Evelyn Pfanner, Projektleiterin von ALT.JUNG.SEIN., und Albert Lingg, ehemaliger Leiter der psychiatrischen Gerontologie, trafen sich zum Gespräch übers Älterwerden. Hier ein paar Auszüge.

Die Fragen stellte Patricia Begle

Was bedeutet es heute „alt“ zu sein?
Evelyn Pfanner: Wir haben heute zwei Generationen, die in diese „Kategorie“ hineinfallen - die Über-60-Jährigen und die Über-80-Jährigen. Daraus ergeben sich große Unterschiede - und damit auch Herausforderungen.

Albert Lingg: Ich selbst bin ein Nachkriegskind - die vor uns alternden haben immer noch den falschen Ehrgeiz, es selber zu richten. Alles was von außen als Ratschlag kommt, wird zuerst einmal skeptisch angeschaut. Bei der Telefonseelsorge rufen wenige alte Menschen an, sie suchen auch keine Hilfe bei anderen Instutitionen. Dabei könnte man mit wenig Intervention schon viel erreichen und ältere Menschen könnten sich viel ersparen. Denn unbewältigte Konflikte, offene Rechnungen, Kränkungen, die zur Verbitterung führen - das sind im Alter dann Riesenthemen.

Pfanner: Was mich beschäftigt, ist das defizitorientierte Bild, das wir vom Alter haben. Natürlich ist das Alter mit dem Wegfall von Ressourcen verbunden. Aber wir werden eine langlebige Gesellschaft - jedes Mädchen, das heute auf die Welt kommt, wird 100 Jahre oder älter - da müssen wir das Alter neu denken.

Lingg: Auf das Berufsleben bereiten wir uns sehr lange vor, auf das andere kaum - dann kommt der berühmte Pensionsschock. Ich habe das auch selber gemerkt - zuerst kam eine Art Euphorie, monatelang hörte ich Musik und las und las und habe dann irgendwann gemerkt: „Das wird es auch nicht sein.“ Und mich dann gefragt: „Was machst du jetzt mit dem Rest?“

Wie können wir uns auf diesen Lebensabschnitt vorbereiten?
Lingg: Ein entscheidender Faktor, der es schwer machen kann oder leicht, ist das Wohnen. Wir haben damals ein Generationenhaus mit unserer Tochter und einer dritten Partei gebaut - als Alternative zu einer Wohnung in Dornbirn. Dort wäre es sicher nett - mit dem Lift hinunter fahren, ins Caféhaus oder in die Bücherei gehen, aber die Sorge, dass man doch vereinsamt, ist groß. Und jetzt haben wir das Gegenteil, wir sind sehr eingebunden in die Familie.
 
Weshalb nimmt Einsamkeit zu?
Lingg: Heute gibt es immer mehr Single-Haushalte - oft lebt in großen Häusern nur eine Person. Das war in meiner psychiatrischen Tätigkeit häufig das Problem - dass Menschen mit Depression zwei, drei Mal im Jahr gekommen sind. Wir haben sie wieder aufgemöbelt, organisierten Mohi und Pensionistenverein - was es eben gab. Dann gingen sie nach Hause und bestellten alles ab. „Mir kommt kein Fremder ins Haus“, war eine Begründung oder: „Das Pflegegeld tun wir nicht so verbraten, der Enkel braucht ein neues Moped.“

Pfanner: Man müsste das Mehr-Generationen-Wohnen mehr fördern. Wir sehen auch bei unseren Teilnehmer/innen, dass viele Leute keine Familie mehr im direkten Umfeld haben. Sie können zwar mit ihnen skypen, aber der Kontakt im alltäglichen Leben ist nicht da. Ich hoffe zudem, dass es in Zukunft Alten-WGs geben wird.

Lingg: Oder Modelle, bei denen in größeren Siedlungen eine Sozialarbeiterin angestellt wird, die schaut, wer für wen etwas tun kann - auf die Kinder schauen bzw. Einkauf erledigen. Dadurch entsteht Kontakt.

Neben diesen Wohnmodellen - wie kann Einsamkeit noch vermieden werden?
Pfanner: Vereine machen viele Dinge für Senioren, die noch sehr aktiv sind. Sobald jemand gebrechlich ist, ist es fertig, dann gibt es nichts mehr. Was Pfarren machen, sind  Besuchsdienste, die Caritas setzt Sozialpaten, Spaziergänger und Vorlesepaten ein.

Lingg: Manchmal kommen Menschen in sehr schwierige Situationen. „Das ist eh kein Leben mehr“, heißt es da. Sterbehilfe liegt in der Luft. Man muss nur die Filme der letzten Jahre anschauen zu diesem Thema, zum Beispiel „amour“ von Haneke. Würde ich nach diesem Film die Zuschauer fragen: „Wie hättet ihr es gerne?“, würden 90 Prozent sagen: „Wir wollen auch in den Armen der Frau Gedeck sanft hinüberschlummern.“ Aber die Kollateralschäden sieht man nicht. Was das für eine Einladung ist ...

Pfanner: ... sich die Menschen vom Hals zu schaffen, Kosten einzusparen.
Heiko Ernst, Chefredakteur von Psychologie heute, hat gesagt, dass es eigentlich darum gehe, dass die älteren Menschen wertvoll sind für die Gesellschaft, weil sie der Jugend etwas weitergeben können, was in dieser schnelllebigen Zeit für sie gar nicht mehr erfassbar sei. Hier müssten wir Verbindungen schaffen zwischen Alt und Jung. Als älterer Mensch möchte man nicht nur konsumieren. Man möchte Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen. Viele alte Leute hätten Potential - auch politisches Potential, um zu sagen: mit dieser Politik sind wir nicht einverstanden - mit dieser Umweltpolitik, mit dieser Wirtschaftspolitik, die stark auf Ausbeutung und auf das „immer mehr“ abzielt.

Lingg: Ein Beispiel dafür ist die letzte Präsidentschaftswahl. Da haben sich die Landeshauptleute Kessler, Burtscher und Sausgruber dafür eingesetzt, dass Hofer nicht gewählt wird. Die Männer haben den Überblick, wissen, was alles kippen kann.

Wenn wir das Leben als Reifungsprozess betrachten - was steht in der letzten Phase noch an?
Lingg: Aufs Alter hin macht man sich wieder mehr Gedanken in spiritueller Hinsicht. Ich habe sehr viel gelesen, auch geschrieben, und da war mir das Nachsinnen, was letztlich da überbleibt oder dann an Substanz da ist, sehr wichtig. Da habe ich wunderbare Literatur gefunden, Dostojewski zum Beispiel - und das ist auch etwas, das man zu erledigen hat.

Pfanner: Das ist uns bei unseren Kursen auch wichtig: Der Austausch über diese letzten Fragen. Ältere Leute haben oft eine Scheu, mit ihren Angehörigen darüber zu reden. Manches Bild - zum Beispiel von Himmel und Hölle - muss dabei neu erklärt werden.

Lingg: Es geht in dieser Phase auch darum, dass man mit sich zufrieden oder im Frieden ist. Dass man keine offenen Rechnungen hat oder verbittert ist. Oder das sogenannte „ungelebte Leben“ noch vor sich hin schleppt. „Was hätte ich alles tun wollen...“ Dass man das maßvoll betrachtet, realistisch bleibt und auch dankbar bleibt.

Pfanner: Ich glaube, hier ist der Glaube auch immer wieder ein Stütze und eine Hilfe. Ich erinnere mich an meine Schwiegermutter, die am Schluss ca. drei Monate pflegebedürftig war - sie ist mit 91 gestorben. Sie sagte dann: „Jetzt kann ich halt gar nichts mehr machen für euch.  Aber beten kann ich noch für euch.“ Das war für sie so tröstlich, dass sie trotzdem eine Aufgabe hatte. Das fand ich bemerkenswert, weil sie sicher kein einfaches Leben und trotzdem dieses Vertrauen hatte.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 16 vom 19. April 2018 - Sonderseiten "ZeitFenster")