Klara war im besten Sinn des Wortes eine radikale Frau, eine ver-rückte Heilige. Ver-rückt muss frau auch sein, wenn sie so die Armut sucht und liebt, wie diese Heilige aus dem 13. Jahrhundert. Damit scheint sie so gar nicht zu unserem heutigen Engagement für die Anliegen und Rechte der Frauen zu passen - oder vielleicht doch? Was kann Klara einer modernen Frau bedeuten? Vielleicht, dass sie sich gegen alle bürgerlichen Normen ihrer Zeit stellt? Vielleicht, dass sie selbst Päpsten die Stirn bietet? Vielleicht, dass sie konsequent ihren eigenen Weg sucht und geht? Ein FrauenPortrait von Clara Mair

Klaras Geschichte ist die Geschichte einer Grenzgängerin

Als Grenzgängerinnen werden bei uns diejenigen bezeichnet, die auf der einen Seite leben und auf der anderen Seite arbeiten. Sie pendeln über die Grenze, weil es dort den Job gibt, und hier die Wohnung, weil das Dort ihren Fähigkeiten entspricht und das Hier ihren Bedürfnissen. Es sind auch Menschen, die es wagen sich zunächst in ein fremdes Terrain zu begeben.
Klara von Assisi pendelt unzählige Male von einem Hier in ein Dort, auch wenn sie schon mit 18. Jahren an den Ort gelangt, an dem sie dann bis zu ihrem Tod mit fast sechzig Jahren bleiben wird.

Zwischen Oberstadt und Unterstadt

Klara kommt als älteste von drei Töchtern einer angesehenen Adelsfamilie im Jahr 1193/94 zur Welt. Hineingeboren in die klare Ordnung der feudalen Gesellschaft ihrer Zeit, lebt sie in den leisen Gassen der Oberstadt von Assisi. Unter lauter Frauen aufwachsend, erhält sie eine vorzügliche Erziehung und Bildung. Behütet hinter dicken Mauern im Wohnturm der Familie, kommt sie erst gar nicht in Kontakt mit Armut und Elend der lauten Unterstadt. Sie soll die Welt nicht eher kennen lernen, als bis sie verheiratet wird – mit einem möglichst reichen und mächtigen Ehemann. Allein der Kirchgang ermöglicht ihr einen Blick über die Grenze und lässt sie in die Welt draußen schauen. Was die junge Klara dort sieht, führt dazu, dass sie Geld und Lebensmittel verschenkt und beginnt, sich mit den Armen solidarisch zu zeigen.

Drinnen und Draußen

In Assisi kommt es, als Klara noch ein Kind ist, zu einem Krieg. Das Bürgertum erstarkt, und mit dem Beginn der Geldwirtschaft erlangen viele Familien und Zünfte zunehmend Reichtum. Sie beanspruchen deshalb, auch an der Macht beteiligt zu werden. Die Adeligen – auch Klaras Familie –  fliehen für einige Jahre in die benachbarte Stadt Perugia. Irgendwann in diesen jungen Jahren hört Klara vom reichen Tuchhändlersohn Franziskus. Er soll all sein Hab und Gut verschenkt, sich den Aussätzigen genähert und schließlich ganz mit der Welt seiner Eltern gebrochen haben.
Klara unterstützt Franz und seine ersten Brüder. Zunächst lässt sie ihm Geld zukommen, doch dann will sie seine Weise zu leben und zu glauben genauer kennen lernen. Über zwei Jahre, begegnen sich Klara und Franz heimlich außerhalb der Stadt. Dann trifft sie ihre Entscheidung. In der Nacht vom Palmsonntag im Jahre 1212 lässt sie ihr altes Leben hinter sich und bricht aus. Draußen, in der Ebene unterhalb Assisis, bei einer kleinen Kapelle, der Portiunkula, wird sie von Franz und einigen Brüdern erwartet.

Grenzberührung wirkt Identität

Was will diese junge Frau eigentlich?
Religiös bewegte Frauen und Männer können in dieser Zeit nicht zusammenleben, ohne dass sie Gefahr laufen der Häresie verdächtigt zu werden. Klara sucht einen Ort, wo sie verwirklichen kann, was in ihr lebt. So kommt Klara bei den Benediktinerinnen in der Nähe von der Portiunkula unter. Doch in diesem reichen Kloster fühlt sich Klara sichtlich fehl am Platz. Nach einigen Auseinandersetzungen mit ihrer Familie, die sie zurückholen will, wechselt sie zu einer kleinen Gemeinschaft, den Waldschwestern, wenige Kilometer vor der Stadt. Diese Frauengemeinschaft versucht bereits, arm und von ihrer Hände Arbeit zu leben. Doch sie will auch hier nicht sein. Einsamkeit und Weltabgeschiedenheit, sind nicht was Klara sucht.
Agnes, Klaras etwas jüngere Schwester schließt sich ihr an. Klara scheint sich diese Nähe ersehnt zu haben, jedenfalls schreibt ihr Biograph, sie sei sehr glücklich über Agnes’ Entscheidung gewesen. Als Pacifica, eine Nachbarin und Freundin, dazukommt, sind sie schon zu dritt. In dem kleinen Kirchlein San Damiano, vor den Mauern Assisis, finden sie den geeigneten Ort, für ihr gemeinsames Leben und ihre Berufung.

Vor der Stadt und in der Kirche

Durch den Einzug der Frauen bekommt die kleine Kirche ein eigenes Gesicht. Niveauunterschiede zwischen Schwestern, Priestern und Gläubigen werden baulich eingeebnet. Vor Gott sollen alle auf derselben Stufe stehen. In den ersten Jahren lebt dort vor der Stadt Assisi also eine kleine Gemeinschaft befreundeter, ja verwandter und vor allem begeisterter Frauen. Sogar Klaras Mutter Ortulana und ihre zweite Schwester Beatrice gehören mittlerweile dazu. Spirituell begleitet und materiell versorgt werden sie von den Brüdern des Franziskus. Die Schwestern selbst gehen nicht betteln, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. Teils, weil ihnen das Leben in einem abgeschlossenen Raum durch ihre Kindheit und Jugend wohl vertraut ist, teils, weil die Kirche sich betende, gläubige Frauen nicht anders vorstellen kann. San Damiano allerdings steht den Nöten der Menschen, der Begegnung mit den umherziehenden Brüdern und dem Suchen neuer Frauen offen.
In diesen Anfangsjahren rückt San Damiano ins Blickfeld der offiziellen Kirche. Es ist nicht mehr zu übersehen, was dort an religiöser Erfahrung entstanden ist. San Damiano ist zwar nicht der einzige Aufbruch: Überall und durchaus unabhängig voneinander entstehen Gemeinschaften, um der neuen Spiritualität der Armut Raum zu geben - und wohl auch den Erfahrungen von Frauen. Eine Art religiöse Frauenbewegung entfaltet sich in Mitteleuropa. Die Kirche sieht sich gezwungen, zu reagieren.

Zwischen Armut und Reichtum

Der neu bestellte Kardinal, Hugolin von Ostia, will die spirituell suchenden Frauen Nord- und Mittelitaliens vereinen. Ihm schwebt vor, nach seiner Regel einen neuen Frauenorden zu gründen. San Damiano hätte er dabei gerne zum Zentrum gemacht. Doch seine Bewunderung für Klara und ihre Schwestern hält ihn nicht ab, ihre tiefste Überzeugung zu missachten. Der gemeinschaftlichen Armut der Frauen gibt er in seiner Regel keinen Raum. Er legte vielmehr deutlich Wert auf eine strenge Form der Klausur. Wo Frauen fest an einem Ort leben, müssen sie durch Ländereien und Einkünfte abgesichert sein. Für Armut ist da kein Platz mehr. Klara kommt in Konflikt mit dieser Haltung.
Als der Kardinal, inzwischen Papst geworden, anlässlich der Heiligsprechung des Franziskus (1228) mit Klara zusammentrifft, bietet er ihr unverhohlen Besitz für San Damiano an. Daraufhin reagiert Klara sehr deutlich: Sie, und mit ihr die Schwestern, haben Gott versprochen, in Armut zu leben. Dieses Gelübde ist keine vertragliche Angelegenheit, von der ein Papst sie hätte lossprechen können, es ist ein Treueversprechen. Das hatte Gregor IX. offensichtlich nicht verstanden, dennoch lenkt er ein. San Damiano besitzt das so genannte Privileg der Armut, ein paradoxes Vorrecht, niemals Privilegien annehmen zu müssen. Klara hatte es sich in den ersten Jahren von Gregors Vorgänger, Innozenz III., ausstellen lassen. Gregor IX. bestätigt ihr nun dieses Privileg noch einmal.
Man hätte meinen können, Klaras Weg wäre nun endlich frei. Doch die Anfragen an ihr Selbstverständnis und ihre Berufung sind keineswegs zu Ende. Sie kämpft in dieser Sache einen lebenslangen, beharrlichen Kampf. Klara lässt sich auf die Relativierungsversuche von außen ganz einfach nicht ein – erstaunlich konsequent und mit viel innerer Kraft. Sie lebt ihr armes Leben und es gelingt niemandem, sie von einem anderen Reichtum zu überzeugen.

Über Grenzen hinweg

Solidarität erfährt sie dabei in den ersten Jahren von Franz und seiner Brüdergemeinschaft. Viel Kraft schöpft Klara aus der Zuneigung und Unterstützung von gleich gesinnten Frauen. Ihre leibliche Schwester Agnes spielt dabei eine erste, wichtige Rolle. Sie stärkt Klaras Weg.
Eine zweite Frau gehört unverkennbar in dieses unsichtbare Netz der liebevollen Solidarität mit hinein. Es ist die Königstochter Agnes von Prag. Sie hatte durch Brüder des Franziskus dieses Leben kennen gelernt und wohl auch von Klara gehört. Sie unterstützt daraufhin in ihrer Stadt die neue Spiritualität. Agnes gründet ein Frauenkloster für die „Armen Schwestern“ und entschließt sich schließlich, selbst dort zu leben.
Die beiden unterschiedlichen Frauen sind fortan durch einen Briefwechsel verbunden. Über fast zwanzig Jahre bis kurz vor Klaras Tod bestärkten sie einander, in der Berufung zur Armut und Einfachheit. Anhand der uns erhaltenen vier Briefe der Klara kann man erkennen, wie ihre Freundschaft gewachsen ist. In diesen Briefen ist all das, was Klara beseelt, am deutlichsten zu spüren.

Berufung und Amt

Am Ende ihres Lebens spitzt sich die Diskrepanz zwischen persönlicher Glaubwürdigkeit und den kirchlichen Vorgaben noch einmal zu. Klara erkennt, dass sie aktiv werden muss, damit die Lebensweise der Armen Schwestern auch nach ihrem Tod einen Ort in der Kirche haben wird.
Ein neuer Papst erlässt eine neue Regel für die Frauengemeinschaften, die jedoch nicht auf den Kern Klaras eigentlicher Berufung eingeht. Jetzt macht sich Klara daran, selbst eine Regel zu schreiben.
Sie will ihre Regel, die erste übrigens, die von einer Frau geschrieben worden ist, vom Papst selbst bestätigt haben. So soll diese Lebensweise eine Chance haben, innerhalb der Kirche zu bestehen. Mittlerweile ist Klara sterbenskrank, und es bleibt nicht mehr viel Zeit. Papst Innozenz IV. besucht sie am Sterbebett. Beeindruckt von der todkranken Frau läßt ihr der Papst die ersehnte Bestätigungsbulle ausstellen. Das Datum, das sie trägt, ist der 9. August 1253.
Klara erhält diese Bulle am 10. August. Sie soll sie viele Male an sich gedrückt und geküsst haben. Der Kampf ist zu Ende, ihre „Herrin Armut“, wie die Heilige sie in ihrem Testament fast zärtlich nennt, hat das Wohnrecht unter den Schwestern nun auch offiziell erhalten. Am nächsten Tag, am 11. August, kann Klara sterben. Damit überschreitet sie die letzte Grenze zu Gott, der ihr ganzer Reichtum war.

 

Die Autorin

Sr. Clara Mair, cscs
Die Autorin gehört zur Gemeinschaft der Barmherzigen Schwestern vom hl. Kreuz.
Sie ist ausgebildet in Religionspädagogik, Franziskanischer Spiritualität, Exerzitienbegleitung und Geistlicher Begleitung. Seit einem Jahr arbeitet sie im Pastoralamt, Fachteam Spiritualität – Liturgie – Bildung.


Literatur:
Bartoli, Marco, Klara von Assisi. Die Geschichte ihres Lebens, 1993
Kreidler-Kos, Martina, Das leben der Klara von Assisi, 2003
Kreidler-Kos, Martina, Schattenfrau und Lichtgestalt, 2000
Rotzetter, Anton, Klara von Assisi. Die erste Franziskanische Frau, 1993