Unser Vorstellungsvermögen ist ziemlich kurzsichtig, wenn es um Blicke über den Tellerrand geht. Das Projekt „Dollar Street“ der Schwedin Anna Rosling Rönnlund hilft dem auf die Sprünge.

Diese Toilette „steht“ im indischen Kalkutta. Dort lebt die fünfköpfige Familie Shaw von 48 US-Dollar im Monat.

Gehören Sie auch zu denen, die es vermeiden, unterwegs müssen zu müssen? Öffentliche Sanitäranlagen – in Zügen, Kaufhäusern, Imbissen – sind manchmal wirklich alles andere als einladend. Eines haben sie allerdings gemein: Eine Porzellanschüssel, eine Wasserspülung und eine verschließbare Tür.

Global gesehen ist so eine Ausstattung schierer Luxus: Löcher im Boden, Plumpsklos, ein großer grüner Busch – in Haushalten mit einem Nettomonatseinkommen von 600 US-Dollar oder weniger darf man froh sein, wenn es überhaupt etwas wie einen Sichtschutz gibt. Und: Solche Haushalte sind sehr, sehr häufig.

Theorie und Praxis

Das weiß man – theoretisch; Bruttoinlandsprodukt- und Nettohaushaltseinkommensvergleiche gehören schließlich zu den beliebtesten Übungen im Geografie- und Weltkundeunterricht. Nur bleiben solche Werte da abstrakt: Was es wirklich bedeutet, ein Leben mit Betrag X oder Y zu bestreiten – wie sollen wir das ahnen?

Die Schwedin Anna Rosling Rönnlund hat das ziemlich gestört, wie sie dem Standard gegenüber erklärt. Sie wollte wissen, wie das Haushaltseinkommen den Lebensstandard beeinflusst – und zwar anhand von Vergleichsdaten, die jeder nachvollziehen kann. Wir alle müssen essen, wir alle müssen schlafen – wir alle müssen müssen. Im Zuge ihres Projekts „Dollar Street“ haben ihr und ihren FotografInnen 168 Familien in 37 Ländern besucht und sich zeigen lassen, was eben gegessen wird, wo geschlafen und wie… Sie wissen schon.

Statistik mit Gesicht

Rosling Rönnlund hat diese Bilder in eine Datenbank eingespeist und das monatliche Nettohaushaltseinkommen dagegen aufgetragen. Und plötzlich bekommt so ein statistischer Vergleichswert ein Gesicht. Ein Gesicht, dessen Lächeln bei einem Nettohaushaltseinkommen von 3650 US-Dollar oder mehr ziemlich weiß, und bei einem Zehntel davon nicht mehr halb so weiß strahlt.

Mit ihrem Projekt „Dollar Street“ setzt sie einen ziemlich wichtigen Kontrapunkt zu unserer suchmaschinengefilterten Wahrnehmung der Welt. Was sie dabei am meisten berührt hat, sagt Rosling Rönnlund dem Standard, sei der Umstand, dass Menschen ganz unabhängig von ihrem Wohlstand in Würde leben wollen. Sie zeigt das Bild einer Obdachlosen in Brasilien, die zwar kein Bett in ihrem Verschlag hat, wohl aber ein Tischchen, dekoriert mit einem knallbunten Transistorradio, einem Plüschtier und einer Vase mit Blumen.

Zum Hinschauen & Weiterlesen

Die Bilder der „Dollar Street“-Projekt sind online frei zugänglich – und beliebig filterbar: Nach Wohnort, Einkommen, Gebrauchsgegenstand: www.gapminder.org/dollar-street

Das lesenswerte Porträt von Anna Rosling Rönnlund im Standard »

Quelle: DerStandard.at / Dollar Street/Gapminder / red