Was lernen wir mit dem Blick in die Geschichte? Wofür standen Frauen ein?

Karin Schindler-Bitschnau

Wenn Frauen einstehen, dann tun sie es zuerst für ihre Kinder. Menschheitsgeschichtlich gesehen ist die Mutterschaft die erste Macht der Frauen. Frauen können Leben geben und Kinder gebären. Vielleicht ist Mutterschaft der Archetyp des Einstehens schlechthin. Der Mutterkörper steht für das Leben ein, das in ihm herangewachsen und von ihm genährt wurde. Nur meist hatte er das unter der Herrschaft eines Mannes zu tun. Mutterschaft war bis in die jüngste Zeit hinein mit Häuslichkeit, materieller Abhängigkeit und Enge verbunden. Und aus dieser Häuslichkeit ist wenig in die Geschichtsbücher eingegangen: Von Frauen, die gegen einen allzu frühen Tod ihrer Kinder kämpfen, von Frauen, die für Gerechtigkeit ihren Kindern gegenüber einstehen, von Frauen, die Unrecht begehen, um ihre Kinder ernähren zu können, von Frauen, die sich prostituieren um ihre Kinder durchzubringen, von Frauen, die ihren Kindern mehr Chancen ermöglichen als ihnen selbst, finden sich kaum historische Spuren.

In Zyklen

Vor dem Mutterkörper ist Frau jedoch im Frauenkörper zuhause: Ein Körper der zyklischen Perioden, der es dem Geist ermöglicht sich monatlich zu erneuern. Gabrielle Suchon (1632-1703) ist für mich die erste greifbare Frau der europäischen Geistesgeschichte, die für sich als Frau einsteht. In einer Zeit lebend, in der es für Frauen nur zwei Lebensentwürfe gibt, nämlich den der Ehefrau und Mutter und den der Nonne, reist sie nach Rom und erbittet vom Papst ihre Freiheit. Dieser gewährt dies. Gabrielle Suchon, soeben entbunden von den geistlichen Gelübden einer Benediktinerin, wählt einen neuen Weg. Sie wählt den Weg des freiwilligen Zölibats, der sie unabhängig von männlichen Ansprüchen macht und bestreitet ihren Lebensunterhalt als Hauslehrerin fortan selbst. Gegen Ende ihres Lebens schreibt sie zwei 1000 Seiten starke Werke über Ethik, Politik und den freiwilligen Zölibat. Dass sie dabei geschickt die strenge Zensur gegenüber gelehrten Frauen zu umgehen vermag, sei am Rande erwähnt. Radikal verurteilt Gabrielle Suchon die Ungleichheit der Geschlechter zu Ungunsten der Frauen. Sie durchschaut das patriarchale System und beschreibt, wie Frauen darin ihrer Freiheit, der Wissenschaft und der Autorität beraubt werden; wie Frauen zu Unterwerfung, Unwissen und Ohnmacht erzogen werden; wie ihnen Schulen und Universitäten verwehrt werden und sie an den Herd gestellt oder ins Kloster abgeschoben werden.

Frauen an der Macht

Im darauffolgenden Jahrhundert tritt eine Frau in die Weltgeschichte ein, die als Frau 40 Jahre lang einen gewichtigen politischen Körper darstellt: Die österreichische Kaiserin und Regentin Maria Theresia (1717-1780). Sie verkörpert die Habsburgische Monarchie von 1740 an bis zu ihrem Tod. Sie tut, was auch ein männlicher Herrscher der damaligen Zeit zu tun hat: Sie führt Kriege und besiegelt den Frieden, sie beruft Minister und setzt sie ab, sie lanciert Gesetze und herrscht absolut über ihre Untertanen.  Aber sie steht auch für vieles ein, das sie einzigartig macht. Sie steht als Ehefrau für ihren Mann Franz Stephan ein, der die Liebe ihres Lebens ist und mit dem sie ihre Regentschaft teilen möchte. Sie steht als Mutter für ihre 16 Kinder ein, um deren Gesundheit sie bangt, über deren Erziehung sie wacht, zu deren Vergnügen sie Feste organisiert und die sie gleichwertig porträtieren lässt ohne Unterschied des Geschlechts und der Thronfolge.

Dreihundert Jahre nach Maria Theresia und dank vieler Frauen und Männer, die für die gleichen Rechte der Frauen eingestanden sind, können wir Frauen uns mit allen drei Körpern frei bewegen. Frau, Mutter und Person des öffentlichen Lebens sein zu können ist ein Privileg, über das nur wir als der weibliche Teil der Bevölkerung verfügen. So lasst uns für diese Macht einstehen. «

(aus der frauenZEIT Nr. 29 vom 21. November 2019)