Wo der Segen der modernen Medizin zur ethischen Herausforderung wird. Der Fall der kürzlich verstorbenen Italienerin Eluana Englaro spaltet die Öffentlichkeit: Darf die künstliche Ernährung eingestellt werden, wenn dadurch Menschen verdursten und verhundern? Ist es andererseits nicht gerechtfertigt, der Frau nach 17 Jahren im Koma endlich ein Sterben zu ermöglichen? Die halbe Welt stellt sich die Frage, was wir am Ende eines Lebens tun dürfen und was nicht. Vielleicht hilft dabei die gesellschaftliche Perspektive weiter...

Hat ein Mensch das Recht, über den Zeitpunkt des Todes eines anderen Menschen zu verfügen? Am Ende eines Menschenlebens sind aufgrund medizinischer Spitzentechnologien brisante ethische Fragen für unsere Gesellschaft entstanden. Die moderne Medizin ist in manchen Fällen in der Lage, menschliches Leben über den von vielen als stimmig empfundenen Zeitpunkt hinaus zu verlängern. Bei vielen Krankheiten, welche für die Betroffenen vor 50 Jahren den sicheren und baldigen Tod bedeutet hätten, bestehen heute entweder gute Heilungschancen oder zumindest die Aussicht auf eine lebenserhaltende Maßnahme. Beispielsweise ist die sogenannte „PEG-Sonde“, welche Nahrung direkt in den Magen führt, ein Weg, Menschen, die im Koma liegen, weiterhin zu ernähren. Sobald diese Sonde gelegt wurde, machen sich Ärzte strafbar, wenn sie diese wieder entfernen, falls dies zum Tod der Patienten führt. Wenn lebenserhaltende Maßnahmen einmal ergriffen wurden, tritt gleichsam eine neue Situation ein: Der Mensch und sein Leben hängen von dieser Maßnahme ab – ein Rückgängig-Machen würde somit bedeuten, den Patienten zu Tode zu bringen, also aktive Sterbehilfe zu leisten.

Der aktuelle Fall der 38-jährigen Italienerin Eluana Englaro
, welche seit 17 Jahren im Koma lag, künstlich ernährt wurde und nun nach Einstellung der künstlichen Ernährung gestorben ist, spaltet nicht nur ganz Italien, sondern wohl die ganze Welt in zwei Lager: Die einen verteidigen die Einstellung der künstlichen Ernährung und traten für ein „Sterben-Lassen“ der Frau ein, andere plädierten vehement für ihr Weiterleben und waren gegen einen Eingriff, welcher zum Tod der Frau geführt hat. „Was ist das schon für ein Leben? – Das ist doch nur noch ein „Dahin-vegetieren“ – 17 Jahre sind doch genug an Leid und Abwarten, ob die Frau wieder aufwacht – lasst die Frau endlich sterben!“
Viele Menschen mögen heute spüren, dass solchen Aussagen eine gewisse intuitive Plausibilität zukommt. Wer von uns möchte schon so leben? Wer möchte schon in der Situation der Italienerin sein, welche seit einem Autounfall im Jahr 1992 bis heute im Koma liegt?

Und trotzdem: Wir müssen uns bewusst sein, was wir tun, wenn wir so denken. Jede und jeder trifft mit der Aussage: „Das ist doch nur noch ein ‚Dahinvegetieren’“ auch eine Entscheidung über Wert und Unwert menschlichen Lebens. Ob gewollt oder ungewollt.
Haben wir das Recht dazu? Die Frage, ob wir ein Recht haben auf etwas zielt immer auf eine Norm, welche nicht nur für einen einzelnen Menschen, sondern für die ganze Rechtsgemeinschaft, mitunter für eine ganze Gesellschaft Gültigkeit hat. Berührende Schicksale und Einzelfälle wie jener der genannten Komapatientin in Italien (oder auch jener der Amerikanerin Terry Schiavo) verstellen oft den Blick auf die gesellschaftliche Dimension eines ethischen Problems: Es scheint geradezu unmenschlich, dem vielfach geäußerten Wunsch nach einer aktiven Beendigung dieses Lebens nicht nachzukommen.

Wenn jedoch bei ethischen Überlegungen die soziale Dimension mit ins Spiel kommt, sind Werte und Normen gefragt. Grundlegende Werte und Haltungen wie z.B. Rücksicht, Solidarität, Gerechtigkeit oder der Respekt und die Achtung vor der Würde eines jeden einzelnen Menschen tragen unsere ganze Gesellschaft. Von diesen Werten lassen sich Normen ableiten, welche uns in Form von Gesetzen begegnen. Diese wiederum haben Gültigkeit für die gesamte Rechtsgemeinschaft. Und genau an dieser Stelle wird es problematisch:Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in welcher je neu über den Wert eines Menschenlebens entschieden wird? Was würde dies für Schwerstbehinderte bedeuten? Wie steht es um schwer demente Menschen, welche zu Pflegefällen geworden sind und sich nicht mehr äußern können? Sollen wir darüber abstimmen lassen, wer noch ein Lebensrecht hat und wer nicht mehr?

Ethische Normen erhalten ihre Plausibilität nicht durch tragische Einzelfälle
. Sie greifen vielmehr auf der Ebene sozialer Verantwortung und werden dort wirksam. An dieser Stelle üben Gesetze und Normen eine Schutzfunktion aus für alle Schwachen und Benachteiligten unserer Gesellschaft. Sie werden geschützt vor dem intuitiven Drang des Menschen, in Auseinandersetzung mit einzelnen Fällen über Beginn und Ende menschlichen Lebens zu verfügen.
Wenn die Katholische Kirche diesen Schutz manchmal auch in scheinbar unbarmherziger Weise einfordert, so lenkt sie den Blick dennoch auf die unantastbare Würde des Menschen, dessen Leben von Gott geschenkt ist und deshalb im Letzten seiner Verfügung entzogen ist.