von Petra Steinmair-Pösel

Perfekt soll es sein: mein Leben, meine Beziehungen, ich selbst. Makellos, durchgestylt, vernünftig und effizient geplant. Überall bin ich mit Bildern konfrontiert – inneren und äußeren -, die sagen, was sein darf und sein soll. Was nicht dazu passt, wird passend gemacht – oder verdrängt. Es ist ein Zugang zum Leben, in dem alles machbar, handhabbar, organisierbar ist. Aber bleibt da noch Raum für Lebendigkeit? Für das Unerwartete, das Überraschende? Oder heißt perfekt im Grunde auch tot? Anders herum: Ist Leben nicht immer auch chaotisch, überschäumend, unbezähmbar?

Manchmal begegne ich Menschen, bei denen alles perfekt zu sein scheint – und mich beschleicht das Gefühl, dass da ganz viel hinter Masken und Fassaden verborgen werden muss: nicht nur vor anderen, vor allem vor sich selbst. Denn es kostet Mut, die eigenen Schatten zu sehen und anzunehmen. Zu erkennen, dass mein Leben nicht vollkommen ist – dass ich selbst nicht vollkommen bin. Aber – so sagen uns die spirituellen Meisterinnen und Meister – nur was angenommen wird, kann auch geheilt und verwandelt werden.

Das Leben auch in seiner Fragmentarität, in seiner vielfältigen Gebrochenheit und Unvollkommenheit anzunehmen, ist wohl eine der größten spirituellen Herausforderungen. Sie verlangt den Mut, die perfekten Bilder loszulassen: von mir selbst ebenso wie von anderen. Auf das (Ab-)Urteilen zu verzichten, barmherzig zu werden. Und mit liebevoller Aufmerksamkeit auf das zu vertrauen, was an wunderbaren Schätzen verborgen liegt: auch im Fragment.