von Petra Steinmair-Pösel

Nachmittag der interessierten Frauen. An die 40 Frauen waren der – recht kurzfristigen – Einladung von Frauenkommission und Frauenreferat gefolgt, sich einen Freitag-Nachmittag lang mit unserer Kirche als „Raum der Sehnsucht. Raum der Irritationen“ auseinander zu setzen. Eine kurze Vorstellrunde am Beginn gab Gelegenheit, das eigene aktuelle Befinden als Frau in der Kirche auf den Begriff zu bringen. Bereits das Ergebnis dieser ersten, knappen Bestandsaufnahme könnte alle Alarmglocken zum Klingen bringen  – handelt es sich doch bei den beteiligten Frauen nicht um fernstehende, desinteressierte oder gar ausgetretene, sondern um jenes kirchliche „Kernsegment“, das einen großen Teil des pfarrlichen Lebens vor Ort aktiv trägt.

Ambivalent. Und deren Erfahrungen mit der Kirche sind höchst ambivalent. Zwar gibt es einige, die sich – gerade in ihrer Pfarre, bei ihrer (haupt- oder ehrenamtlichen) Tätigkeit vor Ort gebraucht und geschätzt erleben, denen ihre persönliche Verwurzelung im Glauben kostbar ist, die gerne aktiv mitgestalten und – nicht ohne eine gewisse Neugier – auf eine zukunftsweisende Entwicklung hoffen.
Doch daneben und nicht selten von den selben Frauen sind Stichworte wie „allein gelassen, nicht ernstgenommen, geduldet, weil gebraucht, ohnmächtig“ zu hören. Bei einer erheblichen Zahl scheint sich eine gewisse Resignation breit zu machen. Die – von vielen Anwesenden noch mit großer Hoffnung miterlebten – Aufbrüche des Zweiten Vatikanums scheinen zu stagnieren bzw. „von oben her“ gar „rückgebaut“ zu werden. Viele sind es leid, „gegen Windmühlen zu kämpfen“ und überlegen sich, die Energie, die sie bisher in Leben und Lebendigkeit des kirchlich verfassten Glaubens gesteckt haben, anderswo zu investieren.

Strukturell verletzt. Mit Händen zu greifen ist, dass es hier Verletzungsgeschichten gibt: persönliche, vor allem aber auch strukturelle. Und dass die Leidensbereitschaft der Frauen zu Ende geht oder zumindest im Abnehmen begriffen ist. Das mag man beklagen und von einer zu niedrigen Frustrationstoleranz oder gar der ewig selben Frauenleier sprechen. Oder mit dem – durchaus gut gemeinten – Wunsch reagieren, sich doch wieder mehr dem eigentlichen Inhalt und Kern christlichen Glaubens zuzuwenden. Das ist gewiss psychohygienisch gesünder. Und: Dass dieser Kern, dass Gott, im Zentrum stehen darf, soll und muss, ist unbestritten – ebenso, wie dass alles pastorale Bemühen letztlich daraufhin auszurichten ist.

Im Zweifel zählt die Körpersprache. Doch darf nicht übersehen werden, dass Inhalt und Form der christlichen Verkündigung nicht zu trennen sind: Unbestritten ist das in Bezug auf die Gewaltfrage: Wie kann man mit Gewalt einen gewaltfrei liebenden Gott verkünden? Weniger einsichtig scheint es für viele noch im Hinblick auf die Geschlechterthematik: Wie will man glaubhaft verkünden, dass Gott sich – inkarnatorisch in Jesus Christus – mit ausnahmslos jedem Menschen (ob männlich oder weiblich) verbunden hat, wenn dann scheinbar doch nur Männer in der Lage sind, Christus im eucharistischen Geschehen zu repräsentieren? Viele Frauen sind dieser Fragen überdrüssig – vor allem die jungen. Sie wenden sich ab oder gar nicht mehr zu. Die „Körpersprache“ der Kirche sagt ihnen mehr als tausend Worte. Das ist auch an jenem Nachmittag im Diözesanhaus zu spüren: gekommen sind vor allem Frauen ab 50, jene, die noch eine starke innere Bindung an die Kirche haben, die sie davon abhält, bei kleinen oder größeren Irritationen „das Handtuch zu werfen“. Als Frau unter 40 fühlt man sich an diesem Nachmittag als eine Minderheit – nicht anders als am Sonntag in vielen Gemeindegottesdiensten.

Entwarnung? Zugegeben: es gibt auch Gegenbeispiele. Gott sei Dank. Junge Frauen, die sich in der Kinder- und Familienliturgie engagieren, die Sakramentenvorbereitung tatkräftig in die Hand nehmen, selbstbewusst vor Ort „mitmischen“. Ob das bereits Grund genug ist, Entwarnung zu geben? Ich würde es bezweifeln. Und dazu raten, genau hinzusehen und hinzuhören. Für all jene, die Interesse haben, die – um mit Abt M. Werlen vom Kloster Einsiedeln zu sprechen  - „das Ohr am Herzen Gottes und die Hand am Puls der Zeit“ haben möchten, seien hier exemplarisch die Ergebnisse eines intensiven Nachmittags (unverfälscht so, wie sie schriftlich im Rahmen der Vorstellrunde und eines „World Café“ benannt wurden) zusammengestellt:

So fühlen sich engagierte und interessierte Frauen derzeit in unserer Kirche.
alleingelassen (wir Frauen werden nicht ernst genommen), geduldet weil gebraucht, vertraut, verwurzelt (gebeugt + aufrecht „ge“-wachsen), ohn-mächtig, neugierig (wie es weiter geht), grenzwertig, aussen vor, angenommen (in der Pfarre gut angenommen), herausgefordert (Eigenverantwortung: Spiritualität, Engagement in der Kirche, Ort, an dem ich lebe), nicht ganz ernst genommen, unzufrieden, einseitig, auf und ab, nicht angenommen, gemischt (Ich bin gern in der Kirche, erfahre Wertschätzung als Frau, reagiere aber auch sensibel auf männliche „Macht“.), gebraucht und geschätzt (als Mitarbeiterin, Sprachrohr), ambivalent (gewisser Gestaltungsspielraum als PAss, RL, BG-Vorsitzende, im Pastoralgespräch, Frauenliturgie; Ungerechtigkeit der Strukturen), in eine Gemeinschaft eingebunden, abwartend / mit Abstand, flexibel, zwiespältig (Möglichkeiten sind da, aber: Wandel von „oben“ fehlt), neu (mich spirituell in Gemeinschaft wissen), nicht angenommen, hin- und her-gerissen, übergangen (ohne Stimme), zwiespältig (aufgeschlossen, frustriert, aktiv mitarbeitend, fragend), durchwachsen, erwartungsvoll, brauchbar (kritische Mitarbeit), manchmal gut / manchmal schlecht / oft unwichtig, nicht gut (in der hierarchischen Männerkirche), ohne uns Frauen geht’s gar nicht mehr, doch eigentlich gibt es uns gar nicht, mittig & an der Grenze, nebensächlich, „mitten drin“, sehnsuchtsvoll (suchend nach den Schätzen, manchmal findend, manchmal resignierend)

Was bewegt mich derzeit am meisten im Blick auf Kirche – Religion – Spiritualität?
_ Gott in mir
_ Gelebte Liebe
_ Das eigene Leben
_ Die Diskrepanz zwischen Spiritualität und Kirche – Hat meine Spiritualität Platz in der Kirche?
_ Wir strahlen keine Glaubwürdigkeit und Begeisterung / nach dem Vorbild Jesu leben aus mit dieser vatikanischen Amtskirche
_ In der Institution Kirche (Hierarchie, Kirchenrecht) wird die spirituelle Dimension zugedeckt, das regt mich auf!
_ Weil ich die Institution ablehne, verliere ich den Zugang zur spirituellen Dimension der Kirche
_ Wer hebt diesen Schatz?
_ Verbindung alte Form / neue Form – Spiritualität für Frauen von Frauen
_ Ritualisierte Spiritualität ist vorhanden – lebendige und lebensnahe Spiritualität kommt zu kurz – Sie ist unter Frauen und Jugendlichen vorhanden
_ Das Fernbleiben von Menschen – vor allem in der Messe
_ Junge Lehrerkollegin ist ausgetreten aus „diesem Verein“
_ Junge religiöse Frauen, die ihre Spiritualität leben wollen und mehr als begabt sind / wären in der Führung oder Mitarbeit einer Pfarre wollen sich diesen „Kampf gegen Windmühlen“ nicht antun. Weibliche Seelsorgerinnen sind mehr als überfällig
_ Woran glauben meine Kinder?

Was brauche ich, damit ich mich in der Kirche wohlfühle?
_ Authentizität
_ Austausch
_ Kontakt
_ Vernetzung
_ Persönlich angesprochen werden
_ Augenhöhe
_ Nicht ausgelacht zu werden
_ Aufgenommen zu sein
_ Akzeptanz
_ Gegenseitiger Respekt
_ Gleichberechtigung anderer Bilder
_ Miteinander von Frauen und Männern
_ Als Frau gleichwertig zu sein
_ Ernstnehmen der Frauenanliegen
_ Das Anderssein der Frau / die Sicht der weiblichen Seite als Bereicherung sehen und als Erweiterung und Ergänzung
_ Keine Praxis der Ausgrenzung
_ Macht / Ermächtigung
_ Kompetenz in der Gemeindeleitung
_ Spirituell erfahrene BegleiterInnen
_ Freude
_ Verständnis
_ Vertrauen
_ Wohlwollen
_ eine stimmige Sprache
_ Als Frau bin ich keine Bedrohung des Mannes (Mann soll für seine „Ängste“ Verantwortung selbst tragen)
_ Antworten auf Fragen, die gestellt werden, nicht Antworten auf Fragen, die ich an anderen Orten stelle
_ Beauftragung vor der Gemeinde
_ Die wertvollen neuen Ideen aufnehmen und nicht aufs Abstellgleis

Welche Fähigkeiten möchte ich in die Kirche einbringen und was will ich aus ihr schöpfen?
_ Rituale
_ Mehr Ehrlichkeit
_ Teamfähigkeit
_ Change Management
_ Weibliche Spiritualität und Intuition
_ Hoffnung, dass sich Institution verändern kann – die Geistin weht, wo sie will!
_ Schon bei Entscheidungen dabei sein!
_ „Bodenhaftung“ kritischer hinterfragen
_ Ermächtigung
_ Als Motivatorin für Frauengruppen
_ Herbergsmutter sein
_ Beheimatung
_ Seelsorgerin für Frauen in der Kirche / Pfarre, dort wo ich bin
_ Ich möchte gerne eine Predigt halten (nicht erst, wenn der Pfarrer nicht mehr kann)
_ Leitungsaufgaben für Frauen - Fähigkeiten
_ Priesterinnen / Priesterliche Fähigkeiten

Wie muss/müsste Liturgie gestaltet sein, damit ich mich persönlich angesprochen fühle?
_ Leben müsste vorkommen!
_ Raum für jede Lebenssituation – in schweren Situationen jemanden zur Seite haben
_ „Texte“ überprüfen
_ Sprache
_ Sprache weibl + männl.
_ Fokus auf Freude, Licht, Liebe, Leben – Positives
_ Anspruch: Stärkung für Alltag zu bekommen (aufbauend), da ansonsten Zeit anders nutzen (Wahl)
_ Predigt als Input für den Alltag
_ Alltagsbezügliche Sprache
_ Vermittlung der Botschaft
_ Liturgie muss gemeinsam von allen entwickelt und gefeiert werden
_ Ehrlich, stimmig, authentisch – insbes. Pfarrer (eigene Haltung der Liebe?)
_ Vernunft & Herz (Texte, Predigten ….)
_ „Rituale“
_ Liturgie – Rahmen
_ Geheimnisvolles erhalten
_ Mitsprache bei der Bischofswahl!

Im Gehen. Am Ende dieser Bestandsaufnahme soll nicht Resignation stehen, sondern eine immer öfter gehörte und beschworene Erfahrung: Veränderung findet statt: jetzt, konkret, vor Ort. So haben große Veränderungsprozesse in der Kirche (fast) immer begonnen: nicht durch Verordnungen von oben oder Resolutionen von unten, sondern durch eine schlichte, bescheidene, am Leben und seinen Notwendigkeiten orientierte alternative Praxis. Das war auch ein häufig gehörter Wunsch am Ende des Nachmittags: Nicht warten, sondern gemeinsam Neues entwickeln und tun. Mit Freude, Lust und Leichtigkeit – denn nur dann wird es Kraft entwickeln.
Wie das konkret aussehen und sich gestalten wird, bleibt in den nächsten Monaten und darüber hinaus zu erkunden. Denn: „Es gibt keinen Weg, es gibt nur das Gehen“ (Sr. Ishpriya)