Durch einen Vortrag der syrisch-deutschen Muslima Lamya Kaddor im Vorarlberger Landhaus rückte der kriegerische Dschihad nochmals näher - und wurde erschreckend menschlich dargestellt.

Lamya Kaddor, muslimische Religionspädagogin, Autorin, Islamwissenschaftlerin und Vorsitzende des liberal-islamischen Bundes ist eine gefragte Referentin. So war der Montfortsaal des Vorarlberger Landhauses am 8. Juni voll besetzt und die Fragen des Publikums, darunter auch einige Muslime, waren differenziert und konstruktiv.

Gleich vorweg: Dschihad hat zuallererst nichts mit Waffen zu tun. Denn was im Westen als Selbsterfahrung oder Reifungsprozess bezeichnet wird, könnte man ebenfalls als "Dschihad" bezeichnen: nämlich als Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst, welche alle Menschen im Zuge des Erwachsenwerden (hoffentlich) durchlaufen. Erst durch Missbrauch der Heiligen Schriften, in diesem Fall des Korans, kommen kriegerische Waffen dazu, werden Menschen im Namen Gottes getötet. Auch die Bedeutung des Salafismus hat nichts intrinsisch Gewalttätiges an sich, denn der arabische Begriff as-salaf bedeutet Vorfahren/Ahnen, und so wird die salafiya zur streng orthodoxen Strömung des Islam, welche sich innerlich an den ersten drei Generationen nach dem Propheten Mohammed orientiert. Der puristische Salafismus ist daher als unproblematisch zu betrachten und darf in einem Rechtsstaat wie Deutschland oder Österreich auch nicht verfolgt werden. Auffälliger wird die Propagandatätigkeit des politischen Salafismus, und alarmieren sollte uns der dschihadistische Salafismus, welcher zur Errichtung eines Gottesstaates durch Gewaltanwendung aufruft. Solch ein Fundamentalismus wird auch dadurch charakterisiert, dass Gott immer nur als Allah bezeichnet und vom gemeinsamen Gottesbild der drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) streng getrennt wird. Zumindest habe Allah laut diesem Verständnis ganz andere Eigenschaften als Gott.

Männer-, Frauen- und Gottesbild

Interessanterweise haben viele junge Menschen, welche sich vom kriegerischen Dschihad anlocken lassen, laut Lamya Kaddor auch ein sehr negatives Gottesbild. Meist wird von einem strafenden, ungnädigen und streng abrechnenden Gott gesprochen. Ebenso findet sich im Leben vieler solcher junger Menschen das Phänomen des abwesenden Vaters: entweder war der leibliche Vater physisch abwesend, oder es war auch sonst niemand in dieser Familie, der die Rolle des Vaters übernommen hätte. So erklärt sich die Sehnsucht junger Männer, von einer starken Hand geführt zu werden und auch selbst endlich Mann sein zu dürfen und für ein klares Ziel zu kämpfen. All diese Möglichkeiten fehlen nämlich jungen Männern mit Migrationshintergrund in Mitteleuropa oft. Sie erfahren Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und eine gespaltene Identität. Sie sehen sich am Rand der Gesellschaft, fernab von der Verwirklichung ihres gefühlten Potentials. Doch nicht nur junge Männer zwischen 15 und 25 Jahren sind besonders vor der Radikalisierung gefährdet. Auch junge Frauen werden von der Dschihad-Romantik ergriffen, träumen davon, einem Gotteskrieger Kinder zu schenken und in einer Gesellschaft zu leben, in der Frauen und Männer strengen Regeln unterliegen – während die muslimischen Mädchen in Europa oft sehr eng, die Buben sehr frei erzogen werden, und die Mädchen diese Ungerechtigkeit natürlich zu spüren bekommen.

Unzulässige Auslegung

Doch wie steht der Islam als friedliebende Weltreligion zur radikalen Strömung des dschihadistischen Salafismus? Im Koran selbst ist nämlich zu lesen, dass mehrdeutige Verse (und davon gibt es einige!) nicht zum eigenen Vorteil verwendet werden dürfen. Somit ist jede Extremform unzulässig – und bereits das Mönchstum gilt im Islam als extreme Form der Frömmigkeit, welche zu vermeiden ist! So lässt sich nachvollziehen, dass nicht nur die westliche Zivilisation, sondern auch der allgemeine, moderate Islam mit Schrecken auf die „Gotteskrieger“ schaut: Eine solche Auslegung ihrer Heiligen Schriften wurde bereits vom Propheten selbst verboten!

Suche nach Identität

Handelt es sich also um ein psychologisches, soziales Problem, eher als um ein intrinsisch religiöses? Ist ein akuter Mangel an Identität und Wertschätzung, die junge Menschen brauchen wie die Luft zum Atmen, welche aber vielen verwehrt bleibt? Kaddor zeigte auf, dass einem die Identität des Islam niemand nehmen kann – während vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund keine andere Identität so wirklich gehört: sind sie deutsch oder türkisch? Sind sie österreichisch oder syrisch? So werfen radikalisierende Strömungen ihr Netz besonders nach suchenden, psychisch labilen jungen Menschen aus, von denen etwa 10-15% weiblich sind.

Persönliche Begegnung als Lösungsansatz

Natürlich wurde nach dem aufrüttelnden Vortrag die Frage des Publikums laut, was denn nun getan werden kann. Lamya Kaddor hat als Religionspädagogin selbst junge Menschen unterrichtet, die einige Jahre später tatsächlich in den Dschihad gezogen sind. Inzwischen glaubt sie gewisse Anzeichen besser lesen zu können. Essentiell sei aber der Schritt der Mehrheitsbevölkerung, Muslime als Bereicherung zu sehen. Solange junge Menschen als fremd und anders an den Rand der Gesellschaft gestellt werden, suchen sie nach anderen Destinationen ihrer Sehnsucht. So bleibt die persönliche Begegnung mit andersgläubigen Menschen aus anderen Kulturen, welche wir dennoch unsere Mitbürger/innen nennen (dürfen), das sicherste Mittel gegen Vorurteile und Zwietracht: Haben wir einem Menschen einmal ins Gesicht geblickt, gemeinsam gelacht, geredet, Zeit verbracht, so ist er kein Fremder mehr – und kann sich in einem Land wie Österreich vielleicht sogar in Frieden zugehörig fühlen.