Nicht jeder, der sozial handelt, muss christlich sein, Aber jeder, der sich christlich nennt, muss sozial handeln. So eine der Thesen, die Dr. Magdalena Holztrattner beim Gesellschaftspolitischen Stammtisch im Kolpinghaus Dornbirn vertrat und dabei betonte, dass aus dem „muss“ sehr schnell ein „müsste“ werden kann - auch im Regierungsprogramm.

An ihren Taten solle man sie messen, bat der frisch amtierende Bundeskanzler Sebastian Kurz noch im Jänner. Heute, zwei Monate später, zog Magdalena Holztrattner, Direktorin der Katholischen Sozialakademie Österreich, beim Gesellschaftspolitischen Stammtisch im Kolpinghaus Dornbirn eine kleine Zwischenbilanz.

Konkurrenz, Wettbewerb, Leistung

„Da haben wir vor allem Sparmaßnahmen im Sozialbereich, bei der Mindestsicherung, beim Kinderbetreuungsgeld, bei der Kürzung der Ausgaben für Integrationsmaßnahmen. Da haben wir die Aktion 20.000, die gestrichen wurde und die 20.000 Menschen die Hoffnung auf einen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben hätte geben können. Da haben wir 600 Millionen Euro weniger für die Maßnahmen des Arbeitsmarktservices und da haben wir eine Sprache, die diskriminiert. ,Durchschummler‘ ist das neue Nicht-Wort und da haben wir ein Regierungsprogramm, das die Spaltung in sich trägt - nämlich die Spaltung in die, die Leistung erbringen und die, die sich eben ,durchschummeln‘“, betont Holztrattner in ihrem Impulsreferat, in dem sie den Begriff des Christlich-Sozialen aufschnürt und in Verbindung zum aktuellen Regierungsprogramm setzt. Das stamme ja, so Holztrattner,  immerhin von zwei Parteien, die das Christlich-Soziale auch für sich reklamierten.  Die Frage nach dem Christlich-Sozialen im Regierungsprogramm sei dabei, so Holtrattner weiter, eine Frage nach der Haltung. So sei gerade das aktuelle Regierungsprogramm geprägt vom Grundparadigma, dass ein jeder Mensch zuerst ein Individuum, ein Egoist sei. „Dieses Individuum erhält sich selbst und ist geleitet von den Prinzipien der Konkurrenz, des Wettbewerbs und der Leistung. Dem steht der Sozialstaat und die Solidarität diametral entgegen“.

Der Wert des Sozialstaates?

Im Christentum sei die Zuwendung zu den Armen grundlegend verankert, erklärte Magdalena Holztrattner. Da nun aber die Solidarität mit diesen Schwächeren auf dem freien Markt, auf dem das Gesetz des Stärkeren herrsche, keinen Platz habe, werde der Sozialstaat an sich – auch im neuen Regierungsprogramm – deutlich abgewertet.

Solidarität und Werte

Natürlich, derart pointierte Ansagen bleiben nicht unwidersprochen - und die Diskussion im Saal des Dornbirner Kolpinghauses war eröffnet. Cornelia Michalke, Landtagsabgeordnete und Sozialsprecherin der FPÖ, konterte beispielsweise mit der Solidarität des Steuerzahlers. „Es braucht die Leistungsgesellschaft und den solidarischen Steuerzahler, damit wir jenen helfen können, die sich nicht helfen können. Natürlich wäre es schön, wenn wir gar kein Regierungsprogramm bräuchten, wenn wir sagen könnten, es steht ja alles schon in der Bibel. Aber warum reicht das nicht? Weil sich die Menschen eben nicht alle so verhalten und weil wir zum Beispiel in den vergangenen Jahren die kleinen Strukturen, die unsere Gesellschaft tragen, die Familien, kaputt gemacht haben“, so Michalke, die betonte, dass es jetzt und in Zukunft zudem immer wichtiger werde, sich auf jene Werte zu besinnen, „die wir hier bei uns haben. Wir müssen uns trauen zu sagen, so möchten wir es bei uns haben, das sind unsere Werte. Das ist etwas, das jene Menschen, die zu uns zuwandern, nämlich sehr wohl tun.“

Nicht auf dem Rücken der Schwachen

Gegen den „Vollkaskostaat“ und für den „Eigenverantwortungsstaat“ sprach sich schließlich auch Mag. Matthias Kucera, Landtagsabgeordneter und Sozialsprecher der ÖVP, aus. „Ich bin absolut dafür, dass geprüft und hinterfragt wird, ob alle Sozialleistungen, die bisher angeboten wurden, auch treffsicher sind. Ich bin aber dagegen, dass man diese Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Armen austrägt. Damit schafft man übrigens auch kein Nulldefizit. Es geht vielmehr darum, dass wir mit dem Geld, das vorhanden ist, gerecht wirtschaften.“

Schutz wird zur Frage der Sicherheit

In Sachen Gerechtigkeit und christlich-sozialer Haltung unterzog Caritasdirektor Walter Schmolly das aktuelle Regierungsprogramm gleich einer dreifachen Nagelprobe. „Eine christliche-soziale Haltung lässt sich daran messen, ob sie es schafft, Ausgrenzungsmechanismen, die es zu allen Zeiten gab, anzusprechen und zu unterbrechen. Eine christlich-soziale Haltung muss sich auch daran messen, inwiefern es eine Gesellschaft schafft, allen Menschen Teilhabe zu gewähren. Und ich denke da an den Umgang mit Menschen, die zu uns geflüchtet sind. Das bei uns geltende Asylrecht regelt, dass schutzbedürftige Menschen diesen bei uns auch bekommen. Im neuen Regierungsprogramm wird das Asylrecht nun nicht mehr zu einer Frage des Schutzes, sondern der Sicherheit“, zeigt Schmolly Themenbereiche auf, in denen das Christliche-Soziale aktuell sehr als Frage zu verstehen ist.

Ich first?

Christlich-soziale Haltung, auch und gerade in der Politik lasse sich, so Holztrattner, auch daran messen, inwiefern die Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität präsent gehalten werden. „Das heißt, sind wir solidarisch in der Hinsicht, dass wir allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen und folgen wir dem Prinzip der Subsidiarität dahingehend, dass die größere Einheit dort einspringt, wo die kleinere Einheit ihre Probleme nicht mehr selbst lösen kann. Oder führt die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche nicht zu einer immer stärkenen ,Jeder ist seines Glückes Schmied‘-Mentalität?“

Zum Beispiel Sie

Ein Beispiel, das diese Spaltung innerhalb der Gesellschaft vielleicht am deutlichsten vor Augen führte, saß an diesem Diskussionsabend mitten unter den Zuhörer/innen im Saal des Kolpinghauses. Eine Frau, 55 Jahre alt, alleinerziehende Mutter, pflegende Angehörige, 35 Jahre erwerbstätig, seit zwei Jahren arbeitslos - Mindestsicherungsbezieherin. Die Aktion 20.000 hätte Menschen wie ihr Hoffnung gegeben, sagt sie. Aber die Aktion wurde gestrichen, bevor sie greifen konnte. 

Zum Nach-Sehen:

Video-Mitschnitt der Veranstaltung