von Petra Steinmair-Pösel

November. Kürzere Tage, der Wechsel von Nebel und goldenem Licht und von den Bäumen fallen die letzten bunt leuchtenden Blätter. Alles atmet Vergänglichkeit. Wie (fast) jedes Jahr stehe ich am Grab meiner beiden Omas (und habe das Glück, dass die dritte noch lebt). Zwei Frauengeschichten, schicksalshaft miteinander verbunden. Die eine starb jung, kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes (meines Vaters). Dass sie dessen sicherer Geburt vor einer Krebsoperation und damit der eigenen Gesundheit den Vorzug gab, erfüllt mich mit Dankbarkeit und Ehrfurcht.

Die andere, ihre knapp zehn Jahre ältere Schwägerin, der sie ihr neugeborenes Kind anvertraute, war eine jener Frauen, denen der Krieg ein Stück Jugend genommen hatte. Die Frau, die ich als Oma kannte, hat viel erlebt, viel erlitten und viele (freiwillige und unfreiwillige) Opfer gebracht, hatte viele Fähigkeiten und Talente, die sie aber in einer Welt, welche die Männer bevorzugte, nur teilweise entfalten konnte.

Am Grab der beiden Frauen stehend frage ich mich, was im Leben wirklich zählt. Und was bleibt. Gesichter tauchen vor meinem inneren Auge auf, Gesichter von Lebenden und Verstorbenen. Menschen, denen ich mich in der Tiefe verbunden fühle, nicht nur bluts-, sondern seelenverwandt. Menschen, für die ich Dankbarkeit und Liebe empfinde. Und ganz leise reift die Gewissheit, dass es das ist, was wirklich zählt und bleibt, weil es stärker ist als der Tod: Dankbarkeit und Liebe für immer bewahrt im Herzen Gottes.