Viele Menschen sind durch ihre berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit oft mit dem Tod konfrontiert. Der Tod gehört ganz selbstverständlich zu ihrem Leben. Wie sie damit umgehen und welche Erfahrungen sie dabei machen, erzählen sie im Gespräch.

Zum Interview mit:
Irmtraud Heinzle - Krankenpflegerin 
Reinelde Böckle - Totenwache-Gestalterin 
Gerhard Micheli - Trauerbegleiter
Erwin Gehrer - Mitarbeiter Krematorium

Irmtraud Heinzle

arbeitet als diplomierte
Krankenpflegerin im
Hospiz am See in Bregenz. 

Als diplomierte Krankenschwester im Hospiz am See haben Sie täglich mit Sterbenden zu tun. Wie gehen Sie damit um?
Vor meiner Tätigkeit hier war ich schon viele Jahre für Hospiz Vorarlberg tätig - erst als ehrenamtliche Hospizbegleiterin, dann als Koordinatorin für die Region Götzis. Ich bin dankbar, dass ich bei dieser Arbeit viele wertvolle Erfahrungen machen durfte.  Wenn jemand zu uns als Gast kommt, dann denke ich nicht „Dieser Mensch stirbt“, sondern „Was können wir ihm Gutes tun?“  Es geht ums Leben - das trägt uns. Wir nehmen jeden Tag wie er ist. Und wenn jemand gut gestorben ist, es sich „rund“ anfühlt, dann haben wir unseren Auftrag gut erfüllt.

Wie unterstützen Sie die Angehörigen?
Die Begleitung Angehöriger ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Viele von ihnen lernen wir mit der Zeit gut kennen - das macht es natürlich einfacher. Meistens klären wir schon vor dem Tod, was wir dem Verstorbenen anziehen sollen. Die Angehörigen können dabei mithelfen. Sie entscheiden, welche Gegenstände wir aufstellen - Engel, Weihwasser, Rose, Rosenkranz... Wichtig ist, dass wir ihnen die Zeit lassen, die sie brauchen.

Welche Worte sind in dieser Situation tröstlich?
Mit Trost tu ich mir sehr schwer. Als meine Schwester mit 50 starb, da gab es für mich keinen Trost. Kraft schon, Kraft zum Weitermachen kommt irgendwoher. Worte sind in dieser Situation meist alle irgendwie unpassend. Wichtig ist: für den trauernden Menschen gibt es keine größere Trauer als die seine. Also: nicht kleinreden, keine noch schlimmeren Beispiele bringen. Einfach nur die Trauer wahrnehmen und annehmen und den Menschen trauern lassen.

Werden Sie nach dem „Leben nach dem Tod“ gefragt?
Äußerst selten. Und wenn, dann sage ich meine persönliche Auffassung: Ich bin geschützt und geborgen und begleitet, egal was mir passiert.

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Reinelde Böckle

arbeitet seit 17 Jahren als
ehrenamtliche Totenwache-Gestalterin.

Worin sehen Sie Ihre Aufgabe als Totenwache-Gestalterin?
Die Feier der Totenwache ist Seelsorge. In der Vorbereitung ist der Besuch bei der Trauerfamilie ein wesentliches Element, dabei sehe ich mich als Zuhörende und Ruhepol in dieser konkreten Situation. Manches von dem, was ich in mich aufgenommen habe, kann ich in einer einfühlsamen Art in die Gestaltung der Feier einfließen lassen.

Welche Rolle spielt das Totenwachegebet im Blick auf die Trauer der Angehörigen und im Blick auf eine Pfarrgemeinde?
Bei der Feier der Totenwache versuche ich immer einen Bogen zu spannen über das Leben und über den Tod der verstorbenen Menschen. Ich nenne diesen Bogen einen „Lebensbogen“. Es tut den trauernden Menschen gut, wenn das Leben ihres Verstorbenen ein letztes Mal „gewürdigt“ wird. Der Würde eines Menschen auch noch im Tod zu entsprechen ist eine tiefe christliche Grundhaltung. Dieser Lebensbogen gibt auch viel Raum für Trost und vor allem für die Hoffnung, dass jedes Leben auch nach dem Tod aufgehoben ist in etwas „Größerem“.
Die mitfeiernden Menschen der Pfarrgemeinde sind Zeichen von Solidarität mit den trauernden Angehörigen, aber auch von Wertschätzung gegenüber der/s Verstorbenen. Für die Angehörigen ist es ein Gefühl des Mittragens und des Gehaltenseins in einer größeren Gemeinschaft.

Welche Situationen sind schwierig für Sie?
Der Tod von Kindern und Jugendlichen, der suizidale Tod, geht schon unter die Haut. Da fehlen oft die Worte. Hier einen Weg des Trostes und der Hoffnung zu bahnen, braucht viel Einfühlungsvermögen.

Welche Veränderungen nehmen Sie im Umgang mit der Trauer wahr?
In meiner Heimatpfarre Götzis ist der Wunsch nach einer Totenwache in den letzten Monaten stark zurückgegangen. Als Abschiedsritual reicht für viele eine Feier des Gottesdienstes. Verabschiedungen außerhalb des kirchlichen Rahmens haben zugenommen.

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Gerhard Micheli

ist seit zwei Jahren ehrenamtlicher
Trauerbegleiter bei Hospiz Vorarlberg. 

An welchen Orten sind Sie als Trauerbegleiter tätig?
Wir laden zu Trauercafés und Trauerwanderungen ein. Die Trauercafés finden regelmäßig statt - immer am letzten Sonntag im Monat. Es sind immer zwei von uns dabei. Wir beginnen mit einem kleinen Impuls und dann entsteht ein Gespräch. Natürlich gibt es Kuchen und Kaffee.

Welche Bedürfnisse haben die Trauernden?
Sie hätten gerne noch mehr Angebote zu Zeiten wie Weihnachten oder Ostern, gerade dort sind sie allein. Bei ihren Kindern wollen sie nicht immer „stören“, die haben meist ihre eigenen Familien. Insofern ist der Sonntag fürs Trauercafé der allerbeste Tag.

Haben Sie in den letzten zwei Jahren Veränderungen wahrgenommen?
Es gibt immer mehr Menschen, die einsam sind. Sie nehmen diese Unterstützung gerne an.

Worin sehen Sie ihre Aufgabe?
Ich möchte den Menschen meine Zeit schenken. Wir Trauerbegleiter sind ja neutrale Personen und haben Schweigepflicht. Die Menschen erzählen von sich, sie dürfen alles loslassen, oft weinen sie auch - sie haben unheimliches Vertrauen in die Gruppe. Und wenn sie dann gehen, dann sind sie erleichtert und dankbar.

Geben Sie den Trauernden auch Ratschläge?
Die Ratschläge kommen von den anderen Trauernden. Mit manchen Sätzen muss man vorsichtig sein. Zum Beispiel können viele die Frage „Wie geht es dir?“ schon nicht mehr hören - weil sie es vom Nachbar hören und beim Einkaufen. Auch Sätze wie „wird schon werden“ oder „du bist stark“ stoßen oft auf Widerstand. „Du hast ja keine Ahnung“ denken sich manche Trauernden, „du weißt ja gar nicht, wie ich mich fühle“. Von unserer Seite braucht es gar nicht so viel. Wir fragen vielleicht „Wie fühlen Sie sich?“ - und dann kommt schon etwas, aus manchen sprudelt es richtig heraus. Oder es ist einfach einmal still.

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Erwin Gehrer

ist seit 20 Jahren Mitarbeiter
im Krematorium Hohenems. 

Wie kamen Sie zur Arbeit im Krematorium und worin besteht sie?
Begonnen habe ich vor 28 Jahren als Totengräber. Damals habe ich es wegen des Geldes gemacht - ich dachte überhaupt, dass Geld das Wichtigste sei. Dann habe ich gemerkt, dass mir diese Arbeit Freude macht. Ich darf für einen Menschen das Letzte auf dieser Welt tun - das ist für mich etwas Wunderschönes. Diese Arbeit ist kein Job, sondern eine Berufung. Ich gehe jeden Tag mit Freude zur Arbeit. Zu meinen Tätigkeiten gehören die Feuerbestattungen, ich mache Führungen, leite Verabschiedungen und erledige Büroarbeiten.

Was ist Ihnen wichtig bei Ihrer Arbeit?
Der würdevolle Umgang mit den Verstorbenen. Das beginnt schon bei der Sprachkultur - wir „verbrennen“ keine Menschen, wir „kremieren“ sie. Die Asche ist für uns immer noch der Mensch - deshalb gehen wir mit ihr würdevoll um. Für mich ist jede Kremation einzigartig.

Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Die Menschen nehmen sich nicht richtig Zeit, alles muss  schnell gehen. Von der klassischen Verabschiedung - Sarg in der Kirche, Kremation, Beisetzung – kommt man langsam weg.

Welche Bedeutung hat der Tod für Sie persönlich?
Der Tod gehört dazu, wir müssen ihn in den Mittelpunkt bringen. Er ist das einzige Gerechte in unserer Welt, denn jeder Mensch darf sterben. Es geht um die Frage, was ich will und brauche bzw. was ich meine zu brauchen. Für mich ist heute Zeit das Wichtigste. Ich möchte auch zum Nachdenken darüber anregen, dass es Dinge gibt, die man nicht mehr einholen oder nachholen kann - zum Beispiel das Spielen mit den Kindern.

Belastet Sie Ihre Arbeit?
Ich gehe heim und schlafe gut. Wenn ich davon träumen würde oder nicht schlafen könnte, müsste ich aufhören. Grundsätzlich bin ich ein fröhlicher Mensch.

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(aus "ZeitFenster - Tod und Trauer" vom 25. Oktober 2018)