Gesellschaftspolitischer Stammtisch zum Thema „Schuld und Sühne“

zu: Kommentar von Michael Willam
zu: Hintergrund - der Alarm geht los!

"Zurechnungsfähig“ lautete letztendlich das psychiatrische Urteil im Fall Anders Behring Breivik, der 77 Menschen auf dem Gewissen hat. Dass er das Gefängnis jemals wieder verlassen wird, ist eher unwahrscheinlich. Die Frage nach dem Leben in Haft war auch Thema des Gesellschaftspolitischen Stammtischs „Schuld und Sühne - und was kommt danach?“ Anfang dieser Woche in Dornbirn.

Simone Rinner

Ein Leben hinter Gittern, minutiös geplant und fremdbestimmt ist etwas, das sich die meisten von uns wahrscheinlich gar nicht vorstellen können. Gott sei Dank. Dennoch gibt es sie: Menschen, die Verbrechen wie Betrug, Diebstahl, Sexualdelikte oder Mord begehen und für mehrere Monate oder sogar Jahre hinter Gitter landen. Der Weg der Straftäter zurück in die Gesellschaft ist oftmals ein langer und beschwerlicher - und wird von der Gesellschaft nur selten unterstützt.

Schuld
Dr. Reinhard HallerDer Gerichtspsychiater Reinhard Haller (links) hat ebenfalls über ein Jahr seines Lebens im Gefängnis verbracht - wenn auch in Gesprächen mit mehr als 400 Straftätern wie Jack Unterweger oder Franz Fuchs. In einem Impulsvortrag erklärte Haller, dass jeder einen Moralinstinkt in sich habe, der ihn zwischen gut und schlecht unterscheiden lasse. Je nach Definition sei Schuld entweder erlernte Angst oder ein Verstoß gegen das Über-Ich, also gegen das, was uns lenkt und reguliert. Um Schuld auf sich zu laden, müsse man allerdings schuldfähig - oder wie es in Österreich heißt - zurechnungsfähig sein.

Auf Schuld folgt Sühne
- oder zumindest sollte es so sein - und damit die Vorstellung, dass die Schuld wieder ausgeglichen wurde. Dieser Gedanke ist tief in den Menschen und Kulturen verwurzelt und kann verschiedene Dimensionen annehmen, so Haller. Während die Vergeltung gemäß dem Talionsprinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Altes Testament) ein gleichwertiges Opfer fordert, genügt bei der Wiedergutmachung ein Ausgleich in Form von Geld oder auch Buße. Seit der Abschaffung von Folter und Quälerei unter Maria-Theresia gilt die Freiheitsberaubung - die Freiheit ist nach der Gesundheit das höchste Gut - als gängige Strafe.

Im Gefängnis
Mit den bereits „büßenden“ Menschen hat die Leiterin der Justizanstalt Feldkirch, Cornelia Leitner, täglich zu tun. Dort erlebt sie das Sühnebedürfnis des Täters in den verschiedensten Ausprägungen, welches nach anfänglicher Erleichterung aber auch umschlagen kann. Gemeinsam mit dem Verein „Neustart“ Vorarlberg wird noch während der Haftzeit versucht, die Menschen an ein straffreies Leben heranzuführen. Nach Monaten und Jahren voller Fremdbestimmtheit, in der den Insassen sämtliche Verantwortung abgenommen wurde, fallen sie nach ihrer Entlassung oftmals in ein „Loch“, erklärt Winfried Ender, Leiter von Neustart. Insbesondere die ersten drei Wochen sind kritisch und müssen mit Stabilität, Tagesstruktur und geregelten Verhältnissen gefüllt werden.

Neustart

Der Start in ein neues Leben ist dabei so individuell wie die Menschen selber und wird vom gleichnamigen Verein, der sich die Resozialisierungshilfe für Straffällige, Unterstützung von Opfern und Prävention auf die Fahnen geschrieben hat, unterstützt. Grundsätzlich belegen die Zahlen aber, dass gut betreute Täter weniger rückfällig werden. So lag die Wiederverurteilungsrate von Straftätern in Österreich im Jahr 2011 fünf Jahre nach ihrer Haft bei 38%.; in der Rubrik der Sexualstraftäter „lediglich“ bei fünf Prozent.

Helfer in der Not
Einen besonderen Stellenwert nimmt für die Häftlinge der Gefängnisseelsorger ein. Jeder Insasse kann, nachdem er einen Antrag ausgefüllt und bewilligt bekommen hat, mit Diakon Anton Pepelnik sprechen. Neben der Tatsache, dass der Häftling so seine Zelle - wenn auch nur für kurze Zeit - verlassen kann, spielt vor allem die persönliche Komponente in den Einzelgesprächen eine große Rolle. „Ich frage nicht, was jemand getan hat, sondern bin offen für alle Probleme und Nöte“, beschreibt Pepelnik seinen Alltag. Insbesondere in den religiösen Gesprächen ist der Diakon gefordert wie sonst nie, hält er fest. Zudem bietet der Gefängnisseelsorger alle zwei Wochen einen Gottesdienst im Gefängnis an.

Verbrechen rechnet sich nicht
Abseits des Gefängnisses gibt es seit September 2010 für Strafgefangene eine neue Haftform: den elektronisch überwachten Hausarrest, auch „Fußfessel“ genannt. 16 Vorarlberger/innen tragen derzeit dieses Überwachungsgerät und sparen Vorarlberg damit 6.200 Hafttage sowie mehrere hunderttausend Euro. Leitner, die an der Entwicklung beteiligt war, rechnet vor: Während ein Tag Haft rund 109 Euro kostet, belaufen sich die täglichen Kosten einer Fußfessel auf 22,60 Euro. Wenn man dann noch den gesamtstaatlichen Ansatz bedenke, dass viele durch wenige Monate Haft oftmals Job, Wohnung und Familie verlieren und dann sozialer Unterstützung bedürfen, ist das eine leichte Rechnung. Die Fußfessel bietet vielen Strafgefangenen eine zweite Chance, die viele zu nutzen und schätzen wissen.

Krank oder einfach nur böse?
Auch die Frage der Sinnhaftigkeit einer Therapie anstelle der Haftstrafe wurde gestellt und von Haller eindeutig beantwortet: „Man kann Kriminalität nicht therapieren, weil es keine Krankheit ist. Man kann keine kriminelle Energie oder bösen Vorsatz heilen“. Bis eine neue Form der Bestrafung gefunden wird, wird sich die Gesellschaft weiterhin mit Gefängnis und Fußfessel behelfen müssen, denn „eine gefängnislose Gesellschaft gibt es nicht, weil es immer einen harten Kern an Verbrechern geben wird. Und die will niemand als Nachbar haben“, so Leitner.

KOMMENTAR

Willam Michaelvon Michael Willam
Leiter des EthikCenters

Gut und Böse

„Jeder Mensch hat Gutes und auch Böses in sich“, stellt Primar Reinhard Haller in seinem Impulsreferat fest. Ein geringer Prozentsatz der Straftäter sei seiner Erfahrung nach von einer derart hohen kriminellen Energie getrieben, dass im Grunde sämtliche Resozialisierungs- und Rehabilitationsversuche zwecklos seien. „Diese Menschen sind einfach böse. Da hilft leider oft nichts mehr“, zeichnet Primar Haller ein Menschenbild, mit dem ich mir als gläubiger Christ etwas schwer tue.

Kann ein Mensch wirklich durch und durch böse sein, ohne die Aussicht auf Umkehr oder Besserung? Kann ein Mensch um des Bösen willen böses tun? Wenn dem so ist, warum hat Gott unseren „Bauplan“ mit derart gravierenden Fehlern ausgestattet? Ich merke, wie sich in mir Widerstand regt gegen eine solche Deutung. Gemäß Thomas von Aquin kann der Mensch das Böse nicht um des Bösen willen anstreben. Es ist für Thomas immer ein Mangel an Gutem, der uns Schlechtes tun lässt. Zuwenig Liebe von den Eltern, zu wenig Anerkennung, zu wenig Zärtlichkeit und Zuneigung ergeben gleichsam als „Nebenprodukt“ einen Menschen, der böse handelt. Dieser tut das nicht, weil er das Böse wirklich aus ganzem Herzen tun will. An dieser Deutung hängt ein Stück weit mein Menschen- und mein Gottesbild. Und wie ich gerade merke, fällt es mir schwer, dieses aufzugeben oder zu revidieren.

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HINTERGRUND

Der Alarm geht los

An 446 straffällig gewordenen Beinen wurde letztes Jahr österreichweit eine Fußfessel befestigt, 16 davon in Vorarlberg. Diese neue Form der Bestrafung besteht seit dem 1. September 2010 und sorgt seither für viele Debatten. Als „Kuschelhaft“ bezeichnet, ist der „elektronisch überwachte Hausarrest“ vielen Menschen ein Dorn im Auge. Dabei wird die Fußfessel von den Betroffenen als Strafe angesehen, unter der sie extrem leiden, spricht der Leiter von „Neustart“, Winfried Ender aus Erfahrung. Denn damit sei „jeder einzelne Mensch sein eigener Gefängniswärter“.

Ein ganz normales Leben
Wer nun glaubt, dass man sich aussuchen kann, was man lieber hätte, liegt falsch: Die Fußfessel kommt nur für U-Häftlinge und rechtskräftig abgeurteilte Straftäter, die eine Freiheitsstrafe bzw. eine Reststrafe von höchstens einem Jahr abzusitzen haben, in Frage. Zudem müssen sie eine für sie geeignete Arbeit vorweisen, damit sie kranken- und haftversichert sind. Konkret bedeutet das, dass sie nicht in Bereichen arbeiten, in denen sie straffällig geworden sind - und das im gleichen Ausmaß wie jeder „Normalbürger“, was 38,5 bis 40 Wochenstunden entspricht. Klingt nach einem normalen Leben? Nicht ganz.

Frei und doch nicht frei
Der Straffällige muss rund um die Uhr erreichbar sein und mit der betreuenden Einrichtung einen Wochenplan  - ähnlich einem Stundenplan - ausarbeiten. Er darf das Haus nur zur Arbeit, der Beschaffung des notwendigen Lebensbedarfs oder zur Inanspruchnahme medizinischer Hilfe verlassen. Ständig sendet das Fußgerät Signale an die Basisstation zuhause. Ab 1. Jänner wird dies durch einen GPS-Sender voraussichtlich noch verschärft. Dann ist der Straffällige jederzeit überall ortbar. Ansonsten geht der Alarm los.

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