Den meisten Lebensmitteln im Supermarkt sieht man nicht an, dass da Zutaten drinstecken, die einmal am Feld gewachsen sind oder im Stall gestanden haben. Die Landwirtschaft wird beim Gang durch die Regale kaum sichtbar. Dennoch spielt sie eine wichtige, ja entscheidende Rolle. Über diese kamen Martin Strele und Andrea Schwarzmann ins Gespräch. Ein informativer, erhellender und konstruktiver Austausch.
Patricia Begle
Beide Gesprächspartner haben seit ihren Kindertagen einen persönlichen Zugang zur Landwirtschaft. Martin Strele hat diese Welt bei seinen Großeltern erlebt, aufgrund des Mangels an Grund und Boden beschäftigt er sich heute aber nur noch theoretisch mit dem Thema - so konzipierte er die Sonderausstellung „Wir essen die Welt“. Andrea Schwarzmann ist selbst Bäuerin, zudem Bundesbäuerin und Vizepräsidentin der Vorarlberger Landwirtschaftskammer. „Es hat die letzten vierzig Jahre große Veränderungen gegeben – gesamtgesellschaftlich. Der Lebensstandard ist gewachsen und hat auch in der Landwirtschaft nicht Halt gemacht“, erklärt Schwarzmann und Strele ergänzt: „In der ganzen Gesellschaft geht es scheinbar nur noch um Leistung, Effizienz und Wachstum. Heute sind wir in Vorarlberg stolz auf Plastikflaschen, Möbelbeschläge, Seilbahnen und Redbull-Dosen. Aber irgendwie ist das gute Leben auf der Strecke geblieben. Wir suchen es noch im Werbeprospekt – das Toastbrot von Ölz hat im Hintergrund ein schönes Maisäßbild…“
In wessen Interesse?
Was bei der Landwirtschaft auch dazukomme, sind die gesetzlichen Vorgaben, erklärt Schwarzmann. Diese betreffen Tierhaltung, Stallungen, Futter u.a. Sie erzählt von ihrer Alpe, auf der es in den 80er-Jahren nicht einmal fließendes Wasser in der Hütte gab. Heute sieht sie aus wie ein kleiner Betrieb im Tal - auch aufgrund der Vorgaben. „Diese Vorgaben sind nicht vom Konsument gewollt, nicht von den Bauern und wahrscheinlich nicht einmal von den Politikern – letztlich hat sich die Lebensmittelindustrie dort massiv breit gemacht“, wirft Strele ein. „Die Industrie vertritt aber nicht die Interessen der Bauern. Mir scheint, die Bauern haben da etwas aus der Hand gegeben und müssten eigentlich sagen: Das holen wir uns wieder zurück. Das lassen wir uns nicht gefallen.“
Hoftüren öffnen
Grundlegend verändert hat sich der Bezug der Menschen zu dem, was wächst. Während früher fast jeder ein wenig Vieh hatte und Obst und Gemüse anbaute, gibt es heute in Vorarlberg rund 3200 Bauernhöfe. Für Strele sind Wissen und Erfahrung der Landwirt/innen deshalb von großem Wert, sie sind quasi der letzte Berufsstand, der diesen direkten Bezug zu unserer Umwelt hat, „der noch merkt, dass es schwieriger geht, wenn weniger Regen kommt“. Dieser Bedeutung und der damit verbundenen Aufgabe sind sich die Bauern und Bäuerinnen bewusst, erklärt Schwarzmann. Schon seit Jahren gehen sie neue Wege, öffnen ihre Hoftüren, um der Gesellschaft zu zeigen, wie ein Lebensmittel produziert wird. Sie arbeiten mit Schulen und Kindergärten zusammen, um Heranwachsenden einen Zugang zu verschaffen, den diese sonst schlichtweg nicht mehr haben. „Dass wir heute über unsere Arbeit reden müssen, ist für uns neu. Unsere Eltern und Großeltern haben das nie gemacht, die haben einfach gearbeitet“, erläutert die Bäuerin. Neben den tollsten Kampagnen sei jedoch immer das persönliche Gespräch entscheidend, so die Vizepräsidentin. „Da erfahr ich auch die Philosophie, die dahinter steckt.“
Verschiedene Zugänge
Ja, und Philosophien gibt es unterschiedliche. Wenn es ums Essen geht, wird manche zur Ideologie oder Religion. Deshalb sehen sich Landwirte vielfach mit Negativbildern konfrontiert. Man muss aber sehen, dass ein großes Bemühen da ist, so Schwarzmann. Immerhin gibt es im Land über 90% ÖPUL-Betriebe (Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft), 15% davon sind Bio-Betriebe. Für beide Formen gibt es Auflagen und Kontrollen. So muss bei den ÖPUL-Betrieben die Milchviehfütterung gentechnikfrei sein, Kunstdünger ist nicht erlaubt und auf den Alpen darf kein Soja im Futtermittel landen. Die Vorschriften für Bio-Betriebe sind noch enger gestrickt. Hier müssen alle Zukäufe Bio-Qualität haben, ob Kraftfutter oder Heu. „Jeder muss für sich schauen, in welches Segment er passt“, ist Schwarzmann überzeugt. „Auf jedem Betrieb arbeiten Leute mit unterschiedlichem Zugang, Neigungen und Stärken. Auch die Direktvermarktung liegt nicht jedem. Es gibt nicht das Patentrezept für die gesamte Landwirtschaft, es ist eine Vielfalt.“
Was ist Leistung?
Bei solchen Neigungen spielt Unterschiedliches mit, im Großen Walsertal ist es auch der Stolz auf die Züchtungen. Schwarzmann erzählt von der jährlichen Leistungsschau am 1. Mai. „Was dort einfach das Schöne ist, sind die vielen jungen Leute, die die Kühe
herrichten oder einfach zum Schauen kommen.
Sie haben eine Freude dabei.“ Die gängige Form der Leistungsmessung ist aber nicht unbedingt die einzig mögliche Form, überlegt Strele. „Wir könnten auch sagen: die Kuh, die nur mit Gras – also ohne zusätzliches Kraftfutter – am meisten Milchleistung macht, ist die beste.“
Gemüse-Genossenschaften
Was die Milchwirtschaft betrifft, sind die Vorarlberger Bauern gut aufgestellt. Es gibt noch über dreißig Sennereien, die genossenschaftlich organisiert sind, die Käseproduktion läuft gut. Der Gemüseanbau deckt jedoch lediglich 8% des Eigenbedarfs. Was fehlt, sind auch Betriebe, die Gemüse verarbeiten - also waschen, schneiden, verpacken - passend für den Endverbraucher wie beispielsweise Großküchen, die das nicht mehr selbst können. Hier wäre eigentlich ein Betätigungsfeld für Genossenschaften – also Unternehmen in Bauernhand anstelle der Lebensmittelindustrie.
Widerstand
Wo sich beide einig sind, das ist die Bedeutung von Grund und Boden: er ist Fundament jeder Landwirtschaft. Schwarzmann sieht ein grundsätzliches Problem darin, dass durch die Aufteilung der Grundstücke an die Kinder heute fast drei Viertel der Böden in nicht-bäuerlichen Händen sind und verpachtet werden. „Und einer, der selbst nicht Bauer ist und in einem anderen Bereich ein lukratives Geschäft sieht, der verkauft dieses Stück Boden“, weiß sie aus Erfahrung. Voraussetzung für einen solchen Verkauf ist allerdings die Umwidmung seitens der öffentlichen Hand, wirft Strele ein. „Und hier muss man der Politik Paroli bieten, hin stehen und sagen: Hier nicht mehr. Wir sind Bauern und wir brauchen diesen Grund und Boden.“ Strele vermisst den Widerstand der Bauern. „Bei großflächigen Umwidmungen von Grünflächen müssten 30 Traktoren vor dem Landhaus stehen.“
Tatsächlich sind Umwidmungen in Vorarlberg schwer nachvollziehbar, gibt es doch 3,7 Millionen m² gewidmetes Betriebsgebiet, das noch nicht bebaut ist und noch einmal 35,7 Millionen m² gewidmetes Bauland für Wohnen, Mischgebiet und Bauerwartungsland, die bislang nicht genutzt wurden. Trotzdem werden immer wieder Grünflächen gefordert. Für Schwarzmann ist klar: „Für Grund und Boden – da haben wir alle Verantwortung. Jede Entscheidung hat Auswirkungen, die wir noch gar nicht abschätzen können.
Aufklären
Trotz vieler schwieriger Entwicklungen zeigt sich die Bäuerin optimistisch. „Es ist eine hohe Sensibilität für Lebensmittel da, es wächst eine Generation heran, die mitentscheidet, was auf dem Tisch ist und die auch etwas hinterfragt.“ So gilt es, aufzuklären und Menschen einzubinden ins Leben auf den Höfen und Feldern – von der Aktion „Heugabel“ bis zum Urlaub am Bauernhof. Oder Bewusstsein zu schärfen – wie in der Ausstellung „Wir essen die Welt“.