von Petra Steinmair-Pösel

Wer sie auf Dinkelbrot und Nervenkekse reduziert, hat schon verloren. Zwar spielt die Gesundheits- und Ernährungslehre eine bedeutende Rolle im umfassenden Werk der Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179), doch hat die Bendiktinerin uns postmodernen Menschen weit mehr zu sagen. Bei allem, was wir tun, nicht nur beim Essen, gehe es um die discretio, das rechte Maß. Wer sich von der weisen Frau einmal einladen lässt, den eigenen Lebensstil genauer in den Blick zu nehmen, wird vielleicht so manche „Maßlosigkeit“ finden: im Konsum, bei der Arbeit, bei der Ernährung, beim Freizeitverhalten...

Hildegard ist überzeugt: Weder übertriebene Askese noch Dauergenuss tun der Seele gut. Ihre Lehre vom rechten Maß ist eingebettet in eine ganzheitliche Sicht der Welt und des Menschen. Und so erstaunt es nicht, dass die mutige Äbtissin nicht nur Ordensfrau und Ärztin war, sondern sich als Wissenschaftlerin im Kontext der damaligen Weltsicht für das Woher und Woraufhin des Kosmos interessierte. Ihre tiefen – immer auch spirituell geprägten – Einsichten hat sie oft in Musik gefasst.

Entstanden sind wahrhaft kosmische Klänge. Musik, die aufrichtet, den Menschen vor Gott groß sein lässt: „Wir sollten Königskinder sein...“ Musik, die Gebet ist, ja mehr als Gebet. Sie führt in die Tiefe und in die Weite. In ihrer archaischen Einfachheit und Dichte vermag sie an das Innerste des menschlichen Herzens und der Seele zu rühren – und eine Verbindung zum Herzen des Kosmos herzustellen.