"Armutsrisiko Frau" titelte kürzlich der Gesellschaftspoltisiche Stammtisch in Dornbirn. Dass sich die relative Einkommenssituation für Frauen in den letzten Jahren - gerade auch in Vorarlberg - nicht wesentlich verbessert hat, zeigen die aktuellen Zahlen zur Einkommensschere. Eine Analyse von Petra Steinmair-Pösel

Nach Estland ist Österreich das EU-Land mit den größten geschlechtsspezifischen Einkommensunterschieden. Und Vorarlberg ist wiederum das Bundesland mit der größten Einkommensschere zwischen Männern und Frauen (gender pay gap). Darüber, dass diese Situation ungerecht und gesellschaftlich unerwünscht ist, darüber, dass sie nicht der theologisch unumstrittenen gleichen Würde von Frau und Mann entspricht, sind sich wohl alle einig. Doch was sind die Hintergründe? Und warum sind Veränderungen so schwierig?

Bildungsnachteil - schlechter bezahlte Tätigkeiten - Teilzeitarbeit

Auf der Suche nach Gründen für die eklatanten Einkommensunterschiede wird nach wie vor oft der ehemals fehlende oder zumindest schlechtere Bildungszugang für Frauen genannt. Allerdings haben hier die Frauen in den letzten Jahren gewaltig aufgeholt. Inzwischen sind sowohl bei den Universitätsabsolventinnen als auch bei den Maturantinnen Frauen österreichweit in der Überzahl. Ein weiterer Faktor liegt darin, dass sich junge Frauen bei der Berufswahl häufig für schlechter bezahlte Tätigkeitsbereiche (Friseurin, Verkäuferin, Pflege) entscheiden bzw. dass traditionell von Frauen ausgeübte Berufe schlechter bezahlt werden als "klassische Männerberufe". Hier setzen Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung wie beispielsweise der "girls'day" an, die es sich zur Aufgabe gesetzt haben, die traditionelle Rollenaufteilung bei der Berufswahl aufzubrechen. Schließlich befinden sich Frauen in überdurchschnittlich hohem Ausmaß in prekären oder Teilzeit-Beschäftigungsverhältnissen. Das meist deshalb, weil sie den größten Teil der Hausarbeit, der Erziehungsarbeit und der Pflege alter oder kranker Angehöriger übernehmen. Frauen engagieren sich in überdurchschnittlichem Ausmaß im Bereich der gesellschaftlich notwendigen und sinnvollen Sorge um das Lebensdienliche. Damit ist jedoch eine gesellschaftlich weit über die Frage der Geschlechtergerechtigkeit hinausgehende brisante Thematik angesprochen.

Verhältnis von bezahlter Erwerbsarbeit und (meist) unbezahlter Versorgungsarbeit

Wir leben in einer Kultur, die die Sorge um das Lebensdienliche (also Fürsorge und Versorgungsarbeit, Pflege, etc.) massiv geringer bewertet als die Erwerbsarbeit. Diese Minderbewertung betrifft unter den Voraussetzungen der traditionellen Rollenverteilung vor allem Frauen. Sie erschwert oder verhindert aber auf geradezu fatale Weise auch, dass Männer bereit sind, sich in diesen Lebensbereichen stärker einzubringen. Unter dieser Minderbewertung leiden zunächst all jene Frauen, die sich nach klassischem Rollenverständnis vor allem in diesem Bereich engagiert haben oder engagieren. Denn sie erfahren für ihre wertvolle Arbeit nicht nur wenig Wertschätzung, sondern müssen - im Gegenteil - auch massive finanzielle Nachteile in Kauf nehmen (finanzielle Abhängigkeit, niedrigste Pensionen). Darunter leiden aber auch jene Frauen, die versuchen, den Spagat zwischen beidem zu schaffen und dafür oft einen hohen persönlichen Preis zahlen: "wenig Schlaf, ständiger Stress, kaum Freizeit" - brachte es kürzlich ein Artikel in "dieStandard" auf den Punkt. Wir können deshalb auch sagen: Frauen (und auch die wenigen Männer, die bereit sind, in diesem Bereich zu arbeiten) werden dafür bestraft, dass sie das Wichtigste - das Lebensdienliche - für die Gesellschaft machen. Schließlich leiden unter dieser Minderbewertung auch jene, die auf Fürsorge angewiesen sind: Kinder, pflegebedürftige Menschen, Alte.

Ausweg Vollzeit-Erwerbstätigkeit?

Wenn über Einkommensbenachteiligung von Frauen gesprochen wird, scheint der Ausweg oft rasch auf der Hand zu liegen: Neben der Beseitigung der inakzeptablen Diskriminierung (positiv formuliert: gleicher Lohn für gleiche Arbeit) sollen Frauen möglichst ebenso wie Männer voll erwerbstätig sein. Doch gerade wenn wir darüber sprechen, dass gerecht entlohnte (Vollzeit-)Erwerbsarbeit für Frauen als Ausweg aus der Armutsfalle von großer Bedeutung ist, dürfen wir darüber nicht die kritische Frage vergessen, ob hier nicht ungewollt und etwas vorschnell Frauen in eine neue Abhängigkeit bzw. Unfreiheit getrieben werden. Damit soll nicht einer Rückkehr zu den alten Rollenbildern das Wort geredet werden. Es geht also nicht um ein Zurück oder gar eine Verbannung der Frauen zu Kinder – Kirche – Küche. Die Frage ist aber, ob wir bei der Suche nach Wegen zu einer gerechteren, menschen- und lebensfreundlicheren Gesellschaft nicht noch viel tiefer und in dieser Weise radikaler ansetzen müssen.
Lassen Sie es mich als Frage formulieren: Besteht nicht die Gefahr, dass die Gleichstellungsbemühungen, wenn sie den Ausweg aus der Problematik nur in der Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen sehen, letztlich nicht wirklich zu einem besseren, erfüllenderen Leben für Frauen (und Männer) beitragen, sondern das Leben – noch mehr als bisher – der Logik des Marktes unterwerfen? Ginge es hier nicht vielmehr darum, in partnerschaftlicher, d.h. auch fairer und geschlechtergerechter Weise neue Wege und Möglichkeiten von bezahlter und unbezahlter Arbeit, von Erwerbs- und Fürsorge-Arbeit zu suchen? Ginge es nicht darum, in Ökonomie und Politik die Sorge um das gute Leben aller Menschen ins Zentrum zu rücken und einen neuen gesellschaftspolitischen Diskurs darüber anzuregen, was "das gute Leben" heute ausmacht. Das könnte beispielsweise eine Reduktion der Normal-(Erwerbs-)Arbeitszeit beinhalten, aber auch die gesellschaftliche Aufwertung der Arbeit im Lebensdienlichen.

Globale Hierarchie des Delegierens

Um den Diskurs heute in verantwortlicher Weise führen zu können, braucht es zudem eine Ausweitung des Horizonts auf globale Zusammenhänge: „Die Welt als Pflegehierarchie“ titelte kürzlich "dieStandard" einen aufschlussreichen Beitrag. Angesprochen war das zunehmende „outsourcing“ der Versorgungs- und Pflegearbeit an Arbeitsmigrantinnen bzw. die Umwandlung der Versorgungs- und Pflegearbeit in (meist prekäre und schlecht bezahlte) Erwerbsarbeit. Dabei delegieren Frauen, bei denen auch in unserer westlichen Gesellschaft trotz veränderter Rollenbilder immer noch der Großteil der Verantwortung für das Lebensdienliche (Haushalt, Kindererziehung, Pflege alter und kranker Menschen) liegt, diese Versorgungsarbeit an Migrantinnen. Diese bekommen so die Chance, im Westen Geld für ihre Familien daheim zu verdienen. Der gewaltige Makel daran liegt im Ungleichgewicht der Risiken und Profite, wobei die Risiken vor allem bei den Arbeitsmigrantinnen liegen, die meist in prekären, oft halblegalen Beschäftigungsverhältnissen stehen. Zudem erzeugt ihre Abwesenheit von ihren Herkunftsländern und –familien dort eine gewaltige Lücke: Ihre Kinder werden – oft nur unzureichend - von selbst überforderten Großmüttern, Schwägerinnen, Nachbarinnen oder von Frauen aus noch weniger priveligierten Ländern versorgt. Inzwischen wurde dafür der Begriff der „grenzüberschreitenden Mutterschaft“ und der „globalen Pfegeketten“ geprägt. Diese komplexen Netzwerke erstrecken sich über ganze Länder und Kontinente. Dazu die US-Soziologin Arlie Hochschild: „Mutterschaft wird in der Hierarchie der Länder, Ethnien, Rassen nach unten weitergegeben.“ Die Globalisierung führt zu einer globalen Hierarchie des Delegierens. Die Arbeit am Lebensdienlichen, der Pflege, des Kochens und Putzens "wird weitergereicht entlang einer Fluchtlinie der Nationalität, Hautfarbe, ethnischen Zugehörigkeit." Die Konsequenzen haben vor allem jene zu tragen, die in dieser Hierarchie zuunterst stehen: die Kinder der Migrantinnen.

Was also tun?

Was ist also zu tun? Gesellschaftspolitische Bewusstseinsbildung ist nach wie vor notwendig. Ebenso ein breit geführter Diskurs über "das gute Leben": Was bedeuet es heute für uns in den reichen westlichen Staaten, ein "gutes Leben" zu führen? Und was bedeutet es für jene Frauen und Männer, die zu uns kommen in der Hoffnung, hier "das gute Leben" zu finden? Was bedeutet es für jene Menschen, die am Rand unserer Gesellschaft stehen?
Für alle Um- und Neugestaltungsprozesse brauchen wir einen geschlechtersensiblen Blick, ja noch allgemeiner einen "opfersensiblen" Blick. Wir müssen die Frage stellen: Wie wirken sich politische Maßnahmen auf Frauen und Männer, auf Kinder und alte Menschen aus? Was sagen die angestrebten politischen Maßnahmen über unser implizites oder explizites gesellschaftliches Wertegefüge aus? Und wie wirken sie auf dieses zurück?
Und wir brauchen eine geschlechtergerechte Umverteilung der bezahlten, erwerbsförmig organisierten Arbeit und der unbezahlten, gesellschaftlich aber unverzichtbaren und sinnvollen Arbeit im Lebensdienlichen. Gesellschafts- und sozialpolitisch ist es daher unumgänglich, Rahmenbedingungen zu schaffen, die reguläre Erwerbstätigkeit und soziale Sicherheit für Frauen und Männer gleichermaßen gewährleisten. Dazu zählt nicht nur der Ausbau qualitätsvoller Kinderbetreuung, sondern auch die gesellschaftliche Wertschätzung der Sorgearbeit. Dazu zählt die Forcierung der Väterkarenz durch partnerschaftliche Modelle ebenso wie Normalarbeitszeiten, die eine gute Balance von Beruf und Familie ermöglichen.