vor dem 5. Lebensjahr. Das haben wir in sieben Jahren auf 57 Todesfälle „heruntergearbeitet“. Das war ein riesen Erfolg.

Was hat sich dann verändert?
Ursula Holzapfel: Ich habe in den ersten 10 Jahren nicht einen einzigen, nicht natürlichen Tod erlebt. Das hat sich total geändert. Denn was ist passiert? In der Region gab es zwar immer schon Guerilla, die ersten sieben Jahre habe ich aber keinen einzigen Guerillero gesehen. Dann 1987 kamen vier junge Guerrilleros ins Dorf. Es war Nacht und sie hatten eine junge Frau dabei, die einen Dorn im Auge hatte. Sie kamen in unsere Gesundheitsstation. Ich bin aber keine Ärztin oder Pflegerin, ich bin Theologin. Es hat sich aber wohl herumgesprochen, dass ich hier auch in der Gesundheitsstation arbeite. Sie wollten also, dass ich der jungen Frau den Dorn aus dem Auge nehme. Ich habe ihnen gesagt, dass ich keine Ärztin bin, dass ich es versuchen werde, aber nur, wenn sie mit ihren Waffen das Dorf verlassen. Ich würde ihnen Bescheid geben, wenn sie die junge Frau abholen können. Sie haben sich daran gehalten und ich habe die Frau viele Jahre später sogar einmal wieder getroffen.

Das war also Ihr erstes Zusammentreffen mit der Guerilla. Wann hat sich die Situation verschärft?
Ursula Holzapfel: 1996 kam dann der Einmarsch der paramilitärischen Gruppen und das löste sofort einen riesigen Flüchtlingsstrom aus. An der Atlantikküste gab es dann große Flüchtlingslager. In einem dieser Lager habe ich dann gearbeitet. Man kann wirklich sagen, dass in Chocó die Gewalt importiert wurde. Die kam nicht von den Leuten vor Ort, sondern von außen. Aber dann war sie da. Heute ist so gut wie jede Familie teilweise gleichzeitig mit den verschiedenen Konfliktparteien verbunden. Da ist die eine Hälfte der Familie beim Militär und die andere bei der Guerilla.  

Ulrich Kollwitz: Davor gab es jahrelang keine Militärpräsenz in Chocó. Es gab die Polizei und die Guerrilla. Aber die nutzen den Chocó als ihr Ruhegebiet. Mit diesem massiven sollte angeblich die Dorfbevölkerung von der Guerilla befreit werden. Die Guerilla war im Dorfleben aber ja gar nicht da. Durch diese massive Militärpräsenz trat die Guerilla verstärkt auf und dann wurde der Chocó sehr schnell zu einem ganz hart umkämpften Kriegsgebiet.

Was konnten Sie in dieser Situation tun?
Ullrich Kollwitz: Es gab da dann so kleine Stationen, wie die unsere und die trugen auch dazu bei, dass die Zivilbevölkerung sich nicht so leicht vertreiben ließ und zivilen Widerstand leisten konnte. Wir haben für unsere Station Regeln aufgestellt, wie wir uns zum Beispiel verhalten, wenn eine bewaffnete Gruppe ins Dorf kommt. Das war sehr hilfreich. Das hat, neben vielem anderem, auch dazu beigetragen, dass rund 80% der Bevölkerung in ihrem Gebiet geblieben ist, oder nach kürzeren Vertreibungen wieder zurückgekommen ist.

An diesem Punkt kommt auch das Klimabündnis ins Spiel?
Ursula Holzapfel: Ja, denn über das Klimabündnis wurden dann viele Schulungen organisiert, dass die Leute diese Regeln und ihr Wissen auch aufarbeiten konnten. Und da gab es dann wirklich auch Dörfer, in denen die älteren Frauen den Bewaffneten entgegen getreten sind und gesagt haben: Wir brauchen euch hier nicht.

Ulrich Kollwitz: Die Zusammenarbeit mit dem Klimabündnis hat gerade noch in den letzten Jahren vor diesem Einmarsch angefangen. Das war ein großes Glück, dass damit auch noch Organisationsentwicklungsprozesse angestoßen werden konnten.

Mit dem Einmarsch des Militärs haben sich also auch die Themen Ihrer Arbeit verändert.
Ursula Holzapfel: Ja, es ging eigentlich fast ausschließlich nur noch um die psychosoziale Begleitung von Opfern.  Da kamen keine Frauen mehr, die gesagt hätten, dieses oder das Thema interessiert mich.  Nein, es ging jetzt nur noch um Menschen, die am Boden waren, die traumatisiert waren. Wir haben nur noch auf die Situation reagiert.

Sie sind mit Ihrer Arbeit auch immer ganz bewusst an die Öffentlichkeit gegangen.
Ursula Holzapfel: Wir haben bei allem, was wir getan haben, immer auch auf die Öffentlichkeit gesetzt. Zeigen, was geschieht. Das konnten wir natürlich nur machen, weil wir Europäer waren und weil wir Organisationen im Hintergrund hatten. Das hat sich dann auch unter den bewaffneten Gruppen herumgesprochen. Wir hatten unter ihnen den Ruf, dass einen Tag später schon die halbe Welt von uns wisse, wenn im Dorf etwas geschehen war. Damit  konnten wir vielleicht einiges verhindern, aber wir konnten es natürlich nicht stoppen.

Wie haben sich auch die Konfliktthemen über die Zeit hinweg verändert?
Ursula Holzapfel: Früher gab es Gewalt, wenn es um das Land ging. Wem gehört das Land, wem die Ressourcen, wem die Bodenschätze? Man hörte oft, wieso denn die Indigenen das Land haben sollten, wenn sie doch gar nicht wüssten, was sie da alles besitzen. Dabei sind ja genau sie es, die mehr über den Urwald wissen, als viele andere. Sie wissen, wie man ihn erhält. Heute verliert man dieses große Land zusehends, weil genau dieses Wissen fehlt. Es wurden Monokulturen angepflanzt, riesigen Anbauflächen für Palmöl. Dann gab es eine Käfer-Plage und alle Palmen starben ab. Aber ganz egal, was war, die Leute vor Ort waren von da an eigentlich machtlos. Da kamen die großen Firmen und sagten zu ihnen, entweder du verkaufst oder wir verhandeln mit deiner Witwe weiter.

Ulrich Kollwitz: Deshalb war und ist die Zusammenarbeit mit dem Klimabündnis ja auch so wichtig, weil dort genau auf Vernetzung und gegenseitige Unterstützung gesetzt wird.  Die Indigenen im Urwald sind alleine zu schwach, um etwas zu ändern, und die konsumbewussten Schichten hier können den Urwald in Kolumbien alleine auch nicht erhalten. Heute sind die Paramilitärs wieder stark im Vormarsch und es wird immer wichtiger, ihnen auch finanziell etwas entgegen halten zu können, denn sie haben Geld, sehr viel Geld, weil sie eigentlich nur die Vorposten der großen Firmen im Hintergrund sind. Das spaltet auch die Basisorganisationen.

Was treibt heute den Konflikt in Chocó an?
Ulrich Kollwitz: Vor ein paar Jahren ging es oft um Tropenholz. Heute wird der Urwald platt gemacht, nur um ein paar Gramm Gold auszubuddeln, die dann in den Kellern der großen Banken wieder eingebuddelt werden. Das ist heute eine der ganz großen Herausforderungen. Auch der Koka-Anbau nimmt zu, weil mittlerweile Sorten entwickelt wurden, die auch im feuchten Urwaldklima gut wachsen.

Ursula Holzapfel: Und dann natürlich das Geschäft mit den Waffen. Wir haben selbst mehr als einmal auch in deutsche Waffen geguckt. Die werden zwar nicht offiziell dorthin verschickt, aber sie werden über inoffizielle Kanäle gekauft.

Und dann kam Corona.
Ursula Holzapfel: Ja. Da kann ich nur sagen : Hier ist im Vergleich zu Kolumbien gar nichts passiert. Hier ist niemand verhungert. Wie viele Kinder sind in Kolumbien gestorben, gerade unter den Indigenen. Wir hatten Monate, in denen wir nur einmal in der Woche hinaus durften, um Lebensmittel einzukaufen. Aber Menschen, die bettelarm sind, die von der Hand in den Mund leben und kein festes Einkommen haben, wie sollen die an nur einem festgelegten Tag das Haus verlassen dürfen. Wovon sollen die leben, was sollen die essen? Viele sind gestorben.

Mehr als 40 Jahre Arbeit in Kolumbien und mit den Menschen vor Ort liegen hinter Ihnen. Vieles konnten Sie in Bewegung bringen. Vieles wurde auch wieder zerstört – oft mutwillig. Warum engagieren Sie sich immer weiter?
Ulrich Kollwitz: Weil man auch die positiven Tendenzen sieht. Als wir in den 1980er angefangen haben, da waren wir mutterseelenallein. Wir wurden sofort angefeindet, von Politikern, von Geschäftsleuten und auch von kirchlicher Seite gab es keine Unterstützung. 2010/11 kam dann ein gemeinsamer Hirtenbrief der Bischöfe des Pazifikraums über die Probleme in ihren Territorien und den Erhalt des Regenwaldes. Das war ein Wendepunkt.

Ursula Holzapfel: Wir sind davon überzeugt, dass es weitergehen muss. Mittlerweile sind wir beide in Rente und versuchen, in Europa die Öffentlichkeit für die Themen und Vorgänge in Kolumbien zu sensibilisieren. Es geht darum, die Ressourcen der Welt einfach ein bisschen gerechter zu verteilen. Nicht, die einen haben alles und die anderen müssen eben gucken, wie sie durchkommen. Das ist die große Geschichte.

 

Klimabündnis Vorarlberg

Das Klimabündnis ist ein kommunales Klimaschutz-Netzwerk und gleichzeitig eine globale Partnerschaft zum Schutz des Weltklimas. Es verbindet Gemeinden und Städte in Europa mit indigenen Organisationen im Amazonas. In Österreich bilden acht Regionalvereine in den Bundesländern gemeinsam den Verband Klimabündnis Österreich und unterstützen bei der Umsetzung von klimafreundlichen Maßnahmen vor Ort. Klimabündnis Vorarlberg ist ein eigenständiger Verein. Neben dem Land Vorarlberg haben sich zahlreiche Vorarlberger Gemeinden, Bildungseinrichtungen, Organisationen und Einzelpersonen dem Klimabündnis angeschlossen.

Die Kooperationspartner von Klimabündnis Vorarlberg befinden sich im Chocó in Kolumbien. Zu Beginn wurde die Zusammenarbeit als Autonomieprojekt gestartet und bot der indigenen und afrokolumbianischen Bevölkerung besonders in rechtlichen Fragen zu ihren territorialen Ansprüche Unterstützung. Über die Jahre wurden viele weitere Projekte realisiert. Diese umfassen u.a. die Themenbereiche ökologische Landwirtschaft, erneuerbare Energie, Bildung und Kultur. Die Situation im Chocó ist anhaltend schwierig. Oft geht es um das Überleben.

Georg Künz ist seit 2014 Obmann des Vereins Klimabündnis Vorarlberg.  Er sieht es als unser aller Aufgabe, aus der immer noch privilegierten Situation des Westens heraus, Menschen in den weniger privilegierten Regionen des globalen Südens zu unterstützen. „Wir brauchen den Regenwald – auch für unser Klima hier. Mittlerweile wird weltweit alle 4 ½ Tage eine Regenwald-Fläche die ganz Vorarlberg entspricht, abgeholzt. Wir dürfen die Jungen, die kommenden Generationen mit dieser Situation da nicht alleine lassen. Und, es  hat sich in den letzten Jahren auch schon viel getan, wie das Beispiel der Tropenhölzer zeigt. Da haben sich ja viele Vorarlberger Gemeinden selbst verpflichtet, auf Tropenhölzer zu verzichten“, zeigt Knünz an nur einem Beispiel, dass es möglich ist, durch einen kleinen Verzicht auf der einen Seite der Erdkugel, Menschen auf der anderen Seite aktiv zu unterstützen.

 

Kontakt zum Klimabündnis Vorarlberg

T 05523 63575, vorarlberg@klimabuendnis.at

oder https://vorarlberg.klimabuendnis.at