Embryonale Stammzellenforschung, Präimplantationsdiagnostik, Pränataldiagnostik und Schwangerschaftskonflikte im Zeichen der Frage, ab welchem Zeitpunkt das Leben eines Menschen beginnt. Ein Gesellschaftspolitischer Stammtisch.

Zum Kern der Debatte
Aus ethischer Sicht gilt es zu präzisieren: Die Frage, ab welchem Zeitpunkt ein Mensch ein Mensch ist meint im Grunde, ab welchem Zeitpunkt in der Entwicklung eines neuen Menschen dieser neue Mensch Person ist und damit aufgrund seiner Menschenwürde unbedingt schutzwürdig ist. Die Schutzwürdigkeit und das damit verbundene Verbot, diesen neuen Menschen zu töten, zu selektieren oder für irgendeinen anderen Zweck zu instrumentalisieren, sind der Fokus und der Kern der Debatte, auf den die Frage nach dem Lebensbeginn ausgerichtet ist.

Breite Themenpalette
Bei allen genannten Themen sind das Tötungs-, Instrumentalisierungs- und Selektionsverbot für frühes menschliches Leben im Blick: Dürfen Embryonen, die z.B. im Zuge der in-vitro-Fertilisation "übrig" geblieben sind, für (hochrangige) Grundlagenforschungszwecke verwendet werden? Ist es ethisch legitim, Embryonen bei der Präimplantationsdiagnostik nach bestimmten Krankheiten oder Eigenschaften zu selektieren und nur die „guten“ einzupflanzen? Wie steht es um die ethischen Fragen zum Thema Schwangerschaftsabbruch, die sich im Zuge von pränataldiagnostischen „Untersuchungsmarathons“ für die Frauen und Paare ergeben? Diese Fragen verlaufen an unterschiedlichen ethischen Konfliktlinien.
Der Vortrag von Prof. Günter Virt und die schließende Diskussion mit Prim. Dr. Stefan Rimbach von der Gynäkologie am LKH Feldkirch sowie Mag. Karin Schatzmann-Ellensohn als ehemalige Obfrau der Aktion Leben Vorarlberg lieferten einige wichtige Erkenntnisse und Impulse zu diesen Fragen.

Plädoyers und ethische Argumente
Zunächst hängen die Antworten auf die genannten Fragen ganz entscheidend mit der Bestimmung des Status des Embryos bzw. des beginnenden Menschenlebens zusammen: Wenn der frühe Embryo bereits Person ist, dann ist er unbedingt auch zu schützen.
Prof. Virt plädiert auf der Grundlage der europäischen Menschenrechtskonventionen, wonach das Leben eines jeden Menschen zu schützen sei, für die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens zum frühest möglichen Zeitpunkt:
„Wenn das unverwechselbare Genom eines neuen Menschenlebens vorliegt, ist trotz aller Prozesshaftigkeit und aller Unsicherheiten, die damit gegeben sind, dieses neue Leben zu schützen.“ Das von Kritikern immer wieder vorgebrachte Argument der Prozesshaftigkeit des Vorgangs, bei welchem man nicht genau sagen könne, wann denn nun dieser Prozess abgeschlossen sei, lässt Virt nicht gelten. Er wählt als Gegenargument das Vorsichtsprinzip und argumentiert tutioristisch:  „Das Leben ist das grundlegende Gut unserer Gesellschaftsordnung – deswegen ist es im Zweifelsfall zu schützen, auch wenn in diesem Prozess der genaue Augenblick des Abschlusses der Befruchtung schwer festzustellen ist.“
Die Ausbildung des Genoms ist der plausibelste Moment für den Beginn neuen Lebens: 1. Es ist nicht mehr die Zelle des Vaters oder der Mutter, sondern ein genetisch neuer und einzigartiger Mensch. 2. Der Embryo hat von Anfang an bereits alle Anlagen für die weitere Entwicklung in sich und entwickelt sich 3. in geeigneter Umgebung kontinuierlich weiter bis zum erwachsenen Menschen weiter.

Wichtige Details in der Terminologie
Spitzfindigkeiten wie die genannte Prozesshaftigkeit in der Entwicklung eines Menschen prägen die Debatte. Auch die Terminologie ist dabei entscheidend. Virt spricht z.B. von „embryonalen Menschen“ und nicht von „menschlichen Embryonen“, da bereits mit diesen Ausdrücken eine Vorentscheidung getroffen wird und eine Wirklichkeit geschaffen wird: „Menschlich“ ist ja z.B. auch ein einzelnes Haar oder jede andere Zelle in unserem Körper. Beim Ausdruck „menschliche Embryonen“ ist daher noch nicht gesagt, welchen Status nun diese Embryonen haben. Die befruchteten Eizellen jedoch als „embryonale Menschen“ zu bezeichnen, bringt die Position zum Ausdruck: Es geht um Menschen, um Personen, welche sich eben gerade in einem sehr frühen Stadium ihrer lebenslangen Entwicklung befinden.

Alle Menschen sind auch Personen!
Vehement tritt Virt auch gegen die Unterscheidung von Menschen und Personen auf. Ethiker wie z.B. der Australier Peter Singer machen einen Unterschied zwischen Menschen und Personen: Nicht jeder Mensch ist, je nach seinen Fähigkeiten und nach seinem Zustand zu beurteilen, auch gleichzeitig Person und damit schutzwürdig. Virt hält dagegen, dass wir den Personbegriff nicht von Eigenschaften oder Leistungen des Menschen abhängig machen dürfen. Unabhängig davon, ob ein Mensch Bewusstsein hat, denkfähig ist oder sonstige Eigenschaften aufweist, ist er vom frühest möglichen Beginn bis zu seinem Tod eine mit Menschenwürde ausgestattete Person. Sämtliche Versuche in der Vergangenheit, diesen Grundsatz auszuhebeln, haben stets zu humanen Katastrophen geführt.

Die Bedeutung des emotionalen Zugangs
Als Arzt und zweifacher Familienvater nimmt Primar Stefan Rimbach in dieser Frage eine ähnliche Position ein. Zur Frage, ob denn nun ein Menschleben wirklich mit der Befruchtung von Ei- und Samenzelle beginnt, betont er nicht so sehr in seiner Funktion als Arzt, sondern als Familienvater den emotionalen Zugang zum Thema: Das Leben beginne schrittweise, da die Eltern auch nur schrittweise einen Bezug dazu entwickeln: Sei es beim positiven Schwangerschaftstest, beim ersten Ultraschall oder bei den ersten Kindsbewegungen im Bauch der Mutter: die Beziehung zum Leben, das sich im Inneren der Mutter abspielt, entwickle sich. Somit könne man sich nicht sicher sein, wann genau der Beginn sei.
Günter Virt wiederum stellte diesem Argument der zunehmenden emotionalen Bindung jenes der Verantwortung entgegen. Nicht so sehr die emotionale Bindung, sondern das Wissen darum, dass sich hier ein embryonaler Mensch entwickle, bringe Verantwortung und letztlich die moralische Pflicht zu einem sorgsamen Umgang mit frühem menschlichen Leben mit sich.

Gefährlicher Wertewandel
Mag. Karin Schatzmann-Ellensohn war zehn Jahre lang Beraterin bei der „Aktion Leben“ Vorarlberg. Sie brachte die Perspektive der Beraterin bei Schwangerschaftskonfliktsituationen ein und betonte die Tatsache, dass sie es während ihrer Zeit in der Beratung größtenteils mit Frauen zu tun hatte, welche nach einer Verhütungspanne mit der unerwünschten Konsequenz einer Schwangerschaft konfrontiert waren. Die Verantwortung für eine Handlung, welche zum Entstehen neuen menschlichen Lebens führen könne, werde dabei, so Schatzmann-Ellensohn, an ein Medikament oder an ein mechanisches Hilfsmittel abgegeben. Daraus habe sich ein Wertewandel in unserer Gesellschaft ergeben: Die Einstellung zum ungeborenen Leben als etwas, das nur noch als zu vermeidende „Verhütungspanne“ wahrgenommen werde, hält Schatzmann-Ellensohn für gefährlich.

Im Zweifelsfall "für Bienen und Menschen"
Die Frage, ab welchem Zeitpunkt das Menschsein beginnt, wird auch in Zukunft Gegenstand kontroverser Debatten bleiben. Theologisch begründet hat jeder Mensch, unabhängig in welchem Zustand er sich befindet und ob er geboren oder ungeboren ist, seine Würde von seiner Gottebenbildlichkeit her. Gott hat uns nach seinem Bild geschaffen. Als Geschöpfe Gottes ist jeder Einzelne daher unendlich kostbar. Es ist aus diesem Grund mehr als angebracht, wie Prof. Virt in seinem Impulsvortrag augenzwinkernd in Richtung Minister Berlakovich feststellte, "im Zweifelsfall nicht nur die Bienen, sondern auch die Menschen zu schützen".

Dr. Michael Willam
EthikCenter

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