Die Sinnforscherin Dr.in Tatjana Schnell spricht beim FrauenSalon darüber, warum die Glückssuche gefährlich ist. Da stellt sich doch die Frage, wonach man streben sollte: Glück, Zufriedenheit oder ein sinnvolles Leben?

Frau Dr.in Schnell, macht es denn Sinn nach Glück zu streben? Oder sollte das Ziel vielleicht ein anderes sein? Vielleicht Sinn oder Zufriedenheit?

Tatjana Schnell: Mit Glück meinen wir in der Psychologie etwas Emotionales. Das, was wir als Gefühl spüren. Zufriedenheit hingegen ist eher: Das passt so für mich, ich bleibe wo ich bin. Das hat natürlich einen großen Reiz, kann aber auch dazu verleiten, sich halt zufriedenzugeben, mit Dingen, wo man besser versuchen sollte sie zu ändern. Wenn wir aber sagen, ich möchte eher sinnvoll leben, dann heißt das, es geht mir nicht unbedingt darum zufrieden zu sein, sondern zu hinterfragen und das, womit ich nicht zufrieden bin, vielleicht auch noch zu verändern in Richtung dessen, was ich sinnvoll finde.

Dann also besser ein „sinnvolles Leben“? Wie schaffen wir das? Gibt es eine Anleitung?

Der erste Schritt ist herauszufinden, wer man eigentlich wirklich ist. Was man will, was man für Werte hat. Was man kann, was man wichtig findet, wie man sich die Welt eigentlich vorstellt. Dieser Prozess klingt zuerst banal: Du musst dich selbst kennen, aber wenn man das nicht tut, kann man das Leben auch nicht danach ausrichten, dass es zu einem passt. Und das gehört eben zu diesen vier Facetten, was Sinn eigentlich bedeutet. Das uns verstehen lässt, wie man ein sinnvolles Leben lebt.

Wie lauten denn diese vier Facetten?

Es hat zunächst damit zu tun, dass wir eine Ausrichtung haben, eine Orientierung – auch „purpose“ genannt, In welche Richtung soll mein Leben verlaufen? Außerdem ist wichtig, dass wir erleben, dass wir etwas bewirken können, dass unser Handeln auch Konsequenzen hat. Die dritte Facette ist die Kohärenz. Sie beschreibt, dass wir uns selbst und die Welt um uns herum verstehen und vorhersagbar in dieser handeln können. Und die letzte Facette ist, dass wir uns als zugehörig erleben.

Müssen denn alle vier Facetten erfüllt sein?

Das ist tatsächlich die Mindestanforderung. Wenn eine davon nicht erfüllt ist, geraten wir meist schon ins Trudeln und bekommen das Gefühl, dass etwas nicht so ganz passt.

Stürzt man sonst in eine Sinnkrise?

So schnell nicht, aber normalerweise fängt es so an und wenn man darauf nicht reagiert, kann es zu einer Sinnkrise werden. Eine Sinnkrise ist ziemlich schmerz-haft – aber da braucht es schon ein bisschen mehr.

Wie geraten Menschen denn in eine Sinnkrise?

Wir sehen, dass die meisten Menschen in eine Sinnkrise geraten, wenn etwas im äußeren Leben passiert. Wenn etwas geschieht, das den Lebensfluss unterbricht. Bei den meisten sind das kritische Lebensereignisse – z.B. eine Erkrankung, der Tod eines Menschen in der näheren Umgebung, der mir lieb ist. Oder so etwas wie eine Pandemie oder Kriegssituation. Dinge, die die eigenen Grundannahmen über die Welt in Frage stellen. Und der zweite Punkt, der häufig zu Sinnkrisen führt, sind Übergangssituationen, in denen sich Menschen notwendigerweise hinterfragen müssen „Wohin soll ich gehen?“ Die Möglichkeiten, die sich uns dann auftun, rufen oft Angst hervor, da jede Entscheidung für etwas auch eine Entscheidung gegen etwas anderes ist. Zum Beispiel der Übergang von der Schule in die Ausbildung, ein Studium oder den Beruf. Und auch, wenn später die Kinder das Haus verlassen oder die Pension.

Kann man aus dieser Sinnkrise selbst wieder herauskommen, oder braucht man (professionelle) Hilfe?

Es scheint wichtig zu sein, dass irgendjemand da ist, bei dem ich mich drauf verlassen kann, dass er oder sie an meiner Seite ist. Ich bin der Meinung, dass das nicht unbedingt eine professionelle Hilfe sein muss, weil eine Sinnkrise keine Störung und keine Krankheit ist, sondern eher etwas relativ Normales. Auch wenn es sehr schlimm und schmerzhaft sein kann. Und es wäre auch wichtig, dass wir als Gesellschaft mehr vermitteln: Es ist auch normal, dass es uns schlecht gehen kann.

Aktuell stecken wir ja gerade in einer Pandemie und in der Ukraine herrscht Krieg. Wie kann man mit solchen Situationen umgehen?

Solche Krisensituationen zeigen uns oft, was auf dem Spiel steht und sind ein guter Hinweis darauf, was man sinnvoll findet. Sie machen uns deutlich, was wir eigentlich haben und unter welchen Bedingungen wir leben, die wir gar nicht ausreichend schätzen. Von daher sind Krisen ein guter Anlass zu schauen: Will ich einfach nur so leben oder könnte ich das jetzt auch als Mög-lichkeit nutzen viel stärker für das einzutreten, was ich richtig und wichtig finde im Leben.

Welche Rolle spielen Familie, Glaube, Ehrenamt ... in einem sinnvollen Leben?

Wir haben gesehen, dass es sehr viele unterschiedliche Wege zum Sinn gibt. Menschen finden in vielen verschiedenen Dingen Sinn und selten nur in einem einzigen. Wir sind multimotivational angetrieben, sagt die Psychologie – und das ist beim Sinn genauso. Ein besonders sinnstiftender ist hier die Selbsttranszendenz, das heißt sich für etwas zu engagieren, das über mich selbst hinausgeht. Das kann Religion oder Spiritualität sein, ist  aber auch horizontal möglich – z.B.  in Naturverbundenheit und sozialem Engagement. Wichtig ist aber, nicht nur über sich selbst hinauszugehen, sondern eine Balance zu behalten und eben auch Beziehungen zu pflegen und mich selbst weiterzuentwickeln.

Also nicht nach Glück streben, sondern nach Sinn?

Es gibt mehrere Studien, die zeigen, dass Menschen, die Glück anstreben eben nicht glücklich sind, und die, die sagen „Das ist mir gar nicht so wichtig, ich will vor allem so leben, dass ich da dahinterstehen kann“ berichten dann von viel mehr Glück. Sie erleben auch mehr Zufriedenheit und Sinn, weil der Sinn dann auch eine Bedeutung hat im Leben. Und obwohl es wie ein Paradox erscheint, dass die, die das Glück anstreben, es nicht bekommen, ist es doch auch nachvollziehbar. Wenn Glücklichsein alles ist, ist ohne Glück alles nichts. Und wenn wir bei Entscheidungen immer das Angenehmere wählen, das uns kurzfristig glücklich macht, entgehen uns viele Möglichkeiten dafür, uns selbst und die Welt besser kennenzulernen, für das einzutreten, was wir wichtig finden und – als Folge – wirklich glücklich zu werden.

Termintipp - leider nur für Frauen:

FrauenSalon am 31. Mai zum Thema "Vom Sinn des Glücks und warum die Glückssuche gefährlich ist"

Der Artikel erschien im Rahmen der aktuellen FrauenZeit