Von Petra Steinmair-Pösel

Eine kleine Meditation (nicht nur) über das Berggehen.

Aufbrechen. Die Bequemlichkeit überwinden, die eigenen vier Wände verlassen. Losgehen – noch ohne genau zu wissen, wie der Weg aussehen wird. Welch schattige Täler zu durchwandern, welch reißende Bäche zu überwinden, welch schöne Ausblicke zu genießen sein werden. Den Zauber des Anfangs genießen. Die eigene Kraft spüren – aber auch die Frage zulassen: werden meine Kräfte ausreichen? Oder ist der Weg zu weit, zu schwer für mich?

Wenn ich mir als ersten Berg den Mount Everest auswähle, werde ich höchstwahrscheinlich scheitern, auf halbem Weg umkehren müssen – vielleicht sogar für immer die Freude am Wandern verlieren. Gebe ich mich immer mit dem kleinen Hügel zufrieden, weil ich mir nicht mehr zutraue, wird es bald langweilig, werde ich nie die Erfahrung machen, alle meine Kräfte eingesetzt zu haben, bis an (nicht über) meine Grenzen gegangen zu sein und nun die beglückende Gipfelerfahrung geschenkt zu bekommen.

Es ist gut, den richtigen Zeitpunkt, den Kairos, für den Aufbruch zu kennen. Nicht immer wird es mir gelingen, ihn beim Schopfe zu packen. Manchmal werde ich zu früh, zu spät dran sein. Dann lerne ich die Kunst, anzunehmen, was ist, ohne zu hadern: Bin ich übereilt, vor meiner Zeit losgegangen, darf ich unterwegs Rast machen, Kräfte sammeln. Hab ich mich spät auf den Weg gemacht, kann mich die Hoffnung ziehen, doch noch das Ziel zu erreichen. Nur eines zählt: Aufbrechen, jetzt, mit der Sehnsucht im Herzen.