Wir alle wissen, was Weihnachten ist und wie Weihnachten geht – und finden es merkwürdig, wenn alles ein bisschen anders ist, wie beim Weihnachtsgottesdienst hinter Gittern.

Was bleibt, sind die Fragen. Fragen wie: Wer bist Du? Warum bist Du hier? Und warum kommst Du her – in diesen Weihnachtsgottesdienst, der so anders ist als alle Weihnachtsgottesdienste, die man kennt. Weil es nicht heimelig dunkel ist an diesem Dienstagmittag, sondern taghell. Weil man nicht dicht gedrängt in den Reihen hockt, sondern einigermaßen bequem. Weil da überhaupt so viel Raum ist, zwischen der Gemeinde und denen, die zelebrieren. Raum für viele Fragen.

Der Weihnachtsgottesdienst in der Justizanstalt in Feldkirch ist ein Fixpunkt im Terminkalender von Bischof Benno Elbs und Gefängnisseelsorger Pater Patrick Kofi Kodom – und die einzige „echte“ Feier für die Inhaftierten, wie ein Beamter erzählt. An Heiligabend gebe es ein etwas besseres Essen, mehr aber nicht. Und Besucher haben an Sonn- und Feiertagen keinen Zutritt.

Hört der Engel helle Lieder

Also eben so. Die, von denen man nicht weiß, warum sie da sind bzw. da sein müssen, sitzen nach Geschlechtern getrennt; die Frauen oben auf der Empore, die Männer unten. Sie hören, wie s'Wyllar Chörle davon singt, dass der Schnee leise rieselt und Kummer und Harm schweigen. Und sie hören Bischof Benno, der von einem Lied erzählt, das er mag, seit er jung ist: Die Geschichte von einem Menschen, der – auf gut Deutsch – ordentlich Scheiße gebaut hat. Der sich auf dem Weg nach Hause macht – unsicher, ob er da überhaupt willkommen ist. Er hat seine Eltern gebeten, ein weißes Tuch in den Baum vor dem Haus zu hängen, wenn sie ihn sehen wollen. Als er ankommt, ist dieser Baum vor lauter Tüchern kaum noch zu erkennen – und drunter stehen seine Mutter und sein Vater mit weit offenen Armen.
Es ist eine Variation der Erzählung vom verlorenen Sohn – und Nukleus des christlichen Glaubens: Egal wer Du bist, egal was Du getan hast: Gott verstößt Dich nicht – im Gegenteil.

Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

Dieses Versprechen spricht Bischof Benno mit den vertrauten Worten in den Raum zwischen sich und seiner Gemeinde. Hinein in ihr leises Gemurmel, Getuschel, Geraschel. Kommt es an? Wie kommt es an? Gibt es jemanden, der das lächerlich findet? Gibt es jemanden, den das berührt? Fragen – schon wieder.

Weihnachten ist eigentlich eine so sichere Sache: Wir kennen all die Lieder, die Gesten, die Gerüche. Wir kennen dieses Versprechen und die wohlige Zuversicht, die damit verbunden ist. Wir fragen nicht (oder nicht mehr). Dabei ist eigentlich das Gegenteil davon weihnachtlich: Eine Familie auf der Flucht, unwillkommen, unsicher, ob sie den nächsten Tag erleben wird – vermutlich in ständiger Begleitung der Frage: Warum ich, warum wir?

Vielleicht ist das ein bisschen bedeutungsschwanger für eine angenehme Stunde jenseits des Gefängnisalltags. Eine Stunde, die man mit Kollegen verbringt und die mit Kekssäckchen und vorfrankierten Postkarten endet. Vielleicht aber auch nicht. Wie gesagt: Fragen – Fragen.