Der Gesellschaftspolitische Stammtisch widmete sich vergangenen Montag im Kolpinghaus in Dornbirn der provokanten Frage „Haben wir Weihnachten verkauft?“ Nach einem anschaulichen Vortrag von Prof. Wilhelm Guggenberger von der Theologischen Fakultät in Innsbruck gaben die Gäste am Podium genauso wie die Besucher/innen im Saal, die sich zu Wort meldeten, sehr persönliche Zeugnisse darüber, was ihnen Weihnachten bedeutet. So entstand ein über Strecken sehr intimes, aber auch komplexes Bild von Weihnachten.

Bild: Am Podium: Thomas Matt (Moderation), George Nussbaumer, Theresia Fröwis, MMag. Simone Strehle-Hechenberger und Prof. Wilhelm Guggenberger (von links).

Wolfgang Ölz

Es war ein spürbares Anliegen des Moderators Thomas Matt, dass es zum Weihnachtsfest um weit mehr geht, als um den statistisch ermittelten Durchschnittswert von exakt 452 Euro, den die Österreicher/innen an Weihnachten für Geschenke ausgeben werden.

Keine Moralkeule
Wilhelm Guggenberger, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Katholisch-theologischen Fakultät in Innsbruck, machte in seinem Impulsreferates klar, dass die einen sich auf gute Erinnerungen freuen, auf Gerüche, Lieder und Rituale aus der Kindheit, die anderen an Weihnachten aber herbe Enttäuschungen erfahren haben - eine verkrampfte Kulisse einer scheinbar heilen Welt wird nicht selten zum Hintergrund für  Familienkrisen und grassierende Einsamkeit. Wichtig ist Guggenberger, das Schwingen der Moralkeule und den Auftritt als katholische Spaßbremse tunlichst zu vermeiden.
Die Goldene Regel aus dem Matthäusevangelium „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!“ (Matthäus 7,12a) sollte dennoch nicht zu einem grausamen Tauschgeschäft verkommen. Weihnachten selbst bestehe aus dem Geheimnis der Empfängnis. Ein Kind wird ohne Gegenleistung von den Eltern empfangen, nicht in einem Austauschgeschäft ergattert. Der Blick in die Weihnachtskrippe zeige eine selige Mutter und einen väterlichen Mann, die sich beide umsonst ihrem Kind hingeben. Diesem „Umsonst“ misst Prof. Guggenberger allergrößte Bedeutung zu.   

Mit 14 Jahren an Weihnachten allein
Für Simone Strehle-Hechenberger, die seit November die ifs-Schuldenberatung leitet, erzeuge der „weihnachtliche“ Kaufzwang so viel Druck, dass Menschen sich nicht selten finanziell übernehmen. Allerdings lägen die Ursachen für ein Schuldenproblem häufiger bei Schicksalsschlägen wie Arbeitslosigkeit oder Scheidung. Der blinde Musiker George Nussbaumer sieht das Hauptproblem darin, dass Menschen, die Schulden haben, sich zudem noch schuldig fühlen, wenn sie etwa für ihre Kinder etwas Kostspieliges einkaufen. Für die Unternehmerin und Spartenobfrau Handel in der Wirtschaftskammer, Theresia Fröwis, befindet sich der regionale Handel im Überlebenskampf mit den großen Online-Händlern, die mit Shoppen rund um die Uhr und Preisschlachten im Internet die Konsument/innen regelrecht abzocken.
Die Statements aus dem Publikum waren sehr persönlich und auch berührend. Da war etwa der ehemalige ÖVP-Politiker Günter Lampert, der eingestand, sehr lange ans Christkind geglaubt zu haben und mit 14 Jahren an Heiligabend 1955 in Liechtenstein Kuchen zustellen und fern von der Familie in einem Zimmer in Vaduz Weihnachten allein verbringen musste. Ingrid Härle von der katholischen Frauenbewegung erzählte aus ihrer Kindheit, dass ihre Mutter nach dem Stress im Spielwarengeschäft am Heiligen Abend immer geweint habe.

Wünsche für das Fest
Der Abt im Kloster Mehrerau fordert die Mönche an hohen Festtagen beim Essen mit dem Imperativ „Benedicite!“ auf, Gutes zu sagen. So lud auch Moderator Thomas Matt am Ende die Podiumsteilnehmer/innen ein, den Zuhörer/innen etwas Gutes zu Weihnachten mitzuteilen. Guggenberger empfahl, aus der Tradition - wie aus einer Nuss - jenen Kern herauszuschälen, der jedem selbst gut tut. Strehle-Hechenberger forderte auf, dankbar zu sein und auch den Anderen - in Bezug auf die Kürzungen im Sozialsystem - etwas zu gönnen. Fröwis gab den Tipp, für Andere ein Lichtlein zu sein. Nussbaumer schließlich wünschte den Anwesenden gute Gespräche und „a ganz a feins Glücksgfühl“. 

Zum Abschied gab der Moderator zu bedenken, dass wir alle „alleingelassene, übersehene, benachteiligte Kinder“ seien. Sein Wunsch für das kommende Fest: der Blick in die Krippe, wo auf die Menschen auch zu Weihnachten 2018 das göttliche Kind wartet.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 49 vom 6. Dezember 2018)


Zum Nach-Sehen:

Video-Mitschnitt der Veranstaltung