Friedhöfe sind besondere Orte. Nicht nur ihre Ruhe ist ungewöhnlich im Lärm unserer Zeit, es scheint auch, als ob die Zeit dort stehengeblieben wäre. Ein Kontrapunkt also zur Schnelllebigkeit unserer Gegenwart? Dieser Schein trügt. Denn auch Friedhöfe sind Zeugen der Veränderung, stille Zeugen.

Patricia Begle,
Redakteurin beim Vorarlberger KirchenBlatt

Beim ersten Blick auf den Friedhof ist es so, wie es immer war. Ein Grab reiht sich an das andere, Grabsteine und -kreuze geben Auskunft über die Verstorbenen und über Glaube und Hoffnung der Hinterbliebenen. Kerzen, Weihwasser, Blumen – Symbole für die Gegenwart Gottes, für das Leben, das ja weitergeht – irgendwie.

Vielfalt
Beim Gang durch die letzte Ruhestätte zeigen sich dann Veränderungen. Auf den Gräbern sind kleine Zeichen zu sehen – Fotos der Verstorbenen, weiße Engel, Herzen aus Stein. Botschaften an die Verlorenen sind zu lesen: „Wir vermissen dich“ oder „Du bleibst in unser Erinnerung“ oder einfach nur „Danke“. Vielfältiger sind auch die Grabsteine – in Form und Farbe. „In den letzten Jahren kam man weg von den schwarz polierten Steinen, die früher üblich waren“, erklärt Jürgen Lampert. „Heute ist die Grabkultur bunter - das passt, denn die Welt ist ja auch bunt.“

Darüber reden 
Grabberatung ist eine spannende und auch sensible Geschichte, weiß der Steinmetz aus Göfis. Gemeinsam mit den Angehörigen versucht er dabei, einen Grabstein zu schaffen, der etwas über die Geschichte des Verstorbenen aussagt. „Einem Maschinenbauer haben wir zum Beispiel ein Zahnrad auf den Grabstein gesetzt“, erzählt Lampert. Ein Bergkristall symbolisierte seine Leidenschaft für die Berge, ein Kreuz seinen Glauben. Von einer ersten Skizze am Papier bis zum fertigen Grab kann es dabei ein intensiver Weg sein. Je nach Todesfall. Grabsteine für Kinder sind schwieriger als Grabsteine für 90-Jährige. „Der Tod gehört zum Leben dazu“, weiß der erfahrene Handwerker. „Wichtig ist, mit den Leuten zu reden, denn übers Reden kommen sie weiter.“

Friedhofsordnungen
Was ein Steinmetz außerdem beachten muss, sind die Vorschriften, die für den jeweiligen Friedhof gelten. Größe von Stein und Grabanlage sind genau vorgegeben, auch die Symbolik muss dem Anlass entsprechen und würdevoll gestaltet sein. Grabsteine sind bewilligungspflichtig. Die Zuständigkeit dafür ist unterschiedlich: Friedhofsordnungen werden von Gemeindevertretungen oder Pfarrkirchenräten diskutiert, beschlossen und kotrolliert, der gesetzliche Rahmen dafür kommt vom Land. Stephan Ender ist als Pfarrsekretär für die Friedhofsverwaltung zuständig. In Rankweil sind gleich drei Friedhöfe in pfarrlicher Hand. „Ich habe den Eindruck, dass sich im Laufe der Jahre die Friedhofskultur, nicht nur in Rankweil, stark verändert hat“, erzählt er. „Viele möchten ein Grab, das sie nicht mehr pflegen müssen.“  

Gemeinschaftsgräber
Für Menschen, die keine Angehörigen im Land haben, hat die Pfarr Rankweil das ehemalige „Armengrab“ im Friedhof St. Peter erweitert. Manche sorgen schon zu Lebzeiten vor und reservieren dort eine Platz, erzählt Ender. Im Frühjahr wurde die Grabanlage fertiggestellt, gepflegt wird sie von der Pfarre. Schlichte Tafeln geben Auskunft über Namen, Geburts- und Sterbejahr. Mehr nicht. Damit wird auch zum Ausdruck gebracht, dass „im Tod alle gleich sind“.

Naturbelassen
Ein ähnliches Anliegen liegt auch hinter der „Naturbestattung“, die seit zwei Jahren am Friedhof in Nofels möglich ist. Ein Stück des Friedhofes wurde dafür freigegeben, sieben Bäume neu gepflanzt. In deren Schatten wurden seither die Urnen von rund fünfzehn Verstorbenen beigesetzt. „Gemäht wird nur zweimal im Jahr“, erzählt Franz Bertschler, Friedhofsverwalter der Pfarre, „sonst bleibt alles so gut es geht naturbelassen.“ Das bedeutet, dass es hier keinen Platz für Kerzen, Fotos oder Engel gibt, jener für Täfelchen mit den Angaben zu den Verstorbenen findet sich an der Friedhofsmauer.
Gemeinschaftsgräber gibt es auch am Nofler Friedhof. Jenes des Pflegeheimes liegt gleich neben jenem, das für die Asche der Urnen bereitgestellt wurde. Denn nach zehn Jahren endet die Urnen-Aufbewahrung an der Urnenwand. Wird sie nicht verlängert, kommt die Asche in dieses Grab. „Dabei darf die Asche von zwei Verstorbenen nicht vermischt werden“, erklärt Bertschler ein Detail des Bestattungsgesetzes. „Dazwischen muss Erde sein.“ Für Bertschler selbst ist die Erdbestattung der Urne die sinnvollste Form der Bestattung. „‚Erde zu zu Erde‘ heißt es ja“, so der Nofler. „Und dann ist alles erledigt.“

Vom Sarg zur Urne
Noch liegt keine Asche in dem Gemeinschaftsgrab, denn die Urnenwand wurde erst vor etwa zehn Jahren gebaut. Bemerkenswert ist jedoch, dass schon fast alle 100 Urnenplätze besetzt sind, eine neue Mauer ist bereits in Planung. Der Wechsel vom Sarg zur Urne stellt sicher die größte Veränderung in der Grabkultur unserer Region dar. Waren es 1998 noch fünf Prozent der Verstorbenen, die kremiert wurden, sind es heute 70-80 Prozent, in manchen Gemeinden entscheiden sich sogar alle für diesen Weg.

Von der Natur lernen
An den Urnenwänden zeigt sich die Individualisierung der Grabkultur nochmals in sehr verdichteter Form. Während die eine Nische beinah schon übervoll mit Erinnerungsgegenständen ist, findet sich in einer anderen lediglich die Steinplatte. „Die Urnenwände kommen mir vor wie Wohnblocks“, überlegt Elfriede Heinzle. Sie pflegte jahrzehntelang die Gartenanlage des Bildungshauses St. Arbogast und leitete schon ganzheitliche Floristikkurse, als das Wort „ganzheitlich“ noch nicht in unserem Sprachgebrauch weilte. Ihre Naturverbundenheit wurde in ihrer Kindheit grundgelegt, sie hat sie nie verloren. Im Gegensatz zu vielen Menschen heute, wie Heinzle erklärt: „Die Menschen sind heute nicht mehr eingebunden in den Naturkreislauf, sie haben den Kontakt zur Natur verloren“, erklärt sie. „Dabei können wir viel von der Natur lernen - das Sterben im Herbst und die Kraft, die im Frühling wieder Neues heraustreibt. Mutter Erde gibt und gibt.“

Grab als Garten
Für Heinzle kann jede Pflanze, die am Grab wächst, zum Symbol werden. Der Kranz steht für die Verbundenheit, die Rose für die Liebe, ein Fruchtzweig – zum Beispiel Hagebutten – kann die „Früchte“ der Verstorbenen symbolisieren, das, was sie getan haben. „An Allerheiligen pflanze ich zum Beispiel eine Christrose, die noch nicht ganz offen ist. Wenn die Blüten dann druchbrechen ist es wie bei einer Geburt. Das ist ein wunderbares Bild für die Geburt in eine andere Welt - und für Weihnachten“, erklärt die Gartenfrau. Um die Grabpflege zu erleichtern, empfiehlt sie mehrjährige Pflanzen - Thymian oder Quendel, kleinen Silbermantel oder Grasnelken. Die Götznerin will einmal beerdigt werden. „Wir sind Teil vom Ganzen, für mich geht es wieder hinein in die Mutter Erde.“

(aus "ZeitFenster - Tod und Trauer" vom 25. Oktober 2018)