Der Gesellschaftspolitische Stammtisch widmete sich diese Woche einem nach wie vor brisanten Thema. Unter dem ironischen Titel „Lustig ist das Zigeunerleben“ diskutierten am Montag im Kolpinghaus in Dornbirn außergewöhnlich zahlreiche engagierte Bürger/innen, wie Armutsreisende - speziell Roma und Sinti - unterstützt werden können.

Wolfgang Ölz

Mit Norbert Mappes-Niediek hat Friederike Winsauer vom Ethik-Center eine echte Ko­ry­phäe in der Frage der Kultur der Roma eingeladen. Der freie Journalist der Wochenzeitung „Die Zeit“, Mappes-Niediek, spricht  Serbisch, Kroatisch und Bosnisch, war viele Jahre in Ungarn, Kroatien, Bulgarien und vor allem auch Rumänien unterwegs und ist ein intimer Kenner der Situation dort. Sein Buch „Arme Roma, böse Zigeuner - Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt (Berlin 2012)“ ist für die Mitdiskutantin und Streetworkerin der Kaplan Bonetti Sozialwerke, Monika Spiss, ein Standardwerk zu der Thematik. In der anschließenden Diskussion überzeugte sie durch echte Fachkenntnisse über die Kultur der Roma. Informiert über die rechtliche Situation, kennt sie viele Roma im Land persönlich und kann spontan die richtigen Ratschläge geben.

Bringschuld Integration

Außerdem am Podium war der Obmann von „Tischlein deck dich“, Diakon Elmar Stüttler. Der Vandanser Diakon wollte und konnte im Herbst 2015 nicht tatenlos zusehen, wie die Roma in den Vorarlberger Wäldern trotz Anbruch der kalten Jahreszeit hausen mussten. Die Bilder seiner Hilfangebote an diese Notreisenden gingen damals durch die Medien im Land. Elmar Stüttler verwies allerdings auch auf Papst Franziskus der ca. 5000 Roma zu sich eingeladen hatte und sie in seiner Rede darum bat, sich vermehrt zu integrieren und die Gesetze zu respektieren. Diese Bringschuld haben die Roma im Land erfüllt.

Auf Armut einlassen

Norbert Mappes-Niediek ergänzte, dass die Mehrheitsgesellschaft aber nicht der Versuchung erliegen dürfe, die Roma nur zu einem Leben zu erziehen zu wollen, wie es hierzulande üblich ist. Es gehe darum sich auf die Armutsverhältnisse einzulassen und zu überlegen, was wirklich gebraucht wird. Der Europäische Sozialfonds, der zur Unterstützung der Roma in ihren Herkunftsländern 1,15 Milliarden Euro bereitgestellt hat und das EU-Jahrzehnt der Roma-Inklusion hätten jedenfalls auch deswegen weitgehend nicht gefruchtet, weil zu wenig auf die tatsächlichen Verhältnisse eingegangen worden sei.

Roma in Europa als Sklaven

Historisches Wissen, wie etwa die Tatsache, dass Roma in Osteuropa bis Mitte des 19. Jahrhundert als Sklaven gehalten wurden, sei unabdingbar. Auch das Faktum, dass keineswegs die ärmsten Roma nach Vorarlberg kommen, sondern jene der Mittelschicht, sollte mitbedacht werden. Die soziale Katastrophe Anfang der 1990er Jahre in Rumänien, die eine Reduktion der 8,4 Millionen auf 4 Millionen Arbeitsplätze verursachte, müsse auch präsent sein. Genauso die Tatsache, dass sich die Roma erst im Zuge dieser miserablen wirtschaftlichen Entwicklung wieder auf ältere Traditionsschichten ihrer Kultur besannen. Etwa das Tragen der langen Röcke, wie das in Vorarlberg bei den Roma-Frauen beobachtet werden kann, ist eine Tradition, die erst in den 1990er Jahren wieder vermehrt aufgekommen ist. Als die sozialen Sicherungssysteme um 1990 in Osteuropa zusammenbrachen, suchten die Roma wieder vermehrt Schutz in größeren Familienzusammenhängen. Dass diese wie Banden mit einem Clanchef organisiert seien, sei aber schlichtweg nicht wahr. In Rumänien sind im Übrigen nicht nur die Roma, die 10% der Bevölkerung ausmachen, arm, sondern alle Volksgruppen. Es handelt sich bei der Armut in Osteuropa also um ein soziales und keineswegs um ein ethnisches Problem.

Berührendes Zeugnis

Monika Spiss wies auf das erfreuliche Faktum hin, dass durch die bessere Wirtschaftslage mittlerweile ein Viertel der Roma in Vorarlberg in einem regulären Arbeitsverhältnis stehen. Die Obdachlosigkeit sei aber immer noch ein großes Problem. Willi Hagleitner prangerte in einem Statement aus dem Publikum die himmelschreiende Praxis an, dass Hintersitze von Autos in Vorarlberg pro Nacht um 10 Euro vermietet werden. Berührend war das Zeugnis des evangelischen Pfarrers Michael Meyer, der mit seiner Frau ein Roma-Ehepaar mit einem zu früh geborenen Baby bei sich in der Privatwohnung für drei Monate aufgenommen hat.