Schillernd ist er und manchmal schon fast schon ein wenig abgegriffen: der Begriff Spiritualität. So weit, dass alles und nichts darunter verstanden werden kann, die Google-Suche liefert in nur 10 Sekunden über 2 Millionen Treffer. Und doch: Unter der Asche spüren Menschen die Glut.

Spiritualität wird zum Zufluchtsort jener, die sich mit der Institution Kirche schwer tun. Aber auch jener, die – aus einem materialistisch-naturwissenschaftlich geprägten Weltbild kommend – spüren: die Wirklichkeit ist mehr als das, was wir mit unseren Instrumenten messen und beweisen können. Darum geht es: um dieses Mehr.

Den leisen Tönen lauschen. Kein Mehr im quantitativen Sinn, nichts Zusätzliches. Alles gewinnt eine neue Qualität. R.M. Rilke verdichtet diese Erfahrung:
          Du kommst und gehst. Die Türen fallen 
          viel sanfter zu, fast ohne Wehn. 
          Du bist der Leiseste von Allen, 
          die durch die leisen Häuser gehn. 
          Man kann sich so an dich gewöhnen, 
          dass man nicht aus dem Buche schaut, 
          wenn seine Bilder sich verschönen, 
          von deinem Schatten überblaut; 
          weil dich die Dinge immer tönen, 
          nur einmal leis und einmal laut.
(Christliche) Spiritualität meint Aufmerksamkeit für diese leisen Töne, das Lauschen in und hinter den Lärm und das Getöse des Alltags. Die Ahnung, dass unter den freudig oder angstvoll aufgepeitschten Wogen meines Lebens eine tiefe Stille ruht. Alles kann mich zu dieser Erfahrung führen.

Lass dir alles gescheh’n, Schönheit und Schrecken. Nicht weltabgewandte Flucht aus der Realität zeichnet christliche Spiritualität aus, sondern eine Liebe zur Wirklichkeit, die sich den Herausforderungen des Lebens stellt. 
          Lass dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken. 
          Man muss nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste. 
          Lass dich von mir nicht trennen. 
          Nah ist das Land, 
          das sie das Leben nennen. 
          Du wirst es erkennen an seinem Ernste. 
          Gieb mir die Hand.
Diese Worte gibt Gott in einem Rilke-Gedicht jedem Menschen mit auf den Weg – und mit ihnen die Zusage, dass wir Gott in allen Dingen finden können (Ignatius von Loyola). Der tiefe Ernst des Lebens vermählt sich mit spielerischer Leichtigkeit.

Sich (ver)wandeln lassen. Das bedeutet auch, nicht alles selbst leisten zu müssen. Christliche Spiritualität ist kein Weg der Selbsterlösung, keine Disziplin des elitären Aufstiegs und der Selbstüberwindung. Ein letztes Mal weist Rilke den Weg: 
          ... so fasst uns das, was wir nicht fassen konnten, 
          voller Erscheinung aus der Ferne an 
          – und wandelt uns, auch wenn wirs nicht erreichen, 
          in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind ...
Wandlung kann geschehen, das ist die tiefste Hoffnung und Sehnsucht am Grund des spirituellen Weges.
Wandlung vom Dunkel zum Licht, von der Erstarrung zur Liebe, vom Tod zum Leben.
Denn: stärker als der Tod ist die Liebe.

So wünsche ich Ihnen eine gesegnete Fastenzeit.
Und dass sich am Ende jedes Lebensdunkels das österliche Licht Bahn bricht.

Ihre Petra Steinmair-Pösel
Frauenreferentin

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