von Petra Steinmair-Pösel

Ihr Anblick erzeugt Mitleid: Ameneh Bahramis Gesicht ist entstellt, kaum als menschliches Antlitz erkennbar. Statt des einen Auges eine mit Haut überwucherte Höhle, anstelle des anderen ein gläserner Ersatz. Ihre Speiseröhre, Bronchien und Magen sind verätzt, die Haut an Gesicht, Hals und Dekolletee verbrannt. Und mit all dem ist das iranische Opfer eines Säureangriffs kein Einzelfall – viel zu groß ist die Zahl jener Frauen, die jährlich Opfer ähnlicher Übergriffe werden. Wer im Internet die Vorher-Nachher-Bilder recherchiert, erahnt höchstens ansatzweise die Tragödie, das Leid und den Schmerz dahinter.

Dass diese Frau nun als „Kopf des Tages“ und „Starke Frau mit ausgeprägtem Vergeltungssinn“ in „diestandard.at“ erscheint, stimmt jedoch nachdenklich. Die 33-jährige Elektrotechnikerin hat darauf bestanden, dem Täter, einem ehemaligen Mitstudenten, durch das Einträufeln von Säure in dessen Augen ebenfalls (eigenhändig) das Augenlicht zu nehmen – und hat schließlich Recht bekommen. Letzten Sonntag hätte die Bestrafung stattfinden sollen – um mögliche zukünftige Täter abzuschrecken und anderen Frauen ein ähnliches Schicksal zu ersparen. Nun wurde die Vollstreckung des Urteils jedoch ausgesetzt.

Mir ist bewusst, dass jemand, die nie Opfer solch zerstörerischer Gewalt wurde, leicht reden hat. Und doch frage ich mich: Wie muss ein Justizsystem versagt haben, dass es scheinbar keinen anderen Weg gibt, solche Greueltaten zu verhindern, als sie mit Gleichem zu beantworten?