Mit 78 Jahren sind die meisten Menschen in Pension. Alexander van der Bellen hingegen kandidiert wieder als Bundespräsident - gemeinsam mit fünf anderen Männern. 6,4 Millionen Österreicher:innen sind am 9. Oktober wahlberechtigt. Da stellt sich nicht nur die Frage: Wen wähle ich, sondern irgendwie auch: Brauchen wir überhaupt noch einen Bundespräsidenten? Und wofür?

Sehr groß war der Andrang beim Gesellschaftspolitischen Stammtisch (online) diese Woche nicht. Ob Politikverdrossenheit, Terminkollisionen oder etwas anderes der Grund dafür war, bleibt offen. Klar ist, dass die Politik- und Rechtswissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle sich in ihrem Metier auskennt  - und dass man den aufgezeichneten Stammtisch glücklicherweise nachsehen kann.

Eine turbulente Amtszeit

Seit dem 26. Jänner 2017 ist Alexander van der Bellen Österreichs Bundespräsident. 5 1/2  Jahre, in denen viel passiert ist, gibt Stainer-Hämmerle einen Rückblick auf eine "turbulente Amtszeit". Vorgezogene Nationalratswahlen, zahlreiche Rücktritte (Strache, Kickl, Hofer, Kneissl, Kunsaek, Hartinger-Klein, Fuchs. Kurz), Ibiza-Video, Hausdurchsuchung und 69 (!) Angelobungen fallen in diese Zeit. Mal ganz abgesehen von Pandemie, Krieg, Klimakrise und der Inflation. "Das waren spannende Jahre für Politikwissenschaftler:innen" grinst Stainer-Hämmerle. Und die haben bereits mit der Wahl van der Bellens (wir erinnern uns an Probleme bei der Briefwahl, nicht klebende Briefkuverts und einer Wiederholung der Stichwahl) begonnen.

Zwischen Korruptionssumpf, Stabilitätsanker und Machtzentrum

Schon vor 12 Jahren habe es die Diskussion rund um die Legitimation eines Bundespräsidenten gegeben - vor allem die letzten Jahren haben aber klar gemacht, wie wichtig dieser Posten ist, betitelt Stainer-Hämmerle ihren Vortrag mit "Zwischen Korruptionssumpf, Stabilitätsanker und Machtzentrum: Der Bundespräsident im politiven System Österreichs". Ein Bundespräsident sei wichtig, wenn es zu Krisen kommt, aber man müsse froh sein, wenn er nicht viel zu tun habe, so die Politikwissenschaftlerin. Oder: "Er hat wichtige Kompetenzen, tut aber gut daran sie nicht auszunützen."

Was tut denn so ein Bundespräsident?

Stellt sich die Frage, wofür so ein Bundespräsident gebraucht wird. In erster Linie repräsentiert der Bundespräsident die Republik, er hat formale Rollen (z.B: die Unterzeichnung von Gesetzen, die Einberufumng des Nationalrates), ernennt Bundekanzler:in, Minister, Landeshauptmann:frau und Spitenbeamte und er ist, so  Stainer-Hämmerle "ein mahnendes Gewissen" (Stichwort "So sind wir nicht"). Im Bundesverfassungsgesetz gebe es einen Artikel, der festlegt, dass der Bundespräsident nur auf Vorschlag aktiv werden kann (Artikel 67 B-VG). "Das sollte man sich merken", betont Stainer-Hämmerle. Wer nachlesen möchte, was ein Bundespräsident konkret kann (oder eben auch nicht), findet hier alle Informationen.

Unspektakuläre Wahl?

Wenn die 6,4 Millionen wahlberechtigen ÖsterreicherInnen am 9. Oktober hoffentlich ihre Stimme abgeben, haben sie die Wahl zwischen sieben weißen Männern. "Das Rennen zwischen rechts und links ist ziemlich ausgewogen", so Stainer-Hämmerle. Im Gegensatz zur letzten Wahl, gibt es dieses Mal aber keine Frau (2017 stand noch Dr. Irmgard Griss zur Wahl). Und auch ÖVP und SPÖ haben keinen eigenen Kandidaten:in ins Rennen geschickt, macht Stainer-Hämmerle  Parteien einen Vorwurf. Aktuelle Umfragen sagen van der Bellen einen Sieg mit rund 60% voraus, der Rest verteile sich  diffus, sieht Stainer-Hämmerle eine eher "unspektakuläre" Wahl voraus. Falls seine Unterstützer:innen nicht für ihn zur Wahl gehen, weil sie diese ehr als "gmahte Wiesn" sehen, könnte es für van der Bellen aber doch noch knapp werden.

Über eine Stunde gibt Stainer-Hämmerle Einblick und Rückblick und stellt sich den Fragen der Zuseher:innen. Auch wenn die Kandidaten nicht Bundespräsident werden, haben sie durch die Wahl sicher an Prestige gewonnen, mehr Umsatz oder anderweitig Gewinn gemacht, ist sich die Politikwissenschaftlerin sicher. Das könnte auch ein Grund dafür sein, warum dieses Mal keine Frau kandidierte, mutmaßt Stainer-Hämmerle, dass Frauen vielleicht "nicht so eine Einbildung, dafür aber etwas mehr Demut haben". Und wie sieht es mit dem Alter aus? Schließlich wäre van der Bellen beim Ende seiner Amtszeit 84 Jahre alt. "Dem Bundespräsidenten kommt es immer zugute, wenn er viel Erfahrung hat", spielt sie auf Routine an, die man nach einer Amtsperiode sicherlich hat. Bleibt die Frage, wie aktiv ein Bundespräsident sein soll.

Viele Wähler:innen könnten diese Wahl nutzen, um der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen, mutmaßt Stainer-Hämmerle und betont: Der Bundespräsident hat eine ganu ander Rolle und soll nicht in die Tagespolitik eingreifen.

 

Aufgaben und Rechte des Bundespräsidenten

Artikel 67 B-VG (1)

Alle Akte des Bundespräsidenten erfolgen, soweit nicht verfassungsmäßig anderes bestimmt ist, auf Vorschlag der Bundesregierung oder des von ihr ermächtigten Bundesministers. Inwieweit die Bundesregierung oder der zuständige Bundesminister hiebeiselbst an Vorschläge anderer Stellen gebunden ist, bestimmt das Gesetz.
(2) Alle Akte des Bundespräsidenten bedürfen, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt ist, zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers oder der zuständigen Bundesminister.