Totenwache, Begräbnisgottesdienst, Jahrtagsfeier: Kaum ein anderer Moment kennt so viele christliche Rituale wie der Abschied von einem Verstorbenen. Die Psychotherapeutin Helga Kohler-Spiegel und Pfarrer Dominik Toplek sprachen miteinander über die Formen und Funktionen ritualisierter Trauer - unter religiösen Vorzeichen und ohne.


Das Interview führte Charlotte Schrimpff

Frau Kohler-Spiegel, Herr Toplek: Was zeichnet ein gutes Ritual aus?
Helga Kohler-Spiegel: Ich denke, es hilft, zuerst auf den Begriff selbst zu schauen. Und der Begriff Ritual hat seine Wurzel im Sanskrit-Wort „ṛtá“, das Ordnung oder Grundordnung heißt. Ich halte das für einen ganz wichtigen Faktor bei Ritualen - dass sie die Situationen ordnen können, in denen die Welt aus den Fugen gerät. Sie helfen, überhaupt einen Rahmen zu finden für die verschiedenen Empfindungen und Gedanken, mit denen wir konfrontiert werden. Das braucht der einzelne Mensch und das braucht die Gemeinschaft.

Dominik Toplek: Genau diesen Eindruck habe ich in meiner Arbeit als Priester: Ich biete den Menschen durch Rituale eine Möglichkeit, mit einer neuen Situation umzugehen. Es gibt zum Beispiel ein Ritual, das ich bei Begräbnisgottesdiensten gleich zu Beginn mache: Ich ziehe ein in die Kirche, halte einen Moment inne an der Urne oder am Sarg und lege dann meine Hand darauf. Und ich merke, wie schon allein diese Geste den Menschen das Gefühl vermittelt: „Der erkennt die Situation, er hat uns verstanden.“

Das heißt also, ein gutes Ritual hilft…
Kohler-Spiegel: … in einen Abschied hineinzufinden, genau. Denn das Ritual gibt uns buchstäblich etwas zu tun. Es ermöglicht uns zu sehen, wie gut es tut, nicht allein zu sein, nicht zu verstummen, nicht zu vereinzeln, sondern mithilfe von Gesten einen Weg aus der Erstarrtheit zu suchen.

Toplek: Darauf lege ich auch großen Wert - vor allem wenn es ein schwieriger Abschied ist, zum Beispiel nach einem Suizid oder einem Unfalltod. Dann lasse ich etwa die Trauernden selbst viele Kerzen anzünden, um sie nicht sitzen zu lassen - im wahrsten Sinne des Wortes. So kommen sie in Bewegung und spüren: Ich kann etwas tun.

Kohler-Spiegel: Die erste Aufgabe der Trauer ist es, die Realität des Verlustes wahrzunehmen und annehmen zu können. Da hilft natürlich das Begräbnisritual selbst, weil es diesen Abschied gnadenlos deutlich macht und herausfordert, diese neue Realität anzuerkennen. Und der zweite Aspekt ist das, was du, Dominik, angesprochen hast: Aus der Erstarrung zumindest in eine erste Bewegung zu kommen. Auch die Erinnerungen an das Begräbnis können immer wieder helfen, diese Realität herzuholen und annehmen zu lernen.

Trotzdem nimmt die Nachfrage nach stillen Begräbnissen eher zu.
Toplek: Ja, und ich bedauere das sehr. Der Wunsch nach dem „kleinen Rahmen“ kommt häufig aus einem Gefühl der Überforderung heraus, die zum Beispiel Beileidsbekundungen von außen mit sich bringen können. Dabei kann die Öffentlichkeit eine große Stütze sein. Gerade in kleineren Dörfern oder bei mir im Sprengel in Dornbirn erlebe ich oft, dass es für die Angehörigen auch etwas Trostvolles hat, wenn die Kirche zum Beisetzungsgottesdienst voll ist und sie spüren: Da sind viele, die Anteil nehmen.

Kohler-Spiegel: Psychologisch steckt da beides drin: Es gibt das stärkende Moment zu erleben, dass ich in meiner Trauer nicht alleine bin - und zugleich das berechtigte Bedürfnis, mich vor zu hoher Intensität zu schützen. Da hat auch die Umwelt Verantwortung, achtsam mit dem einzelnen Trauerfall umzugehen.

Sind das die Symptome einer säkularisierten Welt, dass uns im Umgang mit Tod und Trauer das rituelle Handwerkszeug fehlt?
Kohler-Spiegel: Vielleicht. Denn über die wirklich wichtigen Dinge reden wir meist nicht viel, sondern nur manchmal einige wenige Sätze. In meiner Arbeit erlebe ich dann das Ringen als Einzelner, als Paar, als Familie um eine für sie angemessene Form der Trauer. Rituale - etwa die brennende Kerze am Bild des Verstorbenen - wollen uns ins solchen Momenten Zeit geben, Zeit schenken, um herauszufinden, was braucht es, um den Abschied zu gestalten.

Das ist ein Bedürfnis, dem auch freie RitualbegleiterInnen begegnen - und deren Markt wächst kontinuierlich. Was machen sie anders als Priester - was machen die vielleicht besser?
Toplek: Wie Helga schon gesagt hat: Sie haben oft viel mehr Zeit als wir, um auf die ganz individuellen Bedürfnisse der Trauernden einzugehen. Bei uns sind es vor allem die TotenwachenleiterInnen, die Gebetszeiten persönlich gestalten können und das auch tun. Ein wichtiger Unterschied ist, dass in einem christlichen Trauerritual immer die klare und trostvolle Botschaft enthalten ist, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern dass er ein weiterer Schritt ist auf dem Weg zur Auferstehung. Diese „Karte“ müssten wir vielleicht stärker spielen, weil uns Christen diese Überzeugung einfach auszeichnet.

Kohler-Spiegel: Fast alle, die ich in Trauerprozessen begleite, beschreiben dieses „Über den Tod hinaus mit dem Verstorbenen in Kontakt sein“. Denn eigentlich ist es ja das Schönste, was wir über einen Menschen sagen können - dass er fehlt. Es dauert seine Zeit, bis sich diese Beziehung so verändern kann, dass ein Leben nicht einfach nur weiter funktioniert, sondern wirklich weitergeht und dass der Verstorbene schlussendlich einen neuen inneren Platz bekommt. Ich kann mir allerdings auch vorstellen, dass es manchmal eine Herausforderung ist, schon von einer Hoffnung zu sprechen, wo Trauer und Schmerz noch akut sind.