Acht Monate ist es her, dass die Bilder der sterbenden Mahsa Amini um die Welt gingen. Seit damals wird im Iran protestiert. Alles ist in Bewegung, sagt Iran-Expertin Gudrun Harrer.

Von Veronika Fehle

September 2022. Mahsa Amini, eine junge Frau, ist mit ihrer Familie in Teheran. Auf der Straße wird sie von der Sittenpolizei angehalten. Der Grund dafür ist ihr schlecht sitzender Hidschab. Das Video, das zeigt, wie Mahsa Amini zusammenbricht, geht um die Welt. Die Nachricht von ihrem Tod auch. Seitdem sind die Menschen auf der Straße. Das Regime greift mit brutaler Macht durch. Aber worum geht es bei den aktuellen Protesten im Iran eigentlich? Gudrun Harrer, leitende Redakteurin bei der Tageszeitung „Der Standard“ sowie Lehrende für moderne arabische Geschichte an der Universität Wien, stellte diese Frage ins Zentrum ihres Impulsvortrags beim vergangenen Gesellschaftspolitischen Stammtisch des EthikCenters.

Repression hat Geschichte

„Diese Proteste ziehen sich geografisch wie auch sozial durch alle Bereiche und über das gesamte Land“, begann Gudrun Harrer ihren Impuls. Bauen sie auf den Protesten der Revolution von 1979 auf? Nein, aber sie könnten nur aus ihnen heraus verstanden werden. 1979 wurde der Schah, der ein Diktator, aber auch ein Modernist war, gestürzt. Die Islamische Republik wurde gegründet und ihr erster Führer war der schiitische Geistliche Ruholla Chomenei. „Seit 34 Jahren ist nun sein Nachfolger Ali Chamenei geistliches Oberhaupt des Irans. Alle Fäden laufen in seinen Händen zusammen. Ali Chamenei ist 84 Jahre alt und krank. Die Wahl des neuen religiösen Führers im Iran fällt mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Amtszeit des 2021 gewählten Präsidenten. Deshalb war diese Präsidentschaftswahl auch so wichtig für das Regime“, bettete Harrer die Proteste in den politischen Kontext ein. Das Regime wurde durch die Person des geistlichen Führers stabilisiert. Verfrühte Diskussionen über die Rolle des nächsten religiösen Führers, lasche Moral und Ähnliches gerieten zunehmend zur Bedrohung und sollten unterbunden werden. Präsident Ebrahim Raissi und die Repressionen, die die Menschen im Iran seit seiner Wahl erlebten, waren die Antwort darauf. Am Schicksal Mahsa Aminis entzündete sich also ein Protest, dessen Wurzeln weit zurückreichen. Zum Beispiel in eine Gesellschaft, in der die Revolutionsgarden seit 1979 eine unglaubliche Macht in ihren Händen versammelt haben. In ein Land, das sich wirtschaftlich in einer prekären Situation befindet und in dem die konservative Haltung des Regimes für viele Frauen paradoxerweise sogar zur Chance werden konnte. „.Das konservativere Regime führte auch dazu, dass konservative Kreise Frauen wieder vermehrt am öffentlichen Leben teilhaben ließen. Frauen haben heute im Iran gerade im Bereich der Bildung längst zu den Männern aufgeholt“, führte Harrer aus und betonte, dass es nur logisch war, dass sich diese gebildeten Frauen auch gegen zunehmende Repressionen wehrten.

Eine Frage der Zukunft

Ob die Proteste im Iran ein gutes Ende nehmen werden, sei schwer einzuschätzen. „Ich glaube nicht an einen glatten Regimewechsel. Ich glaube, dass mit dem Tod Chameneis die Machtkämpfe erst beginnen und sich die Situation noch zuspitzen kann. Aber ich bin mir auch sicher, dass die Menschen im Iran fähig sind, ihre Gesellschaft neu zu formen.“ Ihre Gesellschaft und ihre Zukunft.