„Die Pandemie hätte uns nicht erreicht, wenn wir nicht die Umstände geschaffen hätten“, ließ Dr. Philipp Blom beim Gesellschaftspolitischen Stammtisch Anfang dieser Woche aufhorchen. Und damit sind wir schon mitten im Thema und bei der Frage: Wie verändert Corona unsere Zukunft?

Er sei kein Prophet, sondern Historiker, hielt Blom gleich zu Beginn seines Vortrags fest. Wenn man es genau nimmt, ist er der Wahlwiener zudem auch Philosoph und Bestseller-Autor. Die Frage was nach Corona komme, könne er trotzdem nicht beantworten, aber er könne gemeinsam mit den über 120 „Besucher/innen“ des Online-Stammtischs darüber nachdenken, „was ich glaube was diese Pandemie mit uns macht und wie ich sie einordne“.

Aus der Geschichte lernen?

Als die spanische Grippe damals - 1918 - rund 50 Millionen Opfer „forderte“ wurde sie nicht als Pandemie oder Katastrophe gesehen. Sie war Teil des Ersten Weltkriegs. In der heutigen westlichen Welt geschehe mit Corona aber zum ersten Mal etwas so Gravierendes, das mit Einschränkungen verbunden sei und jeden betreffe. „Wir nehmen die Pandemie als katastrophaler wahr als sie ist“, betont Blom. Sie sei Teil einer viel größeren Entwicklung - nämlich der Klimakatastrophe - und wir selbst seien quasi daran schuld.

Selbst schuld?

„Die globalisierte Wirtschaft hat die Pandemie unvermeidbar gemacht hat“ und „je weiter wir in die Natur eingreifen, umso mehr wird soetwas passieren“, zeichnet Blom ein düsteres Bild. Zur Veranschaulichung, dass wir uns unser eigenes Grab schaufeln, skizziert er eine Grafik der NASA, die zeigt, wie viel CO2 in den letzten 800 000 Jahren in der Atmosphäre war. Der Gebrauch fossiler Brennstoffe, der Anstieg der Weltpopulation, der Aufstieg großer Städte uvm. lässt die Kurve seit den 1950er Jahren steil nach oben zeigen.

Von Plankton und Ameisen

Allein 2019 sei Regenwald in der Größe von 30 Fußballfeldern verschwunden – pro Minute. Doch was in Brasilien geschieht, habe auch Auswirkungen auf das Klima in Österreich. Spätestens seit der Bibel (Stichwort „Macht euch die Erde untertan“) sehe sich der Mensch als Krone der Schöpfung. Eine Selbstüberschätzung, die harmlos war, „bis wir technisch mächtig wurden“, so Blom. Die Menschen müssen verstehen, dass sie nur eine Lebensform unter vielen sind und nicht so wichtig wie Plankton oder Ameisen“, plädiert er für mehr Bescheidenheit.

Es gibt Alternativen

Die Katastrophe habe die Bruchstellen der Gesellschaft brutal offen und den Finger auf Ungerechtigkeit und Unausgewogenheit gelegt, sieht Blom aber auch das Positive, denn: Während vor Covid die Prämisse galt, dass man die Wirtschaft nicht anhalten könne, geschah genau dies, um verwundbare Personen (wie kranke oder ältere Mitmenschen) zu schützen. Oder wie Blom es formuliert: „Wir haben gelernt, es gibt Alternativen! Wir haben andere Wahlen.“

Die Katastrophe ist zu klein

Wäre nicht jetzt die Chance, etwas zu ändern? „Das Virus wird nicht weggehen und ich glaube, dass es als Katastrophe zu klein ist, um ein so starkes Umdenken zu bewirken“, hat Blom Bedenken. „Menschen ändern ihre Meinung  über die Welt nämlich nicht durch kluge Argumente, sondern durch Erfahrungen, die sich machen“,  so der Historiker. Statt  den Politikern vorzuhalten, dass sie nichts ändern, müsste man sein eigenes Verhalten ändern, spricht Blom die auf Wachstum ausgelegte Wirtschaft an. Stattdessen verhalten wir uns kollektiv als Spezies nicht klüger als Hefezellen: Hefe wächst (dank Zucker) exponentiell so lange und frisst so viel sie kann, bis sie an ihren eigenen Ausscheidungen erstickt. So erklärt Blom zugespitzt das Dilemma von unendlichem Wachstum in endlichen Systemen. Aber: „Wenn genug Menschen die Geduld, die Ausdauer, den Mut, die Bereitschaft zum Verzicht, die Ironie, die Leidenschaft, die Wachheit, die Menschlichkeit und die Solidarität haben, wenn sie sich weigern aufzugeben, kann aus diesem Anfang wieder eine Stimme werden, die laut und überzeugend genug ist, um ein neues Narrativ (ein sinnstiftendes Motiv) zu schaffen.“

Der Papst und ein atemberaubend kindisches Argument

Zahlreiche Fragen fanden über den zoom-Chat - und natürlich über Moderator Thomas Matt - ihren Weg zu Philipp Blom. Die Frage was Blom von der Gemeinwohlwirtschaft hält z.B. oder jene nach dem Verzicht, oder welche Rolle die Katholische Kirche im Allgemeinen und Papst Franziskus im Speziellen spielen könnte. Eines gleich vorweg: Den Verzicht als Totschlagargument bezeichnete er als "atemberaubend kindisch" und er "würde es begrüßen, wenn Papst in Brasilien mehr eingreifen würde". Neugierig geworden?

Den aufgezeichneten Vortrag zum Nachsehen finden Sie hier »