Die Finanzkrise markiert das Ende des alten Industriesystems. Mit den Solartechnologien öffnet sich ein neues Zeitalter.

 

Natürlich ist das 400-Milliarden-Euro-Konzept für Sonnenstrom aus der Sahara umstritten. Dennoch: Dass 400 Milliarden in die Nutzung der Sonnenenergie investiert werden sollen, ist für die Menschheit ein großer Schritt. Obwohl es scheinbar »nur« um Energiepolitik geht, ist der Aufbruch zur Sonne viel mehr: Er zeigt einen Ausweg aus der Finanzkrise und den Eintritt in ein neues Zeitalter. Und dies in dem Moment, in dem die Finanzelite alles daransetzt, wieder so weiter zu machen wie vor der Finanzkrise.

Was haben Investitionen in erneuerbare Energiequellen mit den Problemen auf den Finanzmärkten zu tun? Die Ursachen der Finanzkrise reichen über gierige Spitzenmanager, gewagte Finanzprodukte und fahrlässige Spekulationen weit hinaus. Die wichtigste Frage lautet: Warum werden Tausende Milliarden Dollar seit Jahrzehnten nicht mehr real investiert, sondern durch die Börsen und Steueroasen gejagt? Die einfache Antwort: wegen des kurzfristigen Renditedenkens. Doch es gibt auch eine tiefschürfende Antwort: weil es nicht so viele, wirtschaftlich rentable Investitionsziele für Tausende Milliarden Dollar gibt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war dies anders: Die Menschen im Norden kauften Kühlschränke, Fernseher, Autos und vieles andere mehr. Die Unternehmen investierten und investierten. Es entstanden immer mehr Arbeitsplätze. Hohe Löhne waren möglich, der Wohlstand wuchs – das Sozialsystem auch. Doch die Grundlage dieses Wachstumssystems war billig verfügbare fossile Energie – und später atomare.

Inzwischen aber fallen zwei Probleme zusammen. Fossile Energie wird knapper, teurer und verändert das Klima. Zudem ist die Produktivität der Wirtschaft weit höher als die Nachfrage, es gibt eine latente Überproduktion. Der Wirtschaftsliberalismus seit den 1990er-Jahren hat das Problem verschärft, weil die Gewinne viel schneller stiegen als die Löhne und die Steuereinnahmen. Die Unternehmen investierten dennoch nicht viel mehr als vorher – wer sollte auch ihre Waren und Dienstleistungen kaufen? Das bedeutete: noch mehr Geld für die Finanzmärkte, noch mehr unnütze Spekulationen. Bis zur Krise.

Vor allem nach der Überwindung des real existierenden Sozialismus suchten die Unternehmen die globale Perspektive: Warum nicht den Kapitalismus der Industrieländer in die ganze Welt verbreiten? Öffnen sich in China, Indien oder Brasilien nicht riesige Märkte? Ökonomisch sicherlich. Allerdings kann sich niemand vorstellen, dass alle Chinesen, alle Inder so viel Auto fahren und Öl und Gas verbrennen wie die Deutschen, wozu Inder und Chinesen so lange ein Recht haben, wie die Deutschen sich dieses Recht nehmen. Das fossile Industriesystem lässt sich nicht auf die ganze Welt ausdehnen, ohne dass die Welt immer nachhaltiger geschädigt wird. Hat die Welt also nur die Wahl zwischen Armut und Umweltzerstörung?

Wenn der Lebensstandard der Menschen steigen soll, ohne dass die Welt weiter zerstört wird, braucht es eine Alternativen zum fossilen (und atomaren) Industriesystem. Diese Alternative ist die solare Dienstleistungswirtschaft. Wenn jetzt europäische Konzerne 400 Milliarden Dollar in die Nutzung der Sonnenenergie investieren, ist dies ein erster Schritt zu dieser Alternative. Dabei schließen sich industrielle Großkraftwerke und eine dezentrale Versorgung nicht aus. In Spanien versorgen bald drei solarthermische Kraftwerke 600 000 Haushalte dauerhaft mit Strom – und ersetzen fossile und atomare Kraftwerke. In anderen Regionen wird die dezentrale Fotovoltaik die bessere Alternative sein.

Die 400 Milliarden klingen gigantisch, doch sie sind nur ein Anfang. Man stelle sich vor, ein Teil jener Abertausenden von Milliarden auf den Finanzmärkten würde weltweit in erneuerbare Energien fließen – dann entstünde eine neue industrielle Basis. In vielen Regionen der Erde wäre eine eigenständige Entwicklung möglich. Milliarden Menschen könnten besser leben, ohne die Welt zu zerstören. Ein neues Zeitalter hätte begonnen.

Die Solarvision
Zwölf Unternehmen haben die Desertec Industrial Initiative gegründet. Sie will rund 400 Milliarden Euro in vernetzte und über Nordafrika und den Nahen Osten verteilte solarthermische Kraftwerke investieren. Diese sollen bis 2050 rund 15 Prozent des Strombedarfs von Europa und einen erheblichen Anteil des Strombedarfs der Erzeugerländer decken. Die Unternehmen sind ABB, Abengoa Solar, Cevital, Deutsche Bank, E.ON, HSH Nordbank, MAN Solar Millennium, Münchener Rück, M+W Zander, RWE, SCHOTT Solar und Siemens. Anhänger einer dezentralen Energieversorgung wie Hermann Scheer kritisieren die großindustriellen Strukturen hinter den Plänen.

Dr. Wolfgang Kessler, Publik Forum Deutschland