Mit Brigitte Bierlein wird erstmals eine Frau Bundeskanzlerin die Geschicke der Republik lenken. Auch in Kirchenkreisen ist die Top-Juristin keine Unbekannte. Seit 2010 ist die Mitglied der Klasnic-Kommission.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am vergangenen Donnerstagnachmittag (30. Mai) Brigitte Bierlein (69) mit der Regierungsbildung beauftrag. Erstmals in der Geschichte der Republik wird damit eine Frau die Regierungsgeschäfte in Österreich leiten. Mit Bierlein will das Staatsoberhaupt nicht nur die bisher höchste Amtsträgerin im Bereich der Rechtsprechung zur Bundeskanzlerin ernennen, sondern auch eine verdiente Expertin in der Aufarbeitung von Missbrauchs- und Gewaltfällen im kirchlichen Bereich. Denn seit rund neun Jahren ist die jetzige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) auch Mitglied der von Waltraut Klasnic geleiteten Unabhängigen Opferschutzkommission.


Es geht auch um Vertrauensaufbau

In der live im ORF übertragenen Erklärung erläuterte der Bundespräsident, dass Bierlein in den nächsten Tagen eine Regierung bestehend aus Experten aus der Verwaltung zusamenstellen soll. Nach ihrer Ernennung zur Bundeskanzlerin wird Verfassungsgerichtshof-Vizepräsidenten (VfGH) Christoph Grabenwarter interimistisch die Leitung des VfGH übernehmen.

Die ExpertInnen-Regierung soll dann bis zu den Neuwahlen im Herbst für eine "gute und geordnete Verwaltung der Staatsgeschäfte" Sorge tragen. In einer ersten Stellungnahme betonte die designierte Bundeskanzlerin, dass "Beruhigung und Vertrauensbaufbau" das wichtigstes Ziel der neuen Regierung sei. Sie werde dafür Gespräche nicht nur mit den Parteien, sondern auch den Sozialpartnern, der Zivilgesellschaft und den Kirchen und Religionsgemeinschaften führen, wie Bierlein ausdrücklich betonte.


Opferschutzkommission

Waltraud Klasnic war am Höhepunkt der kirchlichen Missbrauchskise im März 2010 von Kardinal Christoph Schönborn ersucht worden, als Unabhängige Opferschutzanwältin tätig zu werden, wobei der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz dabei völlige Freiheit in der Arbeitsweise und in der Auswahl ihres Teams zusicherte. Die frühere steirische Landeshauptfrau stellte daraufhin die Opferschutzkommission zusammen, der von Anfang an auch die damalige Höchstrichterin Brigitte Bierlein angehörte. Am 14. April 2010 präsentierte Klasnic erstmals ihr Team. Weitere Mitglieder der Expertenkommission waren und sind bis heute neben Bierlein und Klasnic Prof. Reinhard Haller, Udo Jesionek, Ulla Konrad, Werner Leixnering, Caroline List und Kurt Scholz.

Die Klasnic-Kommission hat bisher über 2.000 Fälle entschieden. Alle Entscheidungen der Kommission wurden von der Kirche vollständig umgesetzt. Bisher wurde Betroffenen insgesamt 27,8 Mio. Euro an Finanzhilfe und für Therapien zuerkannt. Die von Bierlein mitenwickelte Arbeitsweise der Opferschutzkommission wurde zum Vorbildfür für später auf Ebene der Bundesländer eingerichtete staatliche Kommissionen. Das Modell gilt auch international als vorbildhaft.

Quelle: Red/Kathpress
Fotocredit: VfGH/Achim Bieniek