Gespräch mit Martina Kraml
Impulse für den Alltag

 
Martina Kraml im Gespräch

Von Petra Steinmair-Pösel
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Sie ist eine Frau von hoher Sensibilität und Besonnenheit, in der universitären Welt der Gedanken und Theorien ebenso beheimatet wie im ganz konkreten Alltag einer Ehefrau und dreifachen Mutter. Es ist wohl diese Verbindung von Theorie und Praxis, von sinnlicher Erfahrung und intellektueller Reflexion, die ihr Nachdenken über das Essen und Trinken in seinen verschiedensten Facetten - soziologisch, kulturtheoretisch, pädagogisch, theologisch - so spannend macht.Und so konkret und ganzheitlich - wie das Essen selbst.

Bregenzerwälder Spezialitäten

In Andelsbuch ist sie geboren und auf einem Bauernhof aufgewachsen. Dort erfährt sie die Kraft der gemeinsamen Mahlzeiten, die den Tag und die Woche strukturieren. Auf den Tisch kommen Gespräch Martina Kraml 4traditionelle Speisen wie Kässpätzle und Riebl, und am Sonntag auch mal Bratwürste.Martina Kraml begeistert sich früh fürs Kochen.Die Liebe zum sorgfältigen Zubereiten qualitätsvoller Speisen wächst weiter durch gemeinsame Koch-Erfahrungen mit einer Freundin und der Schwägerin.

Das Ländle verlässt Martina Kraml, als es sie nach ihrer Ausbildung an der Pädagogischen Akademie und einigen Praxisjahren als Lehrerin zum Theologiestudium nach Innsbruck zieht.Nach Grundstudium und Heirat widmet sie mehrere Jahre ganz der Familie, genießt die kreativen und kommunikativen Seiten des Mutterseins. Doch bricht der Kontakt zur Uni nie ganz ab, sie beginnt an ihrer Doktorarbeit zu schreiben. Das Nachdenken über eucharistisches Essen und Trinken wird für sie zum Anlass, sich fundiert mit Esskultur auseinander zu setzen - ein Thema, das sie nun seit Jahren begleitet.

Esskultur

Gespräch Martina Kraml 5Schnelligkeit und Flexibilität sind für die Vorarlberger Theologin Trends, die unser postmodernes Essverhalten charakterisieren. Gemeinsame Mahlzeiten sind seltener geworden, strukturieren nicht mehr wie früher den familiären Alltag.Doch wo sie Raum finden, am Wochenende, im Urlaub, werden sie geschätzt und bekommen Qualität und Dichte.Mit der alltäglichen Schnelligkeit in Zusammenhang steht auch die Tendenz, weniger auf das zu achten, was gegessen wird. Halbfertig- und Fertigprodukte ersetzen das Selbstgekochte, der Snack zwischendurch die Mahlzeit.Nicht einstimmen will Martina Kraml allerdings in eine durchgängige Negativbewertung, beobachtet sie doch, dass Kinder heute mehr als früher bewusst an der Auswahl und Zubereitung der Speisen beteiligt werden. Auch die Bereitschaft, sich achtsam und dankbar etwas zu gönnen, das Genießen-Können, sei gewachsen.

Zukunftsthema Schule

Gespräch Martina Kraml 2Ein Bereich, der die Religionspädagogin und Mutter intensiv beschäftigt, ist das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen.Was heißt es für eine Gesellschaft, wenn es Familien gibt, in denen kein gemeinsamer Esstisch mehr vorhanden ist – weil lieber am Wohnzimmertisch vor dem Fernseher gegessen wird? Wenn sich Jugendliche in der Schulkantine jeden Mittag mit Leberkäs- und Schnitzelsemmel versorgen, oder mit einer Jause aus dem naheliegenden Supermarkt? Das Snacken entspricht einem Bedürfnis der Jugendlichen: schnell, unkompliziert und veränderbar soll es sein.

Dass sich hier Kommunikationskultur und Esskultur entsprechen, ist nicht nur für Theologinnen bedenkenswert.Und auch, dass es unter Jugendlichen gleichzeitig eine große Sehnsucht nach Geborgenheit und Beheimatung gibt – die sich allerdings unterschiedlich ausdrücken kann: auch Reibung und Konflikt erzeugen (emotionale) Wärme! Eltern rät Martina Kraml zu einem sensiblen und aufmerksamen Umgang mit dem eigenen Essverhalten und gleichzeitig dazu, den Wünschen und Vorlieben der Kinder und Jugendlichen nicht mit zuviel Widerstand zu begegnen. Zulassen und Loslassen dürfen hier geübt werden.

Gender-Essen

Gespräch Martina Kraml 3Interessant sind freilich auch die tendenziell unterschiedlichen Zugänge zum Essen zwischen Männern und Frauen. Auffallend ist nicht nur, dass im Alltag vorwiegend Frauen kochen, viele Starköche jedoch Männer sind. Speisen haben auch eine Symbolfunktion - und erfreuen sich bei den verschiedenen Geschlechtern oft unterschiedlicher Beliebtheit, beim Kochen ebenso wie beim Essen. Doch will Martina Kraml keine Klischees bedienen: Auch wenn Grillen in vielen Familien Männersache ist und beim gemeinsamen Kochen die Frauen bei den „soften“ Speisen, also Beilagen, Desserts etc. brillieren: Sie selbst kocht gerne Fleisch und ihr Mann hilft auch beim Gemüse-Schnippeln. Tendenziell sei jedoch bei Frauen das Gespür dafür, dass Essen nicht nur rein pragmatische Nahrungsaufnahme ist, ausgeprägter als bei Männern. Frauen nehmen oft sehr sensibel wahr, wie durch ein liebevolles oder lieblos zubereitetes Essen Wertschätzung oder Geringschätzung ausgedrückt wird.

Zu viel, zu wenig, zwanghaft

Präzis beobachtet die Theologin die gesellschaftliche Tendenz, die sich gegen Normativität geradezu allergisch zur Wehr setzt (insbesondere auch wo es die Kirche betrifft), die gleichzeitig aber anfällig macht für weniger autoritär auftretende Normen in anderen Bereichen. An jeder Plakatwand hängen Botschaften: „So sollst du sein!“ Damit umzugehen ist nicht leicht – besonders wenn es sich um realitätsferne Idealbilder handelt. Dazukommt die Herausforderung, angesichts der Überfülle das richtige Maß zu finden. In einer Welt, in der das Begehren ständig animiert und angeheizt wird, ist es notwendig eine Lebenskultur des Maßhaltens und der Balance zu entwickeln.Wo dies nicht gelingt, pendeln Menschen nicht selten zwischen zwanghafter (Selbst-)Kontrolle und Kontrollverlust – beides sind Formen der Gewalt gegen sich selbst, beides führt direkt in die Essstörung.

Drinnen und draußen, fremd und vertraut

Gespräch Martina Kraml 7Essen hat nicht nur die Funktion, den individuellen Körper zu ernähren - gemeinsames Essen baut auch Gemeinschaft, gleichsam einen sozialen Körper, auf, es zeigt, wie es um die Gemeinschaft bestellt ist. In Familien spitzen sich nicht selten beim gemeinsamen Essen die Absetzbewegungen der jugendlichen Kinder zu. Kirchlich zeigt sich die Spaltung vielleicht am schmerzhaftesten in der Unfähigkeit zum gemeinsamen Abendmahl. Religiöse Speisevorschriften wirken gemeinschaftsstiftend nach innen, aber auch abgrenzend nach außen.Hier werden Christen, die keine Speiseverbote im eigentlichen Sinn haben, von Andersglaubenden oft mit Misstrauen betrachtet.

Gott essen

Eine besondere Form des Essens erlebt die Theologin in der Feier der Eucharistie: Hoch ritualisiert und mit ästhetischem Anspruch hebt sie sich vom alltäglichen Essen ab, und ist doch darauf angelegt, den konkreten Alltag der teilnehmenden Menschen zu trösten und zu verwandeln. Sie tut dies, indem sie an das alltägliche Essen anschließt und gleichzeitig ganz anders ist: absichtslos, unverzweckt, geschenkte Zeit, die Aufspaltung in Freund und Feind überwindend.Was hat es zu bedeuten, dass das in unseren Gottesdiensten oft so wenig erfahrbar wird, fragt die Religionspädagogin nachdenklich

Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir geübt sind, unser Leben bewusst zu steuern. In der Eucharistie werden andere Fähigkeiten gebraucht und kultiviert: sich beschenken zu lassen, sich einfach in eine Symbolhandlung hineinzubegeben. Ich empfinde es als Glück, dass ich berufstätig bin. Sonst hätte ich meine Kinder viel mehr kontrolliert. So begannen sie selbst zu kochen. Kinder brauchen da auch Luft, Freiraum, die Möglichkeit zu experimentieren.

 
Impulse für den Alltag

  • Gespräch Martina Kraml 1Meine Esskultur, so wie sie ist, aufmerksam und liebevoll wahrnehmen.
  • Essen ist wichtig: dem Essen Zeit, Raum und Bedeutung geben.
  • Einen Ort/eine Zeit im Tag, in der Woche für das gemeinsame Mahl in der Familie finden.
  • Kein Perfektionismus: Konflikte, Unvollkommenes und Verstörendes darf sein.
  • Dankbar genießen.

(Aus "frauenZEIT", Nr. 4 vom 6. Juni 2010)