Wieso fällt Hass im Internet auf so fruchtbaren Boden - und was kann jede/r einzelne von uns dagegen tun? Das diskutierte der Gesellschaftspolitische Stammtisch Montagabend im Kolpinghaus Dornbirn.

Charlotte Schrimpff

Das Phänomen Hassrede an sich: nicht neu. „Hass“, erklärt Dr.in Claudia Paganini, Philosophin und Medienethikerin an der Universität Innsbruck, „war immer schon da.“ Neu seit den 2000er Jahren seien allerdings die Ausmaße, die er in den Social Media annehmen könne. Deren Algorithmen hätten die Aufgabe, Nutzer/innen möglichst oft und lange auf den Plattformen zu halten. Inhalte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von jemandem geliked, kommentiert oder weiterverbreitet werden, werden darum häufiger angezeigt als Dinge, die jemand eher ignoriert. Am Ende sieht sich ein/e Nutzer/in nur noch von Beiträgen umgeben, die die eigene Einstellung bestätigen: Ein/e Tierschützer/in bekomme so den Eindruck, dass die Welt aus rettungsbedürftigen Hunden und Katzen bestehe - die Echokammer eines Migrationsskeptikers hingegen verstärke Verschwörungstheorien und Untergangsszenarien. „Sind Social Media für diese Menschen die Hauptinformationsquelle, führt das online leichter zum Aufbau eines Aggressionspegels und einer Gruppenpolarisierung als es im ‚echten‘ Leben denkbar wäre“, so Paganini. Mitunter jedoch mit sehr realen Folgen: Fälle, in denen Hate Speech und Shitstorms letztlich auch zu körperlicher Gewalt geführt hätten, sind bekannt - die Ermordung des deutschen Politikers Walter Lübcke ist nur einer davon.

Die Täter: eher jung, eher männlich, eher aus bildungsfernen Milieus, zitiert Paganini entsprechende Studien. Opfer könne dagegen potentiell jede und jeder von uns werden - besonders häufig aber Angehörige von Randgruppen oder exponierte Einzelpersonen wie Politiker/innen oder Journalist/innen. „In den seltensten Fällen ist die Person an sich gemeint“, erklärt die Wissenschaftlerin - vielmehr seien Opfer von „Hate Speech“ im Netz Projektionsfläche einer orientierungslosen Wut.

Wo endet die Meinungsfreiheit?

Wie so etwas aussehen kann, zeigte in der offenen Diskussionsrunde die Wortmeldung von Dr. Klaus Begle: „Schad‘, dass man dich produzierte!“ gehört noch zu den moderateren Anfeindungen, denen sich der Mitinitiator der Sonntagsdemonstrationen für ein menschlicheres Fremden- und Asylrecht online ausgesetzt sah. Sein Unverständnis, dass vol.at als Vorarlbergs reichweitenstärkste Plattform solchen Postings nicht effektiver zu begegnen wisse, wurde deutlich. Podiumsgast Marc Springer als deren langjähriger Chefredakteur beteuerte zwar, dass man viel rigoroser geworden sei, was das Moderieren und Löschen solcher Kommentare betreffe und dass unter kontroversen Themen die Diskussionsforen mitunter gar nicht erst eröffnet würden, aber es schien, als seien unter den Gästen im Kolpinghaus viele, die einen anderen Eindruck vom Gebaren auf dem Portal hätten.

Ambivalente Anonymität.

Schnell wurde die Forderung nach einer Klarnamenpflicht für das Posten im Internet laut - schließlich müsse sich die/der Autor/in eines Leserbriefs auch als „echte“ Person ausweisen. Dass derlei online allerdings ganz praktische Hürden habe, solange es im „World Wide Web“ keine länderübergreifenden Kodizes gebe, gab nicht nur Paganini zu bedenken. Zumal damit auch ein Stück bereits gewachsener Netzkultur verloren gehe für Menschen, die aufgrund ihrer Meinungen oder Orientierungen ohne Pseudonyme Angst vor Verfolgung und Repression haben müssten - nicht nur in autoritären Regimen, wie Springer betonte.

Rote Ampeln.

Dass eine gesellschaftliche Debatte darüber dringend notwendig sei, was man - auch jenseits dezidierter Straftatbestände wie Verleumdung und Verhetzung - zu tolerieren bereit sei und was nicht - darüber herrschte in der „Echokammer“ des Stammtisches Einigkeit. Andernfalls sei der gesellschaftliche Zusammenhalt in Gefahr, warnte Dr. Harald Walser als ehemaliger Politiker auch mit Blick auf die nachweisliche Wahlbeeinflussung in Großbritannien und den USA durch Troll-Fabriken und Unternehmen wie Cambridge Analytica.
Psychotherapeut und Psychoanalytiker Günther Rösel verglich das Verhalten im Netz mit dem im Straßenverkehr: Ohne Regeln und deren flächendeckende Vermittlung würde uns auch dort das totale Chaos blühen. „Es braucht darum unmittelbare Konsequenzen“, so Rösel.

Den Spiegel vorhalten.

Mit technischen Feedback-Lösungen werde bereits experimentiert, weiß Claudia Paganini: In einem Projekt bekämen Kommentatoren vor Absetzen eines Hass-Beitrags ein Popup-Fenster zu sehen, das sie vor den Folgen eines solchen Postings warnt. So würde ein guter Teil der Kommentare doch nicht veröffentlicht.

Medienkompetenz vermitteln.

Ein weiterer wichtiger Faktor seien Prävention und Aufklärung, erklärt Gerhard Bargetz, der als Sicherheitskoordinator und Präventionsbeamter bei der Polizeidirektion Feldkirch mehrere Initiativen vor allem für Jugendliche betreut. Allerdings sei die Sensibilisierung für die Folgen des eigenen Handelns im Netz auch in älteren Nutzergruppen nötig: Er beobachte gerade unter 40- bis 60-jährigen Männern einen Mangel an Medienkompetenz. „Es fehlt Wissen“, so Bargetz.

„Neuland“ Netz?

Ob das nach rund 30 Jahren des kommerziellen Internets und fast 20 seit dem Aufkommen von Social-Media-Plattformen wirklich nur an der Überforderung im Umgang mit einer neuen Kulturtechnik liegt: fraglich.
„Es ist an uns allen, der Gewaltspirale Positives entgegenzusetzen und das Internet zu einem guten Ort für alle zu machen“, nimmt Paganini alle Nutzer/innen in die Pflicht. Ignorieren und Wegschauen seien keine Option. «

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