Govinda wurde vor fast 40 Jahren in Bregenz mit dem Down Syndrom geboren. Die Eltern sehen Govinda als Glücksfall für ihr Leben, genauso wie ihre „gesunde“ Tochter Valentina, die nur 11 Monate später zur Welt kam.

Rosa Andrea Martin

„Ich sehe nicht „die Down Syndrom-Menschen“ ich sehe den Govinda, die Anna, die Theresia“, sagt Christine Nägele, Mutter von Govinda, mir vor dem Interview und ergänzt: „Govinda bereichert mein Leben, er fordert heraus, bestimmt mein Leben, beglückt, erheitert, nervt tierisch – er ist ein Faultier, ein Philosoph, ein Mystiker, ein Angsthase, ein Kleinkind, ein junger Mann und Liebender.“ Nach dieser Beschreibung bin ich wirklich gespannt auf den jungen, vielseitigen Mann mit dem schön klingenden Namen. Dieser kommt aus Indien erfahre ich später beim Gespräch. Govinda begrüßt mich mit Handschlag und beäugt mich offensichtlich. „Hoffentlich falle ich nicht durch“, schießt es mir durch den Kopf. Aber wir entdecken während unseres Kennenlernens doch einige Gemeinsamkeiten.

Unbelastet in eine neue Aufgabe.

„Als Govinda vor fast 40 Jahren zur Welt kam, waren wir noch recht jung. Es war ein Kaiserschnitt und ich durfte das Baby nicht sofort sehen. Als der Arzt mit sehr ernster Miene an mein Bett kam, um mir eine Nachricht zu überbringen – war ich sehr erschrocken“, erzählt Christine und ergänzt: „Als der Arzt dann erklärte, mein Sohn hat das Down Syndrom, war ich total erleichtert. Ich hatte damit gerechnet, dass er in Lebensgefahr wäre. Mein erster Gedanke war – wenn es weiter nichts ist.“ Den Erzählungen ist zu entnehmen, dass die jungen Eltern ganz unbelastet in diese Aufgabe gegangen sind und 11 Monate später kam schon die Tochter zur Welt: „Da gab es ohnehin keine Zeit nachzudenken und sich Sorgen zu machen“, erinnert sich Christine. Wir sitzen gemeinsam beim Ingwertee im Wohnzimmer mit einer wunderbaren Aussicht in den schönen Garten. Govinda hat es sich auf dem Sofa bequem gemacht, während Christine und ich ihm gegenübersitzen. „Ich war schon mal beim Fernsehen“, berichtet Govinda stolz. Also ein Interview mit mir scheint für ihn ganz selbstverständlich zu sein. Wenn ich manchmal die Worte, die sehr schnell aus seinem Mund rauspurzeln, nicht verstehe, assistiert seine Mutter. Er erzählt über Dinge, die er mag: Er liebt die Zauberflöte (Oper von W. A. Mozart) und kann viele Arien mitträllern. Da ich auch unglaublich gerne singe, stimme ich eine Arie von Pamina an. Nach meinem kurzen Intermezzo meint er keck: „Du bist engagiert!“ Wir lachen herzlich.

Musiker, Magier und Zauberkünstler

Christine ist evangelische Religionslehrerin und sie schmunzelt, weil ihr zur musikalischen Vorliebe ihres Sohnes eine Geschichte einfällt: „Er war schon öfter beim Unterricht dabei und als die Schüler/innen ein Lied angestimmt haben, hat er begeistert dazu dirigiert.“ Und ich erfahre, dass der junge Musiker nicht einfach mit den Händen dirigiert, es müssen chinesische Essstäbchen sein. Auch das Zaubern findet er großartig, den Zirkus und die Reisen mit Papa und der Familie. Und Quidditch findet er gut. „Was ist den Quidditch“?, fragt Christine. Ich antworte: „Das ist ein Ballspiel auf Besen!“ „Genau“, meint Govinda. Und so haben wir wieder eine Gemeinsamkeit gefunden – auch ich kenne den Lieblingssport von Harry Potter. Govinda hat Humor und mag es gerne spielerisch, nur eines kann er wirklich nicht ausstehen. Wenn man ihn „behindert“ nennt oder irgendetwas anderes als „behindert“ betitelt, nicht einmal das Wort Straßenbehinderung kann er durchgehen lassen. Ich erlebe das im Gespräch, als Christine das „Unwort“ in den Mund nimmt und er wie ein Tiger die Zähne fletscht und ein grollendes Geräusch von sich gibt.

Fröhliche Schulzeit

Govinda scheint wirklich ein Glückskind zu sein, nur einmal in seinem Leben gab es eine wirkliche Krise: „Govinda erkrankte mit zwei Jahren an Leukämie und war 6 Monate im Krankenhaus in Innsbruck. Das war eine unglaublich belastende Situation für die Familie“, berichtet Christine und erzählt: „Noch immer gerate ich in Panik, wenn Govinda krank wird“, was sehr selten vorkommt freut sich seine Mutter. Er besuchte einen integrativen Kindergarten und seine schulische Laufbahn hört sich an wie bei anderen Kindern auch. „Dank einer sehr engagierten Mutter entstand damals in Lustenau die erste Integrationsklasse. Govinda konnte diese Klasse mit seiner Schwester besuchen. Er war selbstverständlicher Teil der Klassengemeinschaft“, erzählt die Religionslehrerin und ergänzt: „Beim Lesen gab es zwar nur geringe Erfolge und mit den Zahlen konnte sich Govinda noch weniger anfreunden. Ein Vogelschwarm – das waren ‚viele fünf‘. Doch seiner Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.“ Govinda hört aufmerksam zu. Ich erfahre, dass er selbstständig Bus fahren gelernt hat, was wohl in der Folge zu einigen Irrfahrten geführt hat, die dann doch eher die Mutter gestresst haben. Nur am Abend ist er nicht gerne alleine und hängt sehr an seiner Mama und an der Oma, die mit ihm gemeinsam im Nachbarhaus lebt. So sagt er im Gespräch: „Mama ist die Beste!“ und kurz darauffolgend: „Oma ist die Beste!“ Dieser spontane Liebesbeweis zaubert uns gleich wieder ein Lachen ins Gesicht. Es ist schön zu spüren, welch inniges Verhältnis Mutter und Sohn haben. Christine genießt die Zeit mit Govinda, doch ihr ist bewusst, dass das lebenslange Miteinander auch eine lebenslange Pflege beinhaltet.

Von der Liebe und der Arbeit

Momentan arbeitet Govinda mittwochs im Jüdischen Museum in Hohenems und donnerstags in der evangelischen Pfarrgemeinde in Dornbirn. Ich spüre seine Freude über diese Arbeit, für die er auch entlohnt wird. Doch Govinda zeigt keinerlei Interesse an Geld und die Notwendigkeit der Arbeit erschließt sich ihm auch nicht wirklich. „Er macht das für die Menschen, die er mag“, ergänzt Christine. Plötzlich platzt es aus ihm heraus: „Ich habe auch eine Freundin, sie heißt Johanna.“ Er strahlt übers ganze Gesicht und ich erfahre, dass es nicht die erste Freundin ist. Christine erzählt, dass seine Liebesgeschichte einen großen Platz in seinem Leben einnimmt. „Johanna ruft ganz oft am Tag an“, freut sich Govinda. Dass die junge Dame fast 19 Jahre jünger ist als er, scheint im Leben von Govinda überhaupt keine Rolle zu spielen. Er ist glücklich, dass Johanna ihn gefunden hat, so beschreibt es die Mama. Die beiden haben sich im „Treff“ kennengelernt. Sein liebenswürdiges Wesen wird nicht nur von Johanna, sondern auch von den Betreuer/innen geschätzt: „Mit manchen von ihnen ist Govinda immer noch in Kontakt. Sie werden von ihm des Öfteren telefonisch zu Rate gezogen und sie kommen an den Geburtstagsfeiern vorbei.“ Und bald steht wieder ein Männerabend mit einem Bekannten an. „Männerabend“, frage ich, „was macht ihr da?“ „Da gibt’s Pizza und Film“, kommt die prompte Antwort und Govinda strahlt über das ganze Gesicht.